"Ich hatte zuerst Bauchweh", sagt Ralf Bund. Der Wertheimer Ökolandwirt spricht von der Kooperation, die seine Erzeugergemeinschaft Bioland mit dem Discounter Lidl eingegangen ist. Seit Januar können Lidl-Kunden Milch, Mozarella und Hartkäse in heimischer Bio-Qualität kaufen. Einzelne Bioland-Produkte wie Äpfel, Kresse und Gartenkräuter gibt es dort bereits seit November. Weiteres Obst und Gemüse soll schrittweise folgen.
Für manchen Ökolandwirt, Naturkosthändler oder überzeugten Biokäufer kommt dieser Schritt einem Hochverrat gleich. Denn dass sich die auf Preiskampf gebürsteten Billiganbieter seit einigen Jahren auch ein Stück des Kuchens – eines stetig wachsenden Bio-Umsatzes in Deutschland – sichern wollen, daran hat man sich gewöhnt. Aber in der Regel erfüllt Ökoware in Discountern nur die Bio-Mindeststandards, auf die sich die EU-Länder als kleinsten gemeinsamen Nenner vor rund zehn Jahren geeinigt haben.
Für die mehr als 7800 Bioland-Bauern aus Deutschland und Südtirol dagegen gelten strengere Regeln als beim EU-Biosiegel. So dürfen weniger Tiere je Hektar gehalten werden, der Einsatz von Medikamenten ist strikter reguliert. Kühe sollen, wann immer es geht, auf der Weide grasen. Die ausschließliche Fütterung mit Silage ist verboten. "Die Tiere leben länger, sind gesünder und die Milch ist besser", sagt Bauer Bund. Das kostet mehr und macht Bioland-Produkte teurer. Ähnliches gilt für andere Bio-Siegel in Deutschland, etwa Naturland oder Demeter.
Die beiden anderen großen Bioanbauverbände sind alles andere als begeistert über die Kooperation zwischen Bioland und Lidl. Naturland-Präsident Hubert Heigl sagt: "Durch den Discount kommt bio zwar noch stärker in die Breite, eine strategische Zusammenarbeit würde aus unserer Sicht aber das falsche Signal senden, dass bio billig zu haben sei." Ähnlich äußert sich Demeter-Sprecherin Susanne Kiebler. Sie sagt, Wachstum im Bio-Anbau sei zwar notwendig, doch Discounter seien für sie ausgeschlossen.
Demeter ist der Anbauverband mit den strengsten Ökorichtlinien. Trotzdem laufen etwa 20 Prozent der Umsätze mit Demeter-Produkten inzwischen über den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Aktuell hat der Verband Verträge mit tegut, dm, Globus und Edeka. Zwölf Demeter-Hersteller beliefern Kaufland und Real. Mehr als 200 Produkte auf der Internetseite von Rewe tragen das Naturland-Siegel. Supermarkt ja, Discounter nein, so die einhellige Meinung.
Bei Aldi Süd gibt es derzeit keine Kooperation mit einem deutschen Bio-Anbauverband. Man wolle dies aber für die Zukunft nicht generell ausschließen, sagt eine Unternehmenssprecherin.
Elke Röder, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), der sowohl die Hersteller ökologischer Lebensmittel als auch den Bio-Fachhandel vertritt, sagt: "Bio und Discount passen nicht zusammen." Der Discount habe in den vergangenen Jahrzehnten einen sehr hohen Preisdruck aufgebaut und damit die Industrialisierung der Landwirtschaft verstärkt. "Hecken und Bäume wurden gerodet, um maschinentaugliche Flächen zu erhalten. Der Einsatz von Ackergiften und synthetischen Düngemitteln steigt jährlich. Wer dabei nicht mithalten konnte oder wollte, musste schließen." Heute gebe es Dörfer ohne Bauernhöfe, "etwas, was früher nicht denkbar war". Die Öko-Bewegung dagegen sei angetreten, bäuerlichen Familienbetrieben eine Perspektive zu bieten.
Einer von diesen Familienbetrieben ist Bauer Bund in Wertheim (Main-Tauber-Kreis). Vor 50 Jahren fing sein Vater mit 13 Hektar und sechs Kühen an. 1991 übernahm Sohn Ralf den Betrieb. So manches Mal kämpfte die Familie um ihre Existenz. Doch der Hof überlebte. Und wuchs. Heute bewirtschaften die Bunds 190 Hektar und halten 158 Rinder. Nach 20 Jahren hatte Ralf Bund von konventioneller Landwirtschaft die Nase voll. Spätestens, als es nicht mehr ausreichte, das Schneckenkorn in seinem Rapsfeld einmal im Herbst auszubringen, als die neuen Sorten plötzlich Fungizide fürs Wurzelwachstum benötigten, als die Insektizide im Frühjahr nicht mehr wirkten und Gifte aus einer anderen Wirkstoffgruppe nötig machten, als leistungsstärkere Sorten so empfindlich wurden, dass er immer öfter und länger hatte spritzen müssen. "Zum Schluss bin ich elf Mal durch meinen Raps gefahren. Das hat mir gestunken."
