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WÜRZBURG
Leitartikel: Das Schöne an Satire
Lukas Will
Lukas Will
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:46 Uhr

Lange nicht mehr so viel über Presse- und Meinungsfreiheit gehört und gelesen wie in diesen Tagen“, eröffnete Anne Will am Sonntag ihre Talkrunde. Und das ist genau das, was Jan Böhmermann mit seinem umstrittenen Schmähgedicht auslösen wollte. Wieder mal hat der Satiriker einen raffinierten Scoop gelandet.

Losgetreten hat den Stein ein harmloser Liedbeitrag über den türkischen Präsidenten im NDR-Satiremagazin Extra3 („Erdowie, Erdowo, Erdowann“). Zwei Wochen später nahm Böhmermann den Faden dann in seiner ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ mit seinem Schmähgedicht auf. Die Verse sind für sich genommen in der Tat schwer beleidigend: Das Gedicht bezeichnet den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als Sodomie treibenden, pädophilen, sadistischen, nach Döner stinkenden Präsidenten mit kleinem Männlichkeitsorgan. Das ist klar beleidigend. Doch: In diesem Fall spielt der Kontext die entscheidende Rolle.

Erdogan sitzt am längeren Hebel

Erdogan unterdrückt in seinem EU-Beitrittsbewerberland die Presse, beeinflusst die Justiz, lässt Demonstranten niederknüppeln, Jugendliche für „Präsidentenbeleidigung“ vor Gericht bringen, er lehnt die Gleichstellung von Mann und Frau ab, hetzt gegen Homosexuelle. Die Liste lässt sich weiterführen. Und das ist es, was in Deutschland diskutiert und kritisiert wird.

Doch die Bundesregierung hält sich mit Kritik daran zurück. Denn die Türkei sitzt am längeren Hebel. So zahlt die Europäische Union in einem von Kritikern als „schmutzigen Deal“ bezeichneten Abkommen sechs Milliarden Euro an die Türkei, verspricht Visafreiheit und Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen. Dafür soll die Türkei die syrischen Kriegsflüchtlinge vor der illegalen Einreise nach Europa abhalten. Menschenrechte und Meinungsfreiheit spielen eine untergeordnete Rolle – und Erdogan macht einfach weiter.

Die Türkei ist wieder im Gespräch

Rechtfertigt dieser Kontext nun Böhmermanns Schmähgedicht, mit dem er dies alles aus dem Verdrängen und Vergessen holen will, als satirischen Beitrag? Er tut es. Plötzlich ist die Diskussion um den türkischen Präsidenten und seine despotischen Allüren so präsent wie nie. In Talkshows, Medienberichten und an Stammtischen ist die Türkei-Thematik im Gespräch. Auch wird wieder über die Grenzen von Satire und Meinungsfreiheit geredet.

Böhmermann übertreibt in seinem Gedicht bewusst maßlos, doch er provoziert nicht zum Selbstzweck. Denn erst so ist Erdogans Verhalten zur Staatsaffäre geworden. Nun also ist die Bundesregierung gezwungen, sich zu äußern und zu handeln. Kanzlerin Angela Merkel sprach bereits mit dem türkischen Premierminister über das Gedicht. Von deutscher Seite hoffte man, endlich einen Schlussstrich ziehen zu können. Doch Erdogan besteht auf Strafverfolgung. Die Affäre geht also in die nächste Runde.

Sich drücken geht nicht, jetzt ist die Bundesregierung zum Handeln gezwungen. Soll sie dem Strafersuchen aus Ankara nachgeben und damit die Debatte um Satire- und Meinungsfreiheit weiter befeuern? Oder soll sie es ablehnen und sich mit Erdogan anlegen? Es ist verzwickt, gewinnen kann Berlin dabei nicht.

Und genau das ist das Schöne an Satire, wie Jan Böhmermann sie beherrscht. Durch die Hintertür zeigt sie Missstände auf, die sonst rasch wieder in der Versenkung verschwunden wären.

 
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    ich bin nur gespannt, wer das alles noch so sieht, wenn die Türkei die Flüchtlinge einfach wieder durchwinkt, die ja eigentlich nur durchwollen.

    Mir gefällt der Kuhhandel zwar absolut nicht, der da geschlossen wurde, und ich bin der Meinung, dass man die damit erkaufte Zeit dafür nützen müsste, den Menschen für das Bleiben in der Heimat Perspektiven zu verschaffen, aber wenn der Deal platzt, haben "wir" dafür (ganz schnell) weder die Zeit noch das Geld.

    Und jeder, der (ggf.) dazu beiträgt, dass der Deal platzt, muss sich fragen lassen, was a) die vernünftigen(!) Alternativen sind und b) was er dafür persönlich leistet. "Ich hab die Verwerflichkeit aufgezeigt!" reicht einfach nicht. Da wäre eher schon Eintreten bei der Polizei und 40 h/ Woche Bewachen der der Flüchtlings-Unterkünfte angesagt - solange wie es die gibt und die Integration nicht hinreichend funktioniert. Wobei noch lange nicht geklärt ist, woher das Geld dafür kommen soll - das wird irgendwo "gespart" werden müssen...
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  • pmueller55
    ...... durch diese Aktion wird die Bundesgierung in die Öffentlichkeit gezwungen.
    Es kann nicht, wie in der Vergangenheit, hinter verschlossenen Türen entschieden werden. Jetzt hat jede Entscheidung, die die Türkei betrifft, ein Gesicht.
    Jeder der etwas Verstand hat erkennt, dass es bei dem Gedicht nicht nur um Frau Merkel und Herrn Erdogan geht. Es geht um unsere Zukunft, es geht um das Abwenden einer Unart - Deutschland als Zahlland zu missbrauchen.
    Man muss sich nur den Verteilungsschlüßel der letzten EU Maßnahmen anschauen, da liegt Deutschland immer weit an der Spitze.
    Jeder hält die Hand auf und das eigene Volk muss bluten.
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  • 50Hertz
    So ist er halt, der dt.Sozialstaat. Besser als andere Staaten, wenn man auf Hilfen angewiesen ist, und schlechter als andere Staaten, wenn man Nettozahler ist, denn dann schröpft er grossspurig ab. Durch offene Grenzen zieht er damit mehr u.mehr Nettoempfänger an als Nettozahler und schaufelt damit langsam sein eigenes Grab.
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  • 50Hertz
    Danke Mitforist pmueller55. Sehe ich ähnlich.
    Eigentlich müsste man Böhmermann bei aller intellektueller Flachheit seines Beitrags, den Satire oder gar Kunst zu nennen fast weh auf der Zunge tut, das Bundesverdienstkreuz dafür verleihen, dass er mit seiner Aktion Merkel und ihre Türkeiaktion entlarvt hat.

    Er hat Merkel damit in eine Position gebracht, in der sie Farbe bekennen muss, wie sie es einerseits mit ihrer Rechtstreue oder andererseits mit ihrem Amtsegoismus hält.
    Und über die "Scheckbuchpolitik " kann man nur noch den Kopf schütteln.
    Armes Deutschland.
    Scylla und Charybdis: Und es hilft nicht, sich am Mast (vulgo Kanzlersessel) festzubinden oder sich die Ohren zuzustopfen. Das kann man nicht aussitzen. Und endlich ist eine Situation für Frau Merkel wirklich mal alternativlos!
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