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LESERANWALT
Die überflüssige Ohrfeige
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:01 Uhr

Wenn eine Person verbal eine „schallende Ohrfeige“ bekommt, so beschreibt das bildhaft, dass es sich um eine heftige öffentliche Kritik, ja um eine Beschuldigung handelt. Noch nicht erkennbar wird daraus, ob es die verbale Ohrfeige zurecht oder zu Unrecht gesetzt hat. Damit wäre ich beim Thema einer Leserkritik. Sie bezieht sich auf den nachrichtlichen Beitrag  „Empörung über Seehofer“ , erschienen in der Zeitung am 13. Juli. - Online: Schmidt: Seehofer hat "keine Ehre".

 

Schmidt: Zum Fremdschämen

In diesem Zeitungsbeitrag (siehe Kopie) ging es unter anderen um einen Offenen Brief der Nürnberger SPD-Politikerin Renate Schmidt. Das Schreiben ist ist als eine „schallende verbale Ohrfeige“ für Innenminister Horst Seehofer bewertet. Frau Schmidt warf Seehofer bekanntlich vor, „Ihr Verhalten ist zum Fremdschämen“ und attestierte ihm, dass „bei Ihnen offenbar jeder Anflug von Humanität auf der Strecke geblieben ist“.

Empörung über Seehofer. Main Post vom 13.7.18       -  Main-Post Meldung vom 13. Juli in der Kritik. Es geht um die 'schallende verbale Ohrfeige', die ein Leser als negativ bewertet.
| Main-Post Meldung vom 13. Juli in der Kritik. Es geht um die "schallende verbale Ohrfeige", die ein Leser als negativ bewertet.

 

Der Kontrast

Der Leser stellt in seiner Zuschrift zur verbalen Ohrfeige in dem nachrichtlichen Bericht fest: Das ist leider schon wieder eine negativ bewertende Äußerung. Warum erklärt er mit einem Beispiel. Denn umgekehrt hätte der Verfasser schreiben können: „Jetzt muss auch noch die fast 75-jährige Renate Schmidt, frühere SPD-Bundesminsterin, ihren Senf dazu geben.“ Darin erkennt er im Kontrast zur Ohrfeige, „(durch Übertreibung veranschaulicht) ebenfalls eine negativ wertende Äußerung.“

 

Bildliche Beschreibung

Das Kontrastbeispiel des Lesers zur "schallenden verbalen Ohrfeige" spitzt zu, hinkt aber als Vergleich. Denn einen „Senf dazugeben“ wertet jede Botschaft des Absenders direkt ab. Das kann man von der „schallenden Ohrfeige“ so eben nicht sagen, weil sie lediglich eine Handlung bildlich beschreibt, diese aber nicht bewertet. Das heißt, es ist in der Nachricht nicht gesagt, ob der Brief von Frau Schmidt nun gut oder schlecht, richtig oder falsch ist. Es wird lediglich deutlich, dass ihre Kritik heftig ist, weil die Ohrfeige eben als schallend bezeichnet wird.

 

Zu viel Bewertung

Trotz dieser semantischen Betrachtung halte auch ich die schallende verbale Ohrfeige in einer Nachricht mit journalistischen Grundsätzen kaum vereinbar. Da stimme ich dem kritischen Leser zu. Denn auch in ihr steckt schon zu viel Bewertung. Die Botschaft daraus kann zwar individuell unterschiedlich empfangen werden, je nachdem, wo die eigenen politischen Sympathien liegen. Grundsätzlich ist sie aber für die meisten Leute eher negativ belegt, negativ für die Person, die die Ohrfeige bekommt. Deshalb hätte sie wegbleiben sollen.

 

Worte mit Bedacht wählen

Die nüchterne Nachricht wäre eindeutig genug gewesen. Nur in einem Meinungsbeitrag hätte die Ohrfeige Berechtigung. Gegenwärtig ist erhöhte journalistische Sensibilität gerade bei der Wortwahl wichtig. Denn wer verstärkt Worte kritisiert, die Politiker gebrauchen, sollte selbst die eigenen mit Bedacht wählen.  Unabhängiger Journalismus darf nicht spalten, sondern möglichst alle Menschen erreichen können. Wenn Einseitigkeit schon in Nachrichten auftritt, funktioniert das nicht.

Siehe zu diesem Thema auch die Kolumne der vergangenen Woche:

"Wenn Söder im Bericht plötzlich ätzt"

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de

 
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