In der Politik ist es ein bisschen wie an Silvester: Desto weiter die Zielmarke der guten Vorsätze in der Zukunft liegt, desto unwahrscheinlicher ist deren Realisierung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist nun von dem 2012 von Horst Seehofer aus dem Hut gezauberten Ziel, Bayern bis 2030 komplett schuldenfrei zu machen, abgerückt. Ein paar Jahre mehr oder weniger, um das Ziel zu erreichen, seien nicht so wichtig, findet er.
Nur geht es nicht um ein paar Jahre: Bislang will der Freistaat jährlich rund 500 Millionen Euro Altschulden tilgen – was bei einem Schuldenstand von rund 27 Milliarden Euro eine Schuldenfreiheit irgendwann in der 2070er Jahren bedeuten würde. Der Weg sei wichtiger, als der Zeitpunkt der Ankunft, versuchte sich Schulden-Guru Söder schon im Winter in fernöstlicher Philosophie. Zudem werde man ein Ziel nie erreichen, wenn man es vorher aufgebe.
Es wird nichts mit der kompletten Tilgung - nicht 2030 und nicht ein paar Jahre später
Dieser Logik mag man folgen. In der Politik gilt allerdings auch: Wer ein Ziel aufrecht erhält, obwohl allen klar ist, dass er es nie erreichen wird, der macht sich früher oder später unglaubwürdig. Insofern wäre es für Söder an der Zeit, den Eiertanz um das Schuldenziel zu beenden und endlich Klartext zu reden: Es wird nichts werden mit der vollständigen Tilgung. Nicht 2030. Und auch nicht ein paar Jahre später.
Vielleicht fällt Söder dieses Eingeständnis ja deshalb so schwer, weil er es selbst war, der als Seehofers Finanzminister in Zeiten üppig sprudelnder Steuereinnahmen kein Tilgungstempo durchsetzen konnte, dass das Ziel hätte erreichbar werden lassen. Hinzu kam der CSU-Dauerschwindel mit dem neuen Länderfinanzausgleich, der Bayerns Verbindlichkeiten über üppige Mehreinnahmen quasi von selbst hätte verschwinden lassen sollen. Doch statt der erhofften Milliarden-Entlastung bleiben für den Staatshaushalt nun nur gut 200 Millionen Euro extra übrig.
Andererseits hat Söder Bayerns Schuldenstand seit 2012 um rund 5,5 Milliarden Euro reduziert – was immerhin gut die Hälfte der Steuergeld-Summe ist, die die CSU-Regierung nach 2008 bei der Landesbank verpulvern musste. Das ist zweifellos besser als nichts – zumal Bayern ohne Frage über sehr solide Staatsfinanzen verfügt. Vor diesem Hintergrund ist die von Söder indirekt aufgeworfene Frage, ob denn die Schuldentilgung zum staatspolitischen Fetisch werden muss, an dem - komme, was wolle - festgehalten wird, berechtigt: Wäre es auch angesichts historisch niedriger Zinsen nicht sinnvoller, das Geld in die wirtschaftliche Zukunft des Landes zu stecken?
Schuldentilgung muss auch in Bayern nicht zum staatspolitischen Fetisch werden
Zumal auch im reichen Bayern riesige Investitionslücken klaffen: Allein die Sanierungskosten für marode Universitäten und Kliniken schätzen Experten auf bis zu 7,5 Milliarden Euro. Auch bei wichtigen Forschungsthemen vom Auto der Zukunft über die Luftfahrt bis zur Künstlichen Intelligenz reicht das freistaatliche Fördergeld bislang vorne und hinten nicht.
Warum also nicht zumindest die bis 2020 eingeplante Tilgungsmilliarde für Zukunftsinvestitionen verwenden? Der Frage wäre leichter zuzustimmen, hätte die Söder-Aiwanger-Regierung ihre Koalition nicht mit einem Füllhorn staatlicher Wohltaten besiegelt, die die Staatskasse nun jährlich mit rund zwei Milliarden Euro belasten.
Investieren statt Schulden tilgen ist in diesen Zeiten trotzdem eine Überlegung wert – sofern das Geld für echte Zukunftsprojekte verwendet wird und im zuletzt üppig aufgeblähten Haushalt ernsthaft nach Einspar-Möglichkeiten gesucht wird. In zunehmend unsicheren Zeiten muss Bayern mutig in seine Zukunft investieren. Dafür braucht es aber klare politische Konzepte. Schwammiger Silvester-Vorsätze reichen dafür nicht.