Es genügt dieser Tage, den Namen Böhmermann kommentarlos in die Runde zu werfen, um eine aufgeregte Debatte in Gang zu setzen. Eitler Krawallmacher, berechnender Provokateur oder genialer Satiriker, der uns den Spiegel vorhält? Fest steht: Jan Böhmermann, Moderator der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“, hat es mit relativ geringem Aufwand vermocht, schlagartig weit über Deutschland hinaus bekannt zu werden. Ein in Form und Inhalt überschaubares Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan genügte. Zumal Böhmermann sein selbst gesetztes Ziel, den autoritären türkischen Staatschef zu provozieren, zweifellos erreicht hat.
Droht ihm nun tatsächlich ein Prozess? Fakt ist: Die Bundesregierung prüft eine Note der Türkei, in der eine Strafverfolgung des Satirikers in Deutschland gefordert wird und hat sich für diese Prüfung „mehrere Tage“ vorgenommen. Gleichzeitig haben mehrere Privatpersonen Anzeige gegen den 35-Jährigen erstattet. Die Ermittlungen laufen wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten. Schon stellen deutsche Zeitungen die Frage, ob Böhmermann jetzt in den „Knast“ müsse.
Doch wahrscheinlich ist das nicht. Schließlich hat er sein „nicht erlaubtes Schmähgedicht“ unübersehbar in einem satirischen Umfeld – sprich in seiner Show – präsentiert. Falls es tatsächlich zu einem Prozess kommt, dürfte es vor Gericht einen Unterschied machen, ob da jemand eine Person des öffentlichen Lebens ansatzlos beleidigt oder ob dies in einem satirischen Kontext geschieht. Schließlich hatte Böhmermann lange und ein wenig umständlich erläutert, was ein Schmähgedicht ist und warum es verboten ist, bevor er schließlich zum Vortrag desselben schritt.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat mittlerweile Strafantrag gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung gestellt. Ein entsprechendes Schreiben sei eingegangen, teilte die Staatsanwaltschaft Mainz mit.
Ein „Stück satirischer Genialität“?
Mit professionellem Instinkt für Themen hatte am Sonntagabend auch ARD-Moderatorin Anne Will den Namen Böhmermann in ihre Runde geworfen. Dort geriet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen gar ins Schwärmen: Böhmermann sei ein „Stück satirischer Genialität“ gelungen. Zwar sei das Gedicht geschmacklos, aber es habe eine Botschaft gehabt, weil es dazu gezwungen habe, „jetzt über Grenzen der Satire“ zu reden. Noch besser lief es am Montag für Böhmermann. Zunächst garantierte ihm das ZDF, dass er sein Magazin wie bisher weiterführen dürfe.
- Böhmermann entfacht Debatte um Satire
Jener Sender also, der das böse Gedicht recht schnell aus der Mediathek im Internet gelöscht hatte. Im Laufe des Tages kam auch von unerwarteter Seite aufmunternde Unterstützung: Ausgerechnet der griechische Ex-Finanzminister Gianis Varoufakis twitterte die Zeilen „Hände weg von Böhmermann“. Die beiden Herren haben nicht zum ersten Mal miteinander zu tun. Der Satiriker hatte im März 2015 behauptet, er persönlich habe ein Video gefälscht, in dem der Grieche Deutschland symbolisch den Mittelfinger zeigt. Zuvor hatte Günther Jauch Varoufakis mit dieser Sequenz in seiner Talkshow konfrontiert. Für diese Aktion erhielt Böhmermann sogar den Grimme-Preis. Bei der Preisübergabe in der vergangenen Woche fehlte er. Auf Facebook ließ er anklingen, dass ihn die Wucht der Reaktion auf sein Schmähgedicht doch etwas geschockt hat: „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe.“ Wer vermag schon zu beurteilen, ob das nun wiederum ernst gemeint war oder nicht?
