Lieber Herr Heid,
das ist 'ne Wucht: Sie schreiben im Alter von 70 Jahren an der Universität Würzburg Ihre Bachelorarbeit – und bekommen dafür die Note 1,0. Dass Rentnerinnen und Rentner auch im fortgeschrittenen Alter etwas für die geistige Fitness tun, ist nicht neu. Aber wie Sie es angehen, das finde ich klasse. Sie sind eines jener Vorbilder, die zeigen, wie man den Herbst des Lebens blühen lässt.
Mit Begeisterung habe ich deshalb kürzlich ein Interview mit Ihnen gelesen, in dem Sie über Ihre Disziplin berichten. Gleich nach dem Frühstück vier bis fünf Stunden für den Bachelor büffeln. Das alles wegen der Pandemie nur online – was Sie besonders anstrengt, wie Sie mir im Telefongespräch verraten haben.
Schon Ihre Fächer verlangen mir allergrößten Respekt ab: Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte. Ich gebe zu, meine Stärken liegen woanders. In meinem Studium kamen derlei Themen zwar – wenn überhaupt – nur am Rande vor. Aber das hat mir schon gereicht. Staubtrocken, harte Kost. Für mich jedenfalls.
Aber Sie, Herr Heid, gehen darin offenbar voll auf. Geschichte hat es Ihnen nach eigenen Worten besonders angetan. Und Geschichten: Deswegen greifen Sie selbst heute noch im Bücherregal nach Karl May, um in die Welt von Old Surehand oder Hadschi Halef Omar einzutauchen. Wenn Sie das nicht tun, dann schauen Sie sich mit Ihrer Frau die Welt an. Reisen bildet, Geschichten halten die Fantasie lebendig. Also auch den eigenen Geist.
Keine Lebensratgeber notwendig
Das ist Ihr Lebensansatz. Er macht Mut. Natürlich gibt es zigtausende andere Seniorinnen und Senioren, die auf ähnliche Ideen kommen. Körperliche und geistige Gesundheit steht spätestens ab 50 ganz hoch im Kurs. Kein Wunder, dass die Buchläden überquellen mit allerlei Ratgebern, wie man im Alter so fit wie möglich noch älter wird. Sie brauchen solche Tipps nicht, Herr Heid. Das unterstelle ich Ihnen.
Dennoch ist Ihnen das Alter ganz und gar nicht egal, wie Sie mir auch verraten haben. So stehen Sie morgens vor dem Spiegel und sagen Ihrem Gegenüber: "Geh weg da, alter Mann." Aber er geht nicht weg. Und so fangen Sie jeden neuen Tag dann doch wieder mit ihm an. "Einfach leben", das sei Ihr Credo.
Auf den Bachelor folgt der Master
Sie sagten auch: "Dem Herrgott dankbar sein." Viele harte Schicksale junger Menschen haben Sie seit 1979 während Ihrer Dienstzeit in einem Jugendamt erlebt. Ich denke, Sie können deshalb gut einschätzen, wie es unserer Gesellschaft wirklich geht. Nun sind Sie einfach nur dankbar, dass es Ihnen offenbar gutgeht. Und machen derzeit an der Uni Würzburg noch den Master in Geschichte. Respekt auch dafür.
22 Prozent der Menschen in Deutschland sind älter als 65 Jahre. Tendenz steigend. Die Alterspyramide ist bekannt. Was mich besonders freut: 85 Prozent der Menschen im Alter zwischen 65 und 85 sind mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden. Das hat 2017 eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zusammen mit dem Versicherungskonzern Generali ergeben.
Warum Herr Heid gerade in Corona-Zeiten Mut macht
Ich liege bestimmt nicht falsch, Herr Heid, wenn ich Sie zu diesen 85 Prozent der Zufriedenen zähle. Ihr Hunger nach Wissen und Neuem unterstreicht das. Ihr Ja zum Leben tut gerade in diesen düsteren Zeiten gut, in denen das gewohnte Leben und vor allem die zwischenmenschlichen Kontakte in die Schranken gewiesen werden.
Glücksgefühle sind also gefragt. Herausforderungen zum Aufrappeln auch. Solche wie Ihre zum Beispiel: "Es ist nie zu spät, sich für Dinge und Themen zu interessieren. Es ermöglicht einzigartige Erfahrungen, die wunderbar helfen, die typischen Erscheinungen des Alters zu vergessen." So sagen Sie es im Interview.
Die Menschen in Deutschland werden immer älter
Das ist schon mit Blick auf die demografische Entwicklung unseres Landes ein wichtiger Aspekt. Denn 2030 wird jeder fünfundzwanzigste und 2060 schon fast jeder zehnte Mensch hierzulande 85 Jahre oder älter sein. Wenn das in der Mehrheit dann immer noch eine Bevölkerungsgruppe mit Lebenslust nach Ihrem Strickmuster ist, dann ist mir um Deutschland nicht bang. Corona hin oder her.
Lieber Herr Heid, bei mir sind es wohl noch um die zehn Jahre, bis ich in Rente gehe. Aber man sollte sich so früh wie möglich mit jenem Moment auseinandersetzen, wenn am Arbeitsplatz das Licht für einen für immer ausgeht. Ich gebe zu: Ich trainiere schon ein bisschen für diesen Moment. Sie machen mir dabei Mut.
Vielleicht treffen wir uns ja in ferner Zukunft mal als Rentner. Wahrscheinlich studieren Sie dann immer noch. Ich traue es Ihnen zu. Denn Vorbilder wie Sie werden in Wahrheit nicht alt.
Mit freundlichen Grüßen,
Jürgen Haug-Peichl, Redakteur
Eine tolles Zeichen für alle betagten Bürger unseres Landes. TOLL.