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Würzburg
Gastbeitrag: Was man aus dem Anti-Aids-Kampf für Corona lernen kann
Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Unser Gastautor Dieter Wenderlein beschreibt, welche Lehren sich im Kampf gegen die Pandemie aus der Anti-Aids-Arbeit ziehen lassen. 
Das weltweit Symbol im Kampf gegen Aids und ein Symbol der Solidarität: die rote Schleife.
Foto: Arne Dedert, dpa | Das weltweit Symbol im Kampf gegen Aids und ein Symbol der Solidarität: die rote Schleife.
Dieter Wenderlein
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:23 Uhr

In manchen Gesprächen, die man derzeit über die Corona-Pandemie führt, fällt irgendwann der Vergleich mit HIV/Aids. Ganz klar: SARS-CoV-2 ist nicht HIV und Covid-19 ist nicht Aids. Und trotzdem lohnt es sich, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Pandemien zu betrachten.

Beide Infektionen haben ihr eigene Dynamik: Während das Coronavirus leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird und schnell eine akute Erkrankung verursachen kann, gilt HIV als ein schwer übertragbares Virus, das unbehandelt die langsam fortschreitende, tödliche Krankheit Aids auslöst.

Allein die Zahlen der Verstorbenen belegen das tödliche Potenzial beider Pandemien: Bisher sind weltweit über 1,46 Millionen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. An den Folgen von HIV starben allein 2019 weltweit 690 000 Menschen, und das, obwohl es seit 1996 hochwirksame Medikamente gibt, die die HIV-Infektion zu einer gut beherrschbaren, chronischen Erkrankung machen.

Weltweit haben 33 Prozent der Betroffenen keinen Zugang zu Therapien

Teil der Tragödie von HIV ist, dass nicht wie bei Covid-19 der Mangel an therapeutischen Möglichkeiten für die vielen Todesfälle mitverantwortlich ist, sondern dass weltweit noch immer 33 Prozent der Betroffenen keinen Zugang zur lebensrettenden Aids-Therapie haben. Menschen in Aids-Therapie können zudem niemanden mehr anstecken. Und während Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 wohl in naher Zukunft verfügbar sein werden, ist trotz jahrelanger Forschung kein wirksames HIV-Vakzin in Sicht.

Zu Beginn der Corona-Pandemie prognostizierte man für Afrika eine rasante Ausbreitung von Corona, doch glücklicherweise ist der Kontinent (bis auf Südafrika) bisher epidemiologisch weniger hart getroffen als befürchtet. Man führt dies darauf zurück, dass viele Regierungen früh und drastisch mit Ausgangsbeschränkungen reagierten, dass sich das Leben wegen der wärmeren Temperaturen mehr im Freien abspielt und die Bevölkerung mit durchschnittlich 19 Jahren sehr jung ist.

Der Würzburger Dieter Wenderlein von der Gemeinschaft Sant'Egidio bei einem seiner Auslandseinsätze.
Foto: Sant'Egidio | Der Würzburger Dieter Wenderlein von der Gemeinschaft Sant'Egidio bei einem seiner Auslandseinsätze.

Möglich ist auch, dass das Immunsystem der Menschen in Afrika wegen der vielen anderen Infektionen oft anders reagiert als das von Europäern. Zudem werden viele Fälle nicht erkannt, da die Testkapazitäten schlecht sind.

Die negativen Auswirkungen der weltweiten und lokalen Beschränkungen auf afrikanische Ökonomien und den Tourismus und die Folgen der Unterbrechung von Lieferketten sind gravierend – der Hunger nimmt zu, Arbeitsplätze gehen verloren und die Staatsschulden wachsen. UNAIDS , das Hilfsprogramm der UN, berichtet, dass weniger HIV-Tests durchgeführt werden und die Zahl der Schwangeren, die an Programmen zur Verhinderung der HIV-Übertragung auf ihr Baby teilnehmen, sank. Man fürchtet die Unterbrechung von Therapien durch Medikamentenengpässe.

Drei Schlüsse für die Corona-Pandemie 

Aus der inzwischen fast 40-jährigen Erfahrung mit HIV/Aids lassen sich einige Schlüsse für die Corona-Pandemie ziehen:

1. Geradezu reflexhaft reagieren manche Regierungen auf Corona mit Leugnen, Faktenverzerren und der Suche nach Schuldigen, um sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen. Krankheiten mit einem Stigma zu versehen ist ein altes, trauriges Muster: Anfang der 80er Jahre bezeichnete man in den USA AIDS als "Schwulen-assoziierte Immunstörung" und diskriminierte Haitianer als angebliche Überträger. Während der großen Pestepidemien wurden Juden als Brunnenvergifter beschuldigt, in Frankreich bezeichnete man die Syphilis zum Ende des 15. Jahrhunderts als "italienische Krankheit", und die "Spanische Grippe" von 1918 bis 1920 kam wahrscheinlich aus den USA. So kommen zu den gesundheitlichen Gefahren noch Vorurteile und die Diskriminierung von Minderheiten hinzu, anstatt Netzwerke der Solidarität aufzubauen.

2. Nur wissenschaftliche Forschung, die belastbare Daten generiert, um komplexe Zusammenhänge zu beschreiben und Risikofaktoren zu bewerten, kann als Basis für Entscheidungen über Strategien und Therapien gegen Corona dienen. Denn eine tragische Tatsache in der Geschichte von HIV/Aids ist, dass hunderttausende Afrikaner am Anfang dieses Jahrtausends an Aids starben, nur weil Regierungen die Epidemie leugneten, wissenschaftliche Evidenz ablehnten und bei manchen westlichen Akteuren die Aids-Therapie in Afrika als undurchführbar galt.

3. Aids zeigt, wieviel Mühe es kostet, Infektionskrankheiten auch nur halbwegs in Schach zu halten. Die Entwicklungshilfe, die jahrzehntelang in afrikanische Gesundheitswesen investierte, zahlt sich in der Corona-Pandemie nun aus.  Denn die mit beträchtlichem Aufwand gestärkten Gesundheitssysteme sind besser vorbereitet auf die neue Pandemie. HIV-Kampagnen dienen als Vorbilder für die Aufklärung über Corona. Die 50 HIV-Behandlungszentren, die das "Dream-Programm" der Gemeinschaft Sant’Egidio in Mosambik, Malawi oder Kenia aufgebaut hat, beteiligen sich an den nationalen Schutzkampagnen gegen Corona, an der Laborauswertung von Corona-Tests und Lebensmittelhilfen.

Das mag im globalen Kontext ein kleiner Beitrag sein, doch er ist modellhaft und eines von vielen Beispielen, dass Solidarität und Kooperation nachhaltige Strukturen aufbauen und am Ende Menschenleben retten – sowohl vor HIV als auch vor Corona.

Wenn sich also etwas aus der Geschichte von HIV lernen lässt, dann das: Solidarische und vernünftige Gesellschaften kommen besser durch eine solche Krise. Kooperation und wissenschaftliche Evidenz sind gemeinsam mit Schutzmaßnahmen und Medikamenten die wichtigsten Ressourcen.

Der Autor

Dieter Wenderlein, geboren 1966, studierte Pharmazie in Würzburg und wurde an der Universität Pisa mit einer Studie über Aids-Therapie in Afrika promoviert. Seit 1988 ist er Mitglied der Gemeinschaft Sant’Egidio. Er leitet die Eine-Welt-Arbeit von Sant’Egidio Deutschland und bereist hierfür regelmäßig vor allem afrikanische Länder.
Quelle: MP
 
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