Häufig wird der Redaktion Zensur vorgeworfen, vor allem dann, wenn ein Leserbrief oder eine Zuschrift nicht veröffentlicht worden ist. So zuletzt von Leser E.P.. Eine solche Ablehnung ihrer Texte mag für engagierte Schreiber ärgerlich sein. Und ich kann sogar verstehen, dass Betroffene von Nichtveröffentlichungen, vielleicht in Erinnerung an den Rotstift ihrer Schullehrer, schnell mal den Begriff „Zensur“ verwenden. Das ist freilich ein Missverständnis. Im rechtlichen Sinne ist eine redaktionelle Ablehnung keine Zensur wie sie der Artikel 5 (1) des Grundgesetzes verbietet.
Es geht um Unabhängigkeit
Die Ablehnung oder Veröffentlichung von Leserbriefen gehört zur Wahrnehmung der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit. Denn es wäre schlecht um die Unabhängigkeit der Medien bestellt, müssten sie alles verbreiten, was ihnen von außen zugestellt wird. Da würden sie, sofern gedruckte Zeitungen es überhaupt unterbringen könnten, zu einem Organ, dass von Politikern, Behördenvertretern, Parteiverantwortlichen, ja von jedermann willkürlich genutzt werden könnte. Von Beiträgen, die in Medien abgelehnt werden, bleibt die Freiheit der Meinungsäußerung unberührt. Aber was in Medien erscheint, muss in der Verantwortung ihrer Redaktionen liegen.
Ein Wesenselement des freiheitlichen Staates
Der Zensur-Begriff aus dem Grundgesetz bezieht sich folglich darauf, dass von dritter Seite (da sind aus leidvoller geschichtlicher Erfahrung vor allem staatliche Organe gemeint) absolut kein Einfluss auf geplante Veröffentlichungen der Medien (etwa durch Vorzensur) genommen werden darf. Das ist so, weil Journalisten eine Wächterrolle in der Demokratie zukommt, wie es mehrfach vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE) festgestellt worden ist. Schon 1966 hat es im Spiegel-Urteil „eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse“ als ein Wesenselement des freiheitlichen Staats bezeichnet.
Wenn die Haftung beginnt
Erst nach ihrer Veröffentlichung sind Beiträge allgemeinen Regeln, also der den Grundgesetz-Artikel 5 (2) einschränkenden Gesetzgebung unterworfen. Das heißt, nun können ihre Verbreiter dafür zur Verantwortung gezogen oder in Haftung genommen werden.
Nicht überprüfbare Fakten
Der Leserbrief von E.P. wurde nicht veröffentlicht, weil er Tatsachenfeststellungen aus der Vergangenheit enthalten hat, die für die Leserbriefredaktion trotz einiger Quellenangaben nicht mehr überprüfbar waren. Vor allem nicht in der geringen Zeit, die für eine aktuelle Veröffentlichung einer solchen Zuschrift bleibt. Grundsätzlich will die Redaktion vermeiden, dass in einem vertrauenswürdigen Medium über Leserzuschriften schnell Fakten verbreitet werden, die sich am Ende als nicht richtig erweisen könnten.
Die Abwägung
In einer Abwägung hat gegen eine Veröffentlichung des Leserbriefes von E.P. entschieden. Die Rechtslage räumt nämlich bei Leserbriefen oder Gastbeiträgen der Redaktion als deren Verbreiter einen besonderen Schutz ein. Dass dafür nicht die Verbreiterhaftung uneingeschränkt gelten könne, hat das BVerfGE zur Wiedergabe von sogenannten Fremdäußerungen (dazu gehören Leserbriefe) erklärt. Denn in diesen Fällen wird nicht erwartet, dass Journalisten die Tatsachenbehauptungen so auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, wie sie es in eigenen Beiträgen tun müssen.
Um das zu verdeutlichen, ist der regelmäßige unübersehbare Hinweis wichtig, dass Leserbriefe nicht die Meinung der Redaktion oder des Verlags wiedergeben.
Mehr darüber in der folgenden Leseranwalt-Kolumne (einfach anklicken):
"Wider den Vorwurf, Redaktionen würden Meinungsfreiheit einschränken" (2018)
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de
Redaktion eben nicht Gefahr laufen, über Leserbriefe falsche Fakten zu verbreiten.
Anton Sahlender, Leseranwalt
„Die Rechtslage räumt nämlich bei Leserbriefen oder Gastbeiträgen der Redaktion als deren Verbreiter einen besonderen Schutz ein. Dass dafür nicht die Verbreiterhaftung uneingeschränkt gelten könne, hat das BVerfGE zur Wiedergabe von sogenannten Fremdäußerungen (dazu gehören Leserbriefe) erklärt. Denn in diesen Fällen wird nicht erwartet, dass Journalisten die Tatsachenbehauptungen so auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, wie sie es in eigenen Beiträgen tun müssen.“
Dieser besondere Schutz der Redaktion in Bezug auf „Fremdäußerungen“ entkräftet doch gerade die vorher im Artikel ausdrücklich genannten Ablehnungsgründe im Zusammenhang mit der nicht gegebenen Verifizierbarkeit … !?