Mit entspannten Plaudereien oder gar mit Satire in einer sonst ernsthaften Zeitung ist es so eine Sache. Wer sich davon vielleicht gerade persönlich getroffen fühlt, neigt leicht dazu, auch das ernst zu nehmen, was nicht so ernst gemeint ist. So etwa, als jüngst in der wochentäglichen Glosse "Unterm Strich" auf der Titelseite eine solche Plauderei stand - überschrieben mit „Einfach mal wieder grüßen“.
Genau damit, mit dem Grüßen, hat sich der Autor jener Zeilen - frühmorgens vom Land kommend in einer städtischen Fußgängerzone - versucht. Sein Motto: Überrasche deine Mitmenschen, sag einfach mal wieder „Grüß Gott“ oder wünsche einen „Guten Morgen“.
Leser meint: "Eine Schande!"
Ein „Grüß Gott“, durch die Maske genuschelt, verkneift sich der Autor allerdings mit den Worten: „… was weiß ich, welchem Gott der mir unbekannte Mitmensch sich verpflichtet fühlt“. Plaudernd schildert er in der Glosse, wie von ihm begrüßte Personen darauf reagiert haben. Mit der Reaktion aber, die ihn danach schriftlich erreichte, hat er wohl nicht gerechnet.
Leser G.S. gratuliert dem „sehr geehrten“ Autor nämlich voller Ironie, dass der sich hervorragend integriert habe und wird deutlich: „Wenn Sie als in Bayern Lebender, evtl. sogar hier Gebürtiger, sich derart verleugnen bzw. sich schämen, 'Grüß Gott‘ zu sagen, so verschlägt es mir die Stimme. So weit sind wir also schon gekommen! Eine Schande!“
Nicht die Sprache verschlagen lassen
Nein, um Himmelswillen, so weit sind wir nicht gekommen. Der Autor hat sich nicht gegen das „Grüß Gott“ gewandt oder sich gar dafür geschämt. Er hat sich lediglich bei seinem morgendlichen Test in der Fußgängerzone dazu passend eines fröhlichen „Guten Morgen“ bedient. Er lässt also jedem seine Freiheit, ob nun gebürtiger Bayer oder nicht, so zu grüßen, wie es ihm gefällt. Hauptsache, er grüßt. Und merke: Von dem was da morgens "Unterm Strich" steht, sollte sich niemand die Sprache, schon gar nicht die Stimme verschlagen lassen.
Und dazu noch der Hinweis: Ob weniger gut oder gelungen, Unterhaltung ist Teil der Pressefreiheit.
Damit hinterlasse ich Ihrer Fantasie eine erstaunliche Überschrift, die mir in einem Lokalteil aufgefallen ist: „Geschlagen und erpresst - Jugendliche beraubten mehrere Unschuldige“. Im Unklaren ließ der Artikel die Leserschaft darüber, worauf sich die Unschuld der Beraubten bezog. Auch auf die Frage, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wären Schuldige beraubt worden, gab es keine Antwort. Ich bin aber überzeugt, dass unterm Strich findigen Leser*innen eine passende einfällt.
Ich jedenfalls wünsche Ihnen, bleiben Sie entspannt und gesund. Lassen Sie sich nicht berauben, schon gar nicht ihrer Unschuld.
Anton Sahlender
Leseranwalt
Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
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