Sehr geehrter Herr Kowalsky,
wie geht's Ihnen? Wo stecken Sie gerade?
Verzeihen Sie die direkte Frage. Aber das war diese Woche so ein „Was-macht-eigentlich . . .?“-Moment. Sie kam ziemlich überraschend, die Meldung am Dienstagnachmittag: Hassia schluckt Bionade. Radeberger verkauft die Rhöner Bio-Brause. Bionade! Die Kultmarke aus Ostheim. Begründer eines Booms auf dem Getränkemarkt, Trendsetter eines ganzen Branchensegments. Die Öko-Limo aller Öko-Limos, die Ihr Stiefvater erfunden hat. Damals, vor über 20 Jahren, in der kleinen Brauerei Ihrer Familie.
Haben Sie am Dienstag eine Bionade aufgemacht? Um Ihre Brause, die anfangs spritzig war und die sogar richtig überschäumend sein konnte bei unsachgemäßem Umgang mit der hübschen Flasche, ist es zuletzt ja eher still gewesen. Das bunte Wasser . . . irgendwie prickelte es nicht mehr so. Das Letzte, was man lesen konnte, war eine kleine Meldung im Februar, als eine neue Sorte auf den Markt kam, wieder mal. Johannisbeere-Rosmarin. „Die vielleicht wildeste Romanze im Bionade-Sortiment“, tönte die Marketingabteilung und versprach eine „fruchtig-herbe Ergänzung“.
Wenn's mal bloß keine herbe Enttäuschung war. Rosmarin? Da musste der Bionade-Fan was aushalten. Aber zugegeben, nie probiert.
Auch so eine Frage in dieser Woche: Wie viele Sorten Bionade gibt es eigentlich? Viele hatten ja Himbeer-Pflaume noch gar nicht mitbekommen, die ist seit 2014 auf den Markt. Aber da waren Sie schon gar nicht mehr beteiligt, seit 2012 gehört Bionade komplett der Radeberger-Gruppe. Also Dr. Oetker, dem Pudding- und Bierriesen. Ein Jahr vor Geschmacksrichtung rosa-lila gab's Streuobst, das hatte was. Und war ja sicher ganz in Ihrem Sinne: heimische Früchte verarbeiten, Streuobstwiesen erhalten, Bauern der Region ein Einkommen sichern. Parallel zu Streuobst stand noch was Neues im Regal: Cola. Ausgerechnet. Es gibt Mitmenschen, die trinken keine Bionade mehr seitdem. Ob Radeberger dachte, die Bionade-Cola sei wirklich eine nötige Koffein-Alternative auf dem Markt? Das Gute-Gewissen-Kaffeebohnen-Kräuter-Extrakt-Getränk für Leute, die nicht globale Großkonzerte reichtrinken wollen?
Apropos Radeberger. Trinken Sie eigentlich noch Bionade, seit sie vor acht Jahren das Lebenswerk Ihrer Familie an die Brauereigruppe aus dem Oetker-Konzern übergeben haben, lieber Herr Kowalsky? Wenn man überlegt – was war das für eine tolle Geschichte! Sie haben die Deutschen auf den Brausegeschmack gebracht. Sie haben eine kleine Privatbrauerei kurz vor der Pleite gerettet, in schwierigen Zeiten, als anderswo an den Braukesseln Konzerne das Kommando übernahmen und Billiganbieter mit Discounter-Bier den Markt überschwemmten. Und binnen weniger Jahre waren Sie die Nummer drei des Limonadenmarktes, nach Fanta und Sprite.
Es ist zur gern erzählten Legende geworden, wie Ihr Stiefvater Dieter Leipold in seinem kleinen „Labor“ in der Wohnung getüftelt hat. Weil er nicht nur gutes Bier für Erwachsene brauen wollte. Sondern auch an die Kinder dachte, die sollten auch was Gescheites trinken dürfen. Was Leckeres, Gesundes. Und aus der Rhön. Irgendwann, das haben Sie danach wieder und wieder irgendwo auf einer Messe, einem Gründertreffen, einer Großveranstaltung schildern müssen, ist er auf die Gluconsäure gestoßen, die Bienen aus Fruchtzucker machen. Sie machen mit der milden Säure ihren Honig haltbarer.
Und Ihr Stiefvater war sich sicher, dass er diese Verwandlung von Zucker in Gluconsäure imitieren muss für sein fermentiertes Getränk – als natürliche Alternative zur Phosphorsäure in den üblichen Limos. Viel, viel Geld hat all das Experimentieren gekostet. Doch irgendwann war sie dann gebraut – die erste Bionade. Die erste Ökolimo der Welt.
Erst wollte sie keiner, dann kam der Zeitgeist und vor 21 Jahren entdeckten in einer Bar im großen Hamburg die ersten Werber und Medienleute die eigentümliche, nachhaltige Brause aus dem kleinen Ostheim für sich. Wenig später: Absatzwunder. Massenmarkt. Mehr als 200 Millionen verkaufte Flaschen im Jahr. Sie wurden Kultmanager und sagten: „Bionade soll eine Volkslimonade werden.“ Leider kam's zum Brausekrieg. Es gibt halt inzwischen zu viel Limo fürs Volk. Zu viel Bio-Wellnessgetränke, zu viel poppige Labels, Prickelwasser mit Ginseng, Cranberry, Kaktusfeige und wenn's sein muss auch Rosmarin.
Überlegen Sie manchmal noch, ob Bionade zu schnell zu groß wurde? Ob es auch anders hätte weitergehen können mit der kleinen Peter-Bräu? Aber zurück zur Anfangsfrage, lieber Herr Kowalksy. Was machen Sie? Was ist aus Ihnen und Ihren neuen Projekten geworden? Was man zuletzt lesen konnte: Dass Sie nach Berlin gezogen sind, Gründer beraten und dann selbst noch einmal ganz von vorn angefangen haben. Eine Mixtur aus Propolis, Ginseng und dem Coenzym Q10 haben sie ausgetüftelt. Ein energetisch positives Wasser. Und Soda mit Heu-Essenz. „Lebensenergie in Form von funktionalen Trinkflüssigkeiten“ nennen Sie die Produkte ihrer neuen Marke „Inju“. Klingt sehr gesund. Schmeckt das auch? Schreiben Sie doch mal.
Mit besten Grüßen nach Berlin,
Alice Natter