Verbürgt ist jedenfalls, dass sich der Kabarettist Dieter Hallervorden von Böhmermann inspirieren ließ. Der 80-Jährige dichtete nicht, aber er sang für die Freiheit von Satire – und gegen Erdogan. Doch er hatte auch einen Wunsch an den Präsidenten: „Erdogan, zeig? mich an“, flehte er und „Erdogan, Erdogan, mach' auch meinen Song bekannt. Erdogan, Erdogan, sei nur einfach wutentbrannt.“ Das wurde schon in der ersten Stunde auf Facebook 800 Mal geteilt und mehr als 2700 Mal geliked.
https://www.facebook.com/aktuellestunde/videos/984924038222812/ Im Streit um das Erdogan-Gedicht stellt sich jetzt Dieter Hallervorden auf die Seite von Jan Böhmermann. Als Reaktion hat er auf seiner Facebook-Seite sein eigenes Erdogan-Lied veröffentlicht. Wir haben darüber gerade mit ihm gesprochen und gefragt, warum. Posted by Aktuelle Stunde on Montag, 11. April 2016
Und wie beurteilen fränkische Kabarettisten den Fall? Wird so das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Satire geschärft, für diese Mischung aus Spott und Hohn, aus Polemik und Beleidigung? Und spaltet Satire die Gesellschaft?
„Nein, nicht die Satire spaltet die Gesellschaft, sondern das eigentliche Thema der Satire spaltet die Gesellschaft. Satire befeuert nur die Diskussion“, denkt der Kabarettist Michl Müller, der seit 2015 eine eigene Comedy-Sendung im Ersten hat („Drei. Zwo. Eins. Michl Müller“). „Jan Böhmermann hat übrigens keine Satire über Erdogan gemacht, sondern über die Satire selbst“, sagt Müller. „Humor ist ja der große Überbegriff, der alles einschließt. Humor ist grenzenlos!“
Der Satiriker, das „ungebändigte Tier“
„Satiriker, das sind wilde, ungebändigte Tiere, die man kaum in Zaum halten kann. Sie wollen immer besser, höher, weiter als die anderen. Leider bleibt dabei oft die gute Kinderstube auf der Strecke“, findet Kabarettistin Heike Mix, die aus der Würzburger Kulturszene kaum wegzudenken ist. Ob beim Theater am Schützenhof, im Duo „Süß & Mix“ – die Komödiantin und Kabarettistin tritt auf vielen Bühnen auf. „Eine gute Karikatur, eine gute Pointe versteht die Gesellschaft auf Anhieb. Bei Schmähparolen scheiden sich die Geister. Herr Böhmermann hat gewusst, was er da sagt, nun muss er mit den Konsequenzen leben“, bekräftigt Mix.
„Satire sollte alles dürfen“, sagt der Würzburger Kabarettist Angelo Sommerfeld alias Martin Maria Eschenbach, der gerade mit seinem Programm „Sink Big“ im Theater am Neunerplatz in Würzburg auf der Bühne steht. „Was Jan Böhmermann da geschafft hat ist – lustig oder nicht, das muss jeder selbst entscheiden–, dass man sich in höchsten Kreisen mit ihm und seiner Wortwahl beschäftigt. Also PR-technisch ein Filetstück“, kommentiert Sommerfeld.
Der Würzburger Kabarettist Georg Koeniger („Totales Bamberger Cabaret“) findet, dass einem Kabarettisten „kaum was Besseres“ passieren kann, „als dass ihm der Staatsanwalt auf den Hals gehetzt wird“. „Chapeau, Jan B.“, zieht er den Hut vor Böhmermann. Und kann es nicht lassen, ebenfalls augenzwinkernd auf den Satire-Zug aufzuspringen: Er arbeite gerade selbst an einem Schmähgedicht über einen unpopulären Politiker aus dem Süden, sagt er, finde aber keine beleidigenden Reimwörter auf Söder. Außer „öder, blöder,...“ Ob das wohl reicht für eine Anklage?
die nichts besseres zu tun haben, als die Gerichte mit unnötigen und kleingeistigen Klagen zu beschäftigen.
Mir fehlt jedenfalls total jegliches Verständnis für Erdogans Verhalten.
Und dann auch noch gleich die ganz große Karte, Zitat: "...Das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung Erdogans, sondern aller 78 Millionen Türken, so Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus...." und weiter "Böhmermann habe ein "schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen"...
(Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/boehmermann-a-1086640.html)
Geht's noch?
Ach ja @Franken48, Sie können das ja gut verstehen...
Sollte demzufolge Frau Merkel nicht auch eine Beleidigungsklage im Namen von 80 Millionen Deutschen in Griechenland einreichen wg. der Karikatur mit Hitlerbärtchen?
Ich bin gespannt ob die Werte unserer Demokratie immer mehr aufgeweicht werden oder dem Türkei-/ EU-Flüchtlingsdeal zum Opfer fallen.
MfG