Das war 2009. Damals habe er sich gefragt: "Ist es das, was wir für unsere Kinder wollen?" Doch die Umstellung auf Öko kostet Geld. Viel Geld. Im Fall des Wertheimer Milchviehbetriebs eine siebenstellige Summe. Und der Bauer brauchte jemanden, der seine teurer produzierte Milch kauft.
Der erlösende Anruf kam am 9. Mai 2010. Die Molkerei Zott versprach, die Biomilch des Wertheimers abzunehmen. Einen Tag später stellte Ralf Bund seinen Betrieb um. "Das war das Beste, was mir je eingefallen ist – nach der Entscheidung, meine Frau zu heiraten." Seither, so sagt er, könne er auf Augenhöhe mit seinen Abnehmern kommunizieren. Es sei ein befriedigendes Arbeiten.
Wie ihm ergehe es vielen, sagt Bioland-Präsident Jan Plagge. 17 Prozent der deutschen Landwirte denken derzeit über eine Umstellung auf bio nach, so eine Umfrage des Deutschen Bauernverbandes. Doch Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Würden alle Landwirte gleichzeitig umstellen, purzelten die Preise und so mancher ginge dabei bankrott.
Denn obwohl die Biobranche seit Jahren boomt und 2017 der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln erstmals auf zehn Milliarden Euro geklettert ist, erreichen Bio-Lebensmittel noch immer nicht die breite Masse der Kunden. Mit fünf Prozent ist der Anteil der Bioprodukte am Lebensmittelmarkt verschwindend gering. Zehn Prozent der Fläche wird in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Das Ziel der Bundesregierung ist es, diesen Anteil bis 2030 zu verdoppeln. Das bayerische Volksbegehren Artenvielfalt fordert gar, künftig ein Drittel der Flächen im Freistaat ökologisch nachhaltig zu bewirtschaften.
Dass Wunsch und Realität so weit auseinander klaffen, ist für Bioland-Präsident Jan Plagge ein Grund für das Bündnis der beiden ungleichen Partner Lidl und Bioland. Er sagt: "Wenn wir eine Verdreifachung des ökologischen Landbaus wollen, brauchen wir auch eine Verdreifachung der Verbraucher, die gemeinsam mit den Landwirten so abgestimmt und parallel wie möglich auf den Konsum von heimischen Bio-Lebensmitteln umstellen."
Die Chancen stehen gut. Wurde bio früher oft belächelt, kauft heute jeder zweite Deutsche laut Ökobarometer, einer Umfrage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, gelegentlich Biolebensmittel; Tendenz steigend. Vor 20 Jahren sah das anders aus. Jan Bock, Geschäftsleiter Einkauf von Lidl Deutschland, berichtet von Lidls ersten erfolglosen Versuchen, biologische Artikel anzubieten. "Vor 18 Jahren war der Kunde im Discounter nicht bereit, bio zu kaufen." Heute sei die Akzeptanz da, gerade bei jüngeren Kunden.
An Kunden mangelt es dem Lebensmittel-Riesen nicht: Jede Woche kaufen 25 Millionen Menschen in deutschen Lidl-Filialen ein. Dem Naturkosthändler oder kleinen Hofladenbesitzer, der bei dieser Dimension weiche Knie bekommt, antwortet Jan Bock: "Bio muss aus der Nische herausgeholt werden." Würde insgesamt mehr heimisches Bio gekauft, wirke sich das auch positiv auf Naturkostläden und Bio-Supermärkte aus, die ohnehin mit mehr Beratung, Wohlfühlatmosphäre, weniger Verpackung und einem breiteren Öko-Sortiment ein anderes Publikum ansprechen. "Die Flut hebt alle Boote." Doch wie viele der Lidl-Kunden sind auch bereit, mehr Geld auszugeben?
Momentan wachsen auch bei Lidl die Umsätze mit bio, sagt Bock. In den Städten mehr als auf dem Land. Wie viel genau, ließ er offen. Schrittweise werde man versuchen, weitere Bioland-Produkte einzuführen. Doch bevor man neue Landwirte mit ins Boot hole, werde man testen, ob die Kunden des Discounters bereit sind, auch mehr dafür zu bezahlen. Karotten umzustellen, sei wegen des geringen Preisunterschieds relativ einfach. Unrealistisch dagegen sei die Umstellung bei Geflügel, das bereits in EU-Bioqualität drei Mal so teuer ist als bei konventioneller Haltung.
