Musiker wünschen sich Rezensionen. Am liebsten lesen sie Lob. Bei scharfer Kritik scheiden sich die Geister. Es gibt dann nicht nur Proteste der Musiker, sondern auch von empörten Veranstaltern und Zuhörern. Zuweilen verleihen sie dem mit der Abbestellung der Zeitung Nachdruck, vor allem, wenn es um Künstler aus der Region geht. Die wollen Aufmerksamkeit wie die Großen ihrer Branche. Mit Kritik einer Regionalzeitung können aber Weltstars besser umgehen.
So war in einer Lokalausgabe ein Konzert mit 41 Cellisten in Teilen als „peinlich“ bezeichnet, auch in der Überschrift. Die Autorin, eine fachlich bestens gebildete Musikjournalistin schrieb, „weniger wäre auch bei einer Schulveranstaltung kaum zu erwarten gewesen“. Das ist hart, zumal am Konzert neben Studenten und Laien auch Profis mitwirkten. Nach diesem Satz vermochten bei einigen Lesern positive Aspekte des Beitrages nicht mehr anzukommen.
Über „inakzeptable Berichterstattung“ und „inkompetente Kritik“ der Schreiberin empört sich ein Abbesteller. Ein anderer erwartet, dass sich die Verantwortlichen darüber Gedanken machen, wie eine gute Konzertkritik aussehen kann und wen man sie künftig schreiben lässt. Solche Gedanken macht sich die Redaktion. Ihr ist bekannt, dass ernsthafte Musikkritiken fachlicher Kenntnisse bedürfen, musikalischer und journalistischer. Es kommt darauf an, Fakten richtig zu berichten und kenntnisreich Meinung zu schreiben. Das heißt, Autoren müssen bewerten. Dabei können völlig unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen. So auch hier.
Fachliche Aussagen der Kritik kann ich nicht bewerten. Erstens war ich nicht im Konzert, und zweitens verfüge ich nicht über genug musikalische Kenntnisse. Gut ist aus meiner Sicht, dass die Rezension meinungsfreudig ist. Bewertungen dürfen durchaus zu sprachlichen Spielwiesen kreativer Autoren werden. Auch das ist hier gut, weil die Verständlichkeit nicht auf der Strecke bleibt. So war die Kritik am Cellistenkonzert eindeutig – mit einer Einschränkung: Weil von einem „an Inzest krankenden Klangbild“ die Rede ist, entstanden nicht nur bei mir Fragezeichen. Die Autorin sagt, dass sie mit „Inzest“ ohne große Erklärung klarmachen wollte, dass 41 Celli hier nicht stärker, schöner, eindrucksvoller waren als – sagen wir – zehn gewesen wären. Sie schwächten sich in ihrer Wirkung eher gegenseitig ab.
So weit die Autorin, deren Beiträge auch künftig in dieser Zeitung zu lesen sind. Fazit: Kunst-Bewertungen sind in Worte gefasste Eindrücke von Autoren, keine unwiderlegbaren Tatsachen.
Link zu dem Beitrag: www.mainpost.de/8243198
-Nein, scharfe, nachvollziehbare Kritik ist immer gut, denn nur so kann man die Qualität steigern. Eine Kritikerin kann + und - schreiben wie sie möchte, und Musikempfindungen sind nun mal auch subjektiv. Gegendarstellungen muss man dann aber auch aushalten können!
Zur Wahrheit Cellipur GEHÖRT ABER AUCH, dass eine tolle, freudige Stimmung bei den Zuhörern herrschte, "standing Ovations". Das Parkett war voll besetzt! Auch unverständlich: was ist ein eindimensionales Orchester?
-Die Redaktion hat das Augenmaß verloren , weil die aufreißerische Überschrift "Peinlichkeit" sich lediglich auf den Gabrieli bezieht. Eine Überschrift eines Artikels sollte den GESAMTeindruck des Konzertes widerspiegeln. Ein Mix aus blumigen Fremdwörtern (Inzest, eindimensional), die am Ende missverständlich, fremd, irritierend wirken. Positives zum Celloklang mussten vor diesem Hintergrund untergehen. Mainpost mag sich diesen Schuh anzuziehen.
Könnte es nicht so gewesen sein, dass da jemand unter (Zeit)druck was von sich gab, was halt - sorry - letztlich doch etwas zusammengeschustert daher kam? Schlimm nur, dass die Kritik nicht mehr zurückgenommen werden kann. Deshalb wohl dem, der eine/n gute/n Freund/in hat, den/die man nochmals drüberlesen lassen kann, bevor man was los lässt.
Als Besucherin des betreffenden Konzerts und professionelle Musikerin kann ich nur sagen: es ging bei dem Protest gegen die Konzertkritik überhaupt nicht darum, ob man an den Darbietungen vielleicht etwas aussetzen könnte - das kann man immer, die Frage ist doch vielmehr, in welcher Form und mit welcher Gewichtung das geschieht! Die Wortwahl der Kritikerin war nicht bildhaft, sondern verletzend und beleidigend. Einzelne Schwächen des Konzerts wurden übertrieben ausführlich dargestellt, während die positive Resonanz der Zuhörer, das "Gänsehaut -Feeling" und die stehenden Ovationen zum Schluss ignoriert wurden. Eine solche Kritik spiegelt meiner Meinung nach keineswegs das, was am Abend stattgefunden hat! Welchen Sinn hat sie dann aber?
Weltstars mag es leichter fallen, Kritiken einfach zu ignorieren. Trotzdem sollten diese niemals beleidigend sein!
Es gibt sie die Connaisseurs des guten Geschmacks, welche zur übersteigerten Perfektion neigen und diese Perfektion auf alles Concertante ausdehnen, auch dann ausdehnen, wenn dieses Konzert von Hobbymusikern gestaltet wird.
Dabei muss es, wie es uns die Wortwahl des Lb verrät, zu einer Überdehnung der hohen
Ansprüche und Erwartungen kommen, denn unter Inzest versteht man etwas ganz Bestimmtes, das nicht auf die Sphäre von Klangharmonien übertragen werden kann.
Wenn Th. Mann in seinem Werk "Die Buddenbrooks" davon schreibt, wie sehr Thomas Buddenbrook die Frage beschäftigt, was sich beim Musizieren zwischen Gerda Buddenbrook und dem Seconde-Leutnant von Throta abspielen mag, so erinnert diese
Entfremdung zwischen den Eheleuten jener "décadence", welche alles krank macht.
Ein Inzest beim Zusammenspiel von Streichern, kann es also diese Form der Dekadenz nicht geben und ist völlig aus der Luft gegriffen.