Versetzen Sie sich in eine Basargasse, an den Ständen preisen Verkäufer ihre Waren an: „Sicherheit, eine extra Portion Sicherheit! Hier sind Sie richtig!“ ruft der eine. „Nehmen Sie Freiheit! Freiheit – gibt's was Wichtigeres?“ tönt es vom Nachbarstand. Und Sie selbst haben die Wahl, wofür Sie Ihr Geld ausgeben. Was Sie in die Sicherheit stecken, fehlt Ihnen für die Freiheit – und umgekehrt.
Zugegeben, ein vereinfachendes Bild. Aber wer den Streit um das bayerische Polizeiaufgabengesetz verfolgt, kann sich ähnlich hin- und hergerissen fühlen. Oder anders: Wie viel Freiheit darf die Sicherheit kosten? Eine Güterabwägung, politisch wie juristisch.
Bürger akzeptieren Einschränkungen aus Angst vor Terror
Seit dem 11. September 2001 haben sich die Gewichte verschoben: Zum Schutz vor Terroranschlägen wurden Behörden und Geheimdienste mit Überwachungs- und Eingriffsrechten aufgerüstet, Bürger haben Kontrollen und Einschränkungen hinzunehmen. Sie tun dies in der Regel mit Verständnis und: aus Angst.
Wie omnipräsent der Terrorismus ist, haben spätestens die Attentate von Würzburg und Ansbach im Sommer 2016 gezeigt. Wer allerdings Ängste der Bevölkerung politisch instrumentalisiert, betreibt ein gefährliches, ein unmoralisches Spiel. Mit dem Argument der Terrorabwehr droht der Rechtsstaat schrittweise ausgehöhlt zu werden – dort zum Beispiel, wo Grundrechte beschnitten und schon ein unpräziser Verdacht zum polizeilichen Eingriff führen kann.
Was ist eine „drohende Gefahr“?
So ermöglicht durch das „Gefährder-Gesetz“, mit dem die CSU-Mehrheit im Landtag im Sommer 2017 die Befugnisse der Polizei deutlich erweitert hat. Es braucht keinen konkreten Tatverdacht mehr, um gegen jemanden vorzugehen. Es reicht eine „drohende Gefahr“ – eine kreative Wortschöpfung, die Polizei und Richtern großen Spielraum lässt. Die mögliche Präventivhaft wurde von zwei Wochen auf drei Monate ausgedehnt und kann theoretisch unbegrenzt oft verlängert werden.
Und wenn es dabei Unschuldige erwischt? Das wird in Kauf genommen. Die CSU und ihr Innenminister haben zur falschen Siebgröße gegriffen – politisch kühl kalkuliert, vor dem Hintergrund grassierender Terrorangst. Und die Opposition? Die Grünen lehnten sich schon vor neun Monaten gegen die erste Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes auf, Freie Wähler und SPD glänzten mit Enthaltung. Was wörtlich zu nehmen ist: Ihnen fehlte es an Haltung!
SPD und Freie Wähler haben bei der letzten Entscheidung gekniffen
In einer Entscheidung über Grundrechtseingriffe keine Position einzunehmen – ein Armutszeugnis, gerade für eine Traditionspartei wie die SPD. Nun, im Wahljahr 2018, will man sich diese Blöße nicht mehr geben und schließt sich dem Protest gegen die von der Staatsregierung geplante neuerliche Änderung des Polizeigesetzes an: Beamte sollen noch viel leichter verdeckt ermitteln und überwachen dürfen – selbst ohne konkreten Tat- oder Terrorverdacht. Konten könnten gesperrt werden, Betroffene dürfen unter Umständen ihren Landkreis nicht verlassen. Was existenzgefährdend sein kann.
„Überwachungsstaat!“ wettern Kritiker, der Innenminister argumentiert mit Erfordernissen der Sicherheit. Eine seltsame Logik, wo man sich doch seit Jahren als sicherstes Bundesland zur Schau stellt. Die CSU schlüpft in den Law-and-Order-Anzug, um vergraulte Wähler zurückzuholen. Und auch die Oppositionsparteien – ganz im Wahlkampfmodus – lassen es verbal krachen.
Zur Freiheit der Wissenschaft gehört die politische Unabhängigkeit
Da tut es gut, wenn sich die Wissenschaft – nüchtern und analytisch – ihrer eigenen Freiheit besinnt und sich kritisch in die Debatte einschaltet. Ohne Denkverbote, ohne politische Schere im Kopf reichen Vertreter von drei bayerischen Unis – darunter Würzburg – eine Popularklage gegen die massiv erweiterten Polizeibefugnisse ein.
Auf diese Weise lernen angehenden Juristen ganz real, dass sie eine gesellschaftspolitische Verantwortung haben. Vielleicht ist es gerade die dritte Gewalt, die ein politisch motiviertes Abdriften in den Überwachungsstaat und die Kastration von Freiheitsrechten verhindert. Zu hoffen ist es. Sonst hätten politischer Extremismus und Terrorismus gesiegt.