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LESERANWALT
Ängste, die auch aus falschen Nachrichten entspringen
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:52 Uhr
Ich gebe eine Zuschrift wortwörtlich (samt Fehlern) kopiert wieder, weil sie wahrscheinlich derzeit das Denken und die Ängste zu vieler Menschen erkennen lässt, die wohl auch Opfer falscher Nachrichten geworden sind. Vom Namen der Absenderin habe ich lediglich die Initialen beibehalten.
Danach folgt die Antwort, die ich der Frau gegeben habe. Ich mache mir nichts vor: Meine Zeilen sind wohl bestenfalls der bekannte eine "Tropfen auf dem heißen Stein", derer es unzählige mehr bedarf.

Im Zeitungsbeitrag vom 11. März 2017 ("Amokläufer verletzte neun Menschen") ist die Nationalität oder Herkunft des nach dem Amoklauf Festgenommenen nicht genannt. Darauf bezieht sich das Schreiben der Leserin.
Hier zum Anklicken der Online-Artikel, der den Festgenommenen bereits als Asylbewerber aus dem Kosovo kenntlich macht, der eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen besitzt. Eine redaktionelle Erklärung dafür, warum das geschehen ist, die vermisse ich.

Freilich hat inzwischen der Presserat die Richtlinie 12.1, die sich gegen Diskriminierungen wendet, geöffnet oder hat versucht, der aktuellen Entwicklung besser gerecht zu werden. Die Änderung der Richtlinie im Pressekodex konnte ich in meinem Antwort-Schreiben an die Frau nicht mehr berücksichtigen. Es war schon lange weg, als sie bekannt wurde. Allerdings muss an grundsätzlichen Aussagen zu Ängsten und ihren Ursachen nichts geändert werden. 

Ich nenne die Nationalität des Festgenommenen in diesem Beitrag, um den grundsätzlichen Umgang mit solchen Nachrichten schlüssiger erklären zu können. Ich mache aber auch deutlich, dass aus der Nationalität kein Rückschluss auf die Tat gezogen werden kann. Damit werde ich wohl auch der neuen Fassung der Richtlinie 12.1 im Pressekodex gerecht.

Die unveränderte Zuschrift der Leserin A.M.:

"Sehr geehrter H. Sahlender,
in diesem Artikel vom Sa. 11.03, steht kein Wort davon, das der Täter in Flüchtling war. Gerade in der heutigen Zeit, wo täglich schlimme Verbrechen von Flüchtlingen an Deutsche begangen werden, ist es notwendig, zum Schutze der Bevölkerung, das jeder lesen kann woher die Täter und die Gefahr in diesem Land kommt. Es wurde bewußt von Ihnen unterschlagen, in anderen Zeitungen ist davon zu lesen, wollen Sie die Leser der Mainpost für dumm verkaufen ?? Sie sind mittlerweile das "Gesicht der Lügenpresse" Mal ehrlich H. Sahlender : Können Sie noch in den Spiegel schauen??
MFG A.M."

Amokläufer verletzte neun Menschen. Zeitung vom 11.3.2017       -  Dieser Artikel aus der gedruckten Zeitung vom 11. März 2017 wurde von einer Leserin kritisiert, weil darin der nach dem Amoklauf Festgenommene nicht als Flüchtling kenntlich gemacht wurde.
| Dieser Artikel aus der gedruckten Zeitung vom 11. März 2017 wurde von einer Leserin kritisiert, weil darin der nach dem Amoklauf Festgenommene nicht als Flüchtling kenntlich gemacht wurde.

 


Ich habe Frau M. geantwortet:

Sehr geehrte Frau M.,
ich danke Ihnen für ihre kritische Zuschrift.

Tatsächlich hat die Main-Post in der Berichterstattung über den Amokläufer nicht erwähnt, dass der als tatverdächtig festgenommene Mann kein Deutscher ist, sondern aus dem einstigen Jugoslawien stammt und seit 2009 hier lebt. Die Gründe warum die Redaktion über seine ethnische Herkunft nicht berichtet hat, sind kein Geheimnis. Die Redaktion und auch ich, haben sie vielfach kommuniziert.

Ich wiederhole aber gerne für Sie noch einmal die Richtlinie 12.1 aus dem Kodex des Deutschen Presserates, dem sich die Main-Post verpflichtet hat, wie fast alle deutschen Tageszeitungen. An dieser Richtlinie orientieren sich auch die meisten anderen Medien. Die Richtlinie richtet sich gegen Diskriminierungen und lautet:

"Berichterstattung über Straftaten In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Und es ist bislang kein Sachbezug zu erkennen, der für das Verständnis des Amoklaufes eines 36-Jährigen, mutmaßlich psychisch gestörten Menschen, die Nennung seiner ethnischen Herkunft in einem Medium notwendig macht.

Amokläufe sind grundsätzlich nicht an einer Nationalität festzumachen und auch nicht am Flüchtlingsstatus eines Verdächtigen oder Täters. Das kann sich bei der Bewertung eines Einzelfalles ändern, auch im vorliegenden, wenn Ermittlungen zu entsprechenden Erkenntnissen führen.

Ich gebe freilich zu und ergänze meine Darstellung, dass über die Richtlinie 12.1 im Kodex des Deutschen Presserates immer wieder diskutiert wird, ob sie nicht neu formuliert werden müsste. Denn immer wenn auf die Nennung der Nationalität verzichtet wird, unterstellen einige Leser, oft auch gespeist aus unseriösen Quellen, dass es sich um einen Flüchtling gehandelt habe. Bislang freilich hält man an der Richtlinie fest, auch deshalb, weil die Erfahrung zeigt, dass die Nennung von Ethnien ebenfalls zu Diskriminierungen geführt hat.

