Sehr geehrte Frau Scharf,
die Pflege liegt am Boden. Bundes- und bayernweit mangelt es an Pflegepersonal. Betroffen sind Kliniken und vor allem Altenpflegeheime. Dort ist der Pflegenotstand so groß, dass immer mehr Betten nicht mehr belegt werden können. Einzelne Häuser, auch in Unterfranken, schließen deshalb. Und Besserung ist nicht in Sicht: Die Ausbildungszahlen in der Pflege sind zuletzt gesunken. Gibt's Abhilfe?
Aber klar! Sie, Frau Sozialministerin Scharf, haben vorgeschlagen, die täglichen Arbeitszeiten in der Pflege auf bis zu zwölf Stunden zu verlängern und über eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zu diskutieren!
Zehrende Frühschichten und dann noch vier Stunden draufpacken? Der blanke Hohn!
Stellen wir uns das in der Praxis vor: Denken wir uns eine Pflegekraft, die um halb 6 Uhr morgens ihre Frühschicht beginnt. Weil der Kollege krank ist, versorgt die Pflegerin nicht acht, sondern zehn Bewohner. Der eine hat Fieber, die zweite viel zu hohen Blutdruck – und der dritte stirbt.
Vielleicht kennt die Pflegerin den Mann kaum, vielleicht hat sie ihn lange begleitet. Vielleicht versteht sie seine Angst, hört seine letzten Worte, vielleicht ist sie da, wenn er das letzte Mal atmet und hält seine Hand beim Hinübergleiten. Sicher ist, dass sein Tod ihr nahegeht – auch, wenn Altenpflege ihr Beruf ist, auch wenn sie Routine hat im Begleiten von Sterbenden und im Versorgen von Toten.
Und jetzt stellen wir uns vor, dass diese Pflegerin an solchen Tagen ihre Schicht nicht nach acht Stunden beendet, sondern danach noch vier zusätzliche Stunden weiterarbeiten soll. Der blanke Hohn!
Bayerns Sozialministerin: Banklehre und BWL-Studium
Bayerns Pflegekräfte und ihre Verbände empören sich jedenfalls über Ihren empathiefreien Vorschlag zur "Flexibilisierung von Arbeitszeit". Zu Recht.
Was haben Sie sich dabei gedacht, Frau Scharf? Haben Sie möglicherweise, als Sie den Pflegenden 12-Stunden-Schichten ans Herz legten, auf überholte Konzepte zur Effizienzsteigerung zurückgegriffen, die Sie während Ihrer Banklehre oder während des BWL-Studiums kennengelernt haben? Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, Frau Scharf. Die meisten Minister kommen bei uns nicht aus der Branche, die sie dann im Kabinett vertreten. Aber ein bisschen mehr Verständnis für die Alltagsrealität der Pflegenden hätte Ihnen schon gut gestanden.
Bayerns Sozialministerin will längere Arbeitstage, der Bundeskanzler mehr Arbeitsjahre
Bayerns Pflegekräfte hatten Ihre Ansage noch nicht verdaut, als aus Berlin schon der nächste Hammer kam: Es gelte, den Anteil derer zu steigern, die bis zum Renteneintrittsalter arbeiten, fordert aktuell SPD-Kanzler Olaf Scholz. Dass dieses Eintrittsalter zuletzt stetig gestiegen ist, für die geburtenstarken Babyboomer bei rund 67 Jahren liegt und möglicherweise auf 69 oder 70 erhöht werden soll, erwähnt Scholz nicht. Verständigen sich Politiker aus Bund und Ländern parteiübergreifend gerade darauf, "Arbeiten bis zum Umfallen" zum Allheilmittel gegen die Personalnot zu machen?
Warum in der Pflege kein "Noch mehr" sondern nur ein "Weniger" hilft
Dabei müsste doch dem Kanzler und auch Ihnen klar sein, Frau Sozialministerin, dass in der Pflege kein "Noch mehr!", sondern nur ein "Weniger!" helfen kann. Wer junge Leute, Quereinsteiger oder auch Ex-Pflegekräfte in die Kliniken, Arztpraxen und Altenheime bringen will, muss geregelte Arbeitszeiten versprechen: Wohlfahrtsverbände, die ja oft gleichzeitig Heimträger sind, pochen auf die 35-Stunden-Woche. Praktiker betonen, dass auch die Freizeit der Pflegekräfte besser geregelt werden müsste: Es scheint Usus zu sein, dass Pflegekräfte aus ihrer Freizeit heraus zum Einspringen gerufen werden. Dass sie aus Verantwortungsgefühl den Heimbewohnern und den Kollegen gegenüber sogar ihre Urlaube kippen, um sich die Arbeitskittel überzuziehen.
Allerdings mit dramatischen Folgen: Krankenpflege- und Altenpflegekräfte arbeiten immer weniger Jahre im erlernten Beruf – nicht, weil sie nicht wollten, sondern weil sie nicht mehr können.
Absichtserklärungen von Lauterbach und Holetschek: "Revolution" in Kliniken und der Pflege
Wenn SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jetzt eine Krankenhaus-"Revolution" fordert und Bayerns CSU-Gesundheitsminister Klaus Holetschek dies um die Forderung einer "Revolution" in der Pflege samt "attraktiver Arbeitsbedingungen" ergänzt, dann klingt zumindest das nach einem besseren Ansatz als Ihr 12-Stunden-Modell. Was für ein Glück, dass Holetschek und Lauterbach diese Absichtserklärungen noch in den Raum geworfen haben. Sonst müsste man ