Kann man Amoktaten verhindern? Mit dieser Frage beschäftigt sich Professorin Britta Bannenberg vom Lehrstuhl für Kriminologie an der Universität Gießen seit dem Amoklauf von Erfurt 2002. Für ihre Forschung arbeitete sie sich durch Strafakten, sprach mit Opfern, Zeugen, Angehörigen und Tätern. Sie rekonstruierte Tatorte, Abläufe der Verbrechen sowie Persönlichkeit und Verhalten der Täter Jahre vor der Tat. Sie besuchte Justizvollzugsanstalten und Psychiatrien. In einem Forschungsprojekt von 2013 bis 2016 hat die führende deutsche Expertin für Amoktaten mit Kollegen alle Amokläufe in Deutschland analysiert. Sie sagt: "Wenn man weiß, wie Täter denken, wie sie sich entwickeln und verhalten, kann man Amokläufe verhindern."
Britta Bannenberg: Unsere Forschung zeigt, dass es vor jedem Amoklauf sehr intensive Anzeichen im Vorfeld gegeben hat. Die Täter haben mehrfach Sympathien für andere Amoktäter gezeigt, sich bedrohlich geäußert und sich teils jahrelang mit amerikanischen Amoktaten befasst. Das heißt: Amoktaten lassen sich verhindern, vielleicht nicht alle, aber die meisten.
Bannenberg: Die Täter wollen unsterblich werden, indem sie andere töten. Sie wollen sich an allen rächen, weil sie glauben, schlecht behandelt worden zu sein. Ihre Rache ist irrational, weil sie psychisch gestört sind. Wir haben alle Amoktaten in Deutschland untersucht und festgestellt: Die Täter waren weder Mobbingopfer noch wurden sie von Gleichaltrigen drangsaliert.
Bannenberg: Wenn es um Spekulationen über das Motiv des Täters oder gar um Rechtfertigung geht, ja. Denn das Einzige, was Täter wollen, ist Aufmerksamkeit - mit einem spektakulären Tötungsakt.
Bannenberg: Das hängt davon ab, ob die Personen aus dem sozialen Umfeld des Täters, die als erste merken, wenn sich jemand bedrohlich äußert, die Gefahr erkennen und ihr Wissen weitergeben. Viele haben Hemmungen, die Polizei, die Schulleitung oder den Chef zu informieren. Meist beruhigen sie sich selbst mit dem Gedanken "Eigentlich traue ich ihm das ja nicht zu...".
Bannenberg: Das Einsatztraining der Polizei hat sich massiv verbessert- auch aufgrund der Terrorgefahr. Da Amokläufe sehr selten sind, sinkt die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung für die Vorzeichen, die solche Taten erkennen lassen, seit Jahren.
Bannenberg: Jugendliche sind auffälliger. Sie surfen viel im Internet, agieren unter dem Nickname ehemaliger Amokläufer, sind aktiver bei Egoshooter-Computerspielen und geben meist viele Kommentare während eines Spiels ab.
Bannenberg: Man merkt bei Computerspielen am Verhalten des Spielers, ob jemand starke Sympathien für Tod, Amok und Terror hegt. Spiele sind nicht die Ursache für Amoktaten. Doch bei denjenigen, die eine Tat verüben wollen, sind sie ein Verstärker ihrer Tötungsfantasien, ebenso wie Musikvideos aus der Amokszene oder Bilder von echten Tätern.
Bannenberg: In diesem Fall war es ein junger Islamist. Seine Motivation war eine andere, doch seine Persönlichkeit war mit Sicherheit eine ähnliche. Anders als Gruppentäter im terroristischen Bereich haben Einzeltäter viel Ähnlichkeit mit Amokläufern.
Bannenberg: Ja. Insgesamt haben wir seit 2015 knapp 200 Anrufe aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland entgegen genommen. Etwa 20 Prozent der Anrufer können wir beruhigen, da keine Gefahr besteht. In den meisten Fällen müssen wir aber handeln.
Bannenberg: Wir beraten, sammeln Informationen und stehen im Austausch mit den jeweiligen Schulen, Behörden, Unternehmen, Agenturen für Arbeit oder den Menschen vor Ort, die mit dem mutmaßlichen Amokläufer zu tun haben. Meist wird die Polizei eingeschaltet. Wenn sich die Person schon in der Psychiatrie befindet, geht es darum, wie dort mit ihr umgegangen werden soll. Frauen, die befürchten, dass ihr Partner sie und die Kinder umbringen will, vermitteln wir an das Dezernat für häusliche Gewalt. Auch besorgte Schüler melden sich, die sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen.
Bannenberg: Schon oft haben die Personen, um die es ging, später gestanden, dass sie einen Amoklauf geplant hatten. Einige wurden in der Psychiatrie untergebracht. Es gab polizeiliche Maßnahmen. Das spricht dafür, dass es wichtig war zu intervenieren.
Bannenberg: Ja. Die Anrufe häufen sich aber auch, wenn in den USA ein Amoklauf stattfindet. Dann wird die Szene in Deutschland wieder aktiv. Menschen sind beunruhigt und melden sich.
Bannenberg: Es gibt eine Szene von Amok-Sympathisanten und psychisch labilen Menschen, die nach spektakulären Taten entweder Sympathien für die Täter äußern oder erkennen lassen, dass sie Ähnliches vorhaben. Darüber hinaus gibt es eine Fanszene, die sich über die Taten unterhält. Die Unterstützer würden selbst keinen Amoklauf begehen, regen aber die Fantasie derjenigen an, die tatsächlich dazu fähig sind.
Bannenberg: Dass nichts passiert...