Dürfen große Discounter ihr Image mit heimischer Bio-Qualität aufbessern? Also genau diejenigen, die oft jahrelang selbst Teil des Problems waren, eines immer stärkeren Preisdrucks auf die Bauern zugunsten billiger Lebensmittel und der damit einhergehenden Industrialisierung der Landwirtschaft?
Die Antwort ist: Sie dürfen es nicht nur, sie müssen es sogar. Wenn die großen Player am Lebensmittelmarkt nicht mitspielen, wird sich auch künftig nicht viel am System verändern. 25 Millionen Menschen kaufen jede Woche allein in deutschen Lidl-Filialen ein. Millionen an Verbraucher sind es auch bei Aldi, Penny, Netto und Co. Diese Masse steht nicht an der Kasse vom Naturkostladen. Also muss es diesen Konsumenten so leicht wie möglich gemacht werden, sich für heimisches Bio zu entscheiden.
Artenschutz statt Schnäppchenjagd
Die Zeit dafür scheint reif. Begriffen haben mittlerweile viele, dass wir, wenn wir so weitermachen wie bisher, vor allem uns selbst schaden. Ob Nitrateinträge in unsere ohnehin sinkenden Grundwasserreserven, Mikroplastik im Fisch oder Antibiotika im Fleisch, letztendlich trinken oder essen wir unsere eigenen Umweltsünden. Knapp 1,8 Millionen Menschen in Bayern haben das Volksbegehren für mehr Artenvielfalt unterschrieben. Die Gewissheit, dass es falsch ist, mit unseren Lebensgrundlagen weiter so umzugehen wie bisher, sickert ins Bewusstsein der Masse.
Studien über die Essgewohnheiten der Deutschen zeigen, dass zwar fast jeder Zweite auf gesunde Ernährung Wert legt, doch gerade einmal vier Prozent tatsächlich an der Kasse auf Tierwohl und Naturschutz achten. Stellen wir uns also vor, ein teureres Produkt wird beworben mit "30 Prozent mehr Artenvielfalt" oder "50 Prozent mehr Trinkwasserschutz" - würden wir es kaufen? Oder hätten wir nicht eher das Gefühl, dass wir gegenüber unserem Nachbarn, der zum Schnäppchen greift, einen Nachteil hätten? Der Geschäftsleiter Einkauf von Lidl Deutschland, Jan Bock, formuliert es so: „Dinge verkaufen sich - und das klingt vielleicht böse - wenn der Kunde egoistisch für sich selbst einen Vorteil sieht." Das heißt, die meisten interessiert ein Thema, je näher es an sie selbst heranrückt. Näher als der fair bezahlte und biologisch angebaute Kaffee in Afrika ist die heimische Landwirtschaft oder die eigene Gesundheit. Wenn also der Bauer um die Ecke elf Mal übers Feld fährt und spritzt, kann das für mich als Verbraucherin, die ich einen Waldspaziergang mache oder das Produkt esse, nicht gesund sein. Dann bin ich vielleicht auch bereit, für mehr Aufwand und weniger Gift auf dem Acker, mehr Geld zu bezahlen.
Öko: Viele Landwirte stehen in den Startlöchern
Kurzum: Wenn alle, die beim Volksbegehren Artenvielfalt ein Kreuzchen gemacht haben, tatsächlich eine Verdreifachung des ökologischen Landbaus in Bayern haben wollen, müssen sie auch für eine Verdreifachung des Konsums heimischer Bio-Lebensmittel sorgen. Viele Bauern stehen dazu bereits in den Startlöchern. Laut einer Umfrage des Bauernverbandes können sich 17 Prozent der deutschen Landwirte eine Umstellung auf öko vorstellen. Doch eine Masse an ökologischen Lebensmitteln darf nicht heißen, dass die Landwirte kein Geld mehr verdienen. Ebenso, wie es nicht bedeuten darf, dass Tierwohl oder Artenschutz darunter leiden und die Richtlinien strenger Ökolabel aufgeweicht werden. Nur eine Verdreifachung der Nachfrage hält die Preise der Erzeuger stabil. Konsumenten müssen dafür endlich auch massenhaft Verantwortung übernehmen.
Nachhaltigkeit darf keine Frage der Ideologie mehr sein. Wenn wir es wirklich ernst meinen, müssen alle in der Kette - egal, ob ökologisch oder nicht - an einem Strang ziehen: Bauern, Händler, Unternehmen und Konsumenten. Daher ist die Entscheidung des Anbauverbands Bioland mutig, aber konsequent und richtig!