Ich erkenne, verehrte Frau M., dass Sie über Ängste vor Flüchtlingen schreiben. Ja, die gibt es - leider. Ich meine aber, die müssen weder Sie noch andere haben. Es gibt keine Statistik, die zeigt, dass Flüchtlinge eine besondere Gefährdung darstellen. Kriminalitätsstatistiken lassen vielmehr erkennen, dass sich Gewalttaten, an denen Flüchtlinge beteiligt sind, häufig untereinander in Flüchtlingsunterkünften abspielen und wohl auch den dort herrschenden Lebensverhältnissen geschuldet sind. Und zu mehr als 50 Prozent handelt es sich dabei um leichte Körperverletzungen. Grundsätzlich kann gelten: Zuwanderer sind nicht krimineller als Deutsche.
Dazu auch dieser Artikel aus der Main-Post zum Anklicken: "Mehr Kriminalität in Bayern".

Von Unterschlagen einer Nachricht kann beim Main-Post-Bericht über den Düsseldorfer Amoklauf keine Rede sein. Überprüfen Sie bitte ihre Quellen: Denn es stimmt nicht, dass täglich schlimme Verbrechen von Flüchtlingen an Deutschen begangen werden. Es besteht keine Notwendigkeit, die Nationalität oder den Flüchtlingsstatus von Verdächtigen oder Tätern zu nennen, um dadurch die Bevölkerung zu schützen.

Sie können davon ausgehen, dass die Redaktion der Main-Post sich einem verantwortungsvollen und dabei korrekten Journalismus verschrieben hat. So dürfen Sie den Nachrichten vertrauen, die Sie in der Main-Post lesen. Misstrauen empfehle ich gegenüber Quellen, die Ängste schüren, die sich an keine Gesetze und Regeln halten und die versuchen, hilfsbedürftige Menschen, also generell Flüchtlinge als besondere Gefahr darzustellen. Verehrte Frau M., ich bleibe kritisch, auch beim Blick in den Spiegel. Bleiben auch Sie der Main-Post, als kritische Leserin gewogen.

Mit freundlichen Grüßen
Anton Sahlender, Leseranwalt


HIER NOCH DIE ZUSAMMENFASSUNG, DIE DAZU AM SAMSTAG, 25. MÄRZ 2017, AUF DER LESERSEITE DER GEDRUCKTEN ZEITUNG ERSCHEINT:
Darin habe ich am Ende festgehalten, dass mit der Nennung von Ethnien auch unbegründeten Ängsten neue Nahrung geben kann.

Empfehlung an eine Leserin: Nachrichtenquellen, die Ängste schüren, misstrauen und überprüfen

Eigentlich ist häufig erklärt worden, über was sich Leserin A.M. bei mir beklagt. Im Beitrag "Amokläufer verletzte neun Menschen" (Ausg. 11.3.) werde unterschlagen, dass der Täter Flüchtling sei. Sie hält diese Nachricht aber für notwendig, zum Schutze der Bevölkerung, weil täglich schlimme Verbrechen von Flüchtlingen an Deutschen begangen würden. Jeder solle lesen können, woher die Täter und die Gefahr in diesem Lande komme.
Doch aus einem bekannten Grund wurde nicht berichtet, dass es sich um einen Flüchtling gehandelt hat. So habe ich auf die viel diskutierte, bis dato noch gültige, aber mittlerweile geänderte Richtlinie 12.1 (siehe MP-Ausg. 23.3.) im Kodex des Deutschen Presserates hingewiesen:
"In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."
Bislang ist kein Sachbezug zu erkennen, der für das Verständnis des Amoklaufes eines 36-Jährigen, mutmaßlich psychisch gestörten Menschen, die Nennung seiner ethnischen Herkunft notwendig macht. Amokläufe sind grundsätzlich nicht an einer Nationalität festzumachen und auch nicht am Flüchtlingsstatus eines Verdächtigen oder Täters. Das kann sich bei der Bewertung jedes Einzelfalles ändern, wenn Ermittlungen zu entsprechenden Erkenntnissen führen.
Leider gibt es die bekannten Ängste, die in der Klage von Frau A.M. zum Ausdruck kommen. Wie so oft sind sie wohl unnötig. Gibt es doch keine seriöse Statistik, die Flüchtlinge als besondere Gefährdung erkennen lässt. Sichtbar wird vielmehr,  dass sich Gewalttaten, an denen Flüchtlinge beteiligt sind, häufig untereinander in ihren Unterkünften abspielen und wohl auch den dortigen Lebensverhältnissen geschuldet sind. Und zu mehr als 50 Prozent handelt es sich dabei um leichte Körperverletzungen. Grundsätzlich kann gelten: Zuwanderer sind nicht krimineller als Deutsche.
Empfohlen habe ich Frau A.M., die diese Zeitung als „das Gesicht der Lügenpresse“ bezeichnet, ihre anderen Nachrichtenquellen zu überprüfen, dabei denen zu misstrauen, die Ängste schüren – meist mit falschen Fakten. Davor sind Menschen wirklich zu schützen. Denn es gibt keine täglichen Verbrechen von Flüchtlingen an Deutschen und aus der Nennung von Ethnien, ergibt sich folglich kein Schutz der Bevölkerung. Man gibt damit eher unbegründeten Ängsten neue Nahrung.

Anton Sahlender, Leseranwalt

 
 
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