"Bleiben Sie standhaft. Sichern Sie ab, dass es echte Bioqualität bleibt." Diese und ähnliche Briefe erhält der Bioland-Präsident Jan Plagge derzeit von verunsicherten Verbrauchern. Die Bioland-Kriterien nach unten zu entwickeln, sei das letzte, was Lidl wolle, versucht der Lidl-Vertreter zu beruhigen. "Das würde die Basis auch nicht mitmachen. Dann wäre Krieg", erwidert Bauer Bund grimmig. Seine Reaktion zeigt, wie umstritten die Kooperation auch innerhalb des Anbauverbands ist. Zwei Jahre lang haben die Mitglieder mit sich gerungen. "Als wir das erste Mal von der Idee hörten, war Lidl ein Feinbild", sagt Bund. Viele fürchten, dass die Bauern durch den Preiswettbewerb stärker unter Druck gesetzt werden, so dass sie nicht mehr auf Pestizide und Nitratdünger verzichten können oder dass sich der Trend zum Großbetrieb und zur Intensivierung auch bei Bio am Ende durchsetzt.
Fakt ist: Ohne Lidl gäbe es keinen Emmentaler oder Mozzarella in Bioland-Qualität. "Wir hatten seit Jahren das Problem, dass wir zwar Biomilch erfasst haben, aber nicht verarbeiten konnten, weil keine entsprechende Abnahmemenge dahinter war", sagt Christian Schramm, Leiter Milcheinkauf der Molkerei Zott, die Bauern und Discounter zwischengeschaltet ist.
Fakt ist auch: Momentan profitieren kleine bis maximal mittelgroße Betriebe aus Bayern und Baden-Württemberg von der Partnerschaft, weil sie nicht mehr austauschbar sind gegenüber den günstigeren Exporten aus anderen EU-Ländern. "Wir müssen die Verbraucher an ihrem Einkaufsort abholen, unter anderem eben auch im Discounter", ist Bioland-Präsident Jan Plagge überzeugt.
Eigens eingerichtete Ombudsstelle soll Streit schlichten
Und nicht nur die Bauern, sondern auch der Discounter ist bei der Kooperation über seinen Schatten gesprungen. Lidl hat sich verpflichtet, nicht mit Billigpreisen für Bioland-Produkte zu werben, sondern mit Qualität. Langfristige Lieferverträge und umfangreiche Verträge sollen Bioland-Mitglieder absichern. Werden Fairplay-Regeln nicht eingehalten, kann eine anonyme Ombudsstelle Sanktionen gegenüber Lidl aussprechen. Trotzdem bleibt ein Restrisiko, vor allem für Bioland.
Bauer Bund formuliert das so: "Ich hoffe, dass es Lidl auch in Zukunft wertschätzt, dass wir bei ihm sind. Ich habe immer noch Bauchweh, hoffe aber, dass es mit den Jahren weniger wird."
Gruß
...ertappt
Seit froh wenn die Discounter regionale Produkte verkaufen, die könnten das Gleiche auch aus dem Norden beziehen, dann schaut ihr erst recht blöde "drein"! Mein Gott neh!
Wenn die großen Einzelhändler auch voll in denn Bio Markt einsteigen, dann brauchen die Massen an Waren.
Schauen sie sich nur Unterpleichfeld an, Riesen Biobetrieb, vieles unter Folie und Folientunnel(Plastik). Und dann noch Hunderttausende vom m3 Grundwasser fördern zum Bewässern. Raubbau auf den Flächen und der Natur in Reinform
Mein Gott lieber Maryan,
wenn Du Bio-Produkte gekauft hättest wären Liddl und Co nicht so groß geworden und wir hätten noch eine kleine funktionierende Landwirtschaft und den Tante Emma-Laden um die Ecke.
Aber nein,
Dir war ja die Milch von kleinen Bauern zu teuer und nicht steril genug.
Diese Marktlücke haben Liddl und Co schamlos ausgenutzt, haben die Preise gedrückt, die Bauern vernichtet und sind ganz nebenbei Milliardär geworden!
Aber Dir war das Recht, denn vom ersparten bist Du mehrmals im Jahr in den Winterurlaub gefahren.
Wie Scheinheilig ist das denn?
Und jetzt glaubst Du ernsthaft, dass Liddl und Co kein Geld mehr verdienen möchten?
Sehr Naiv.
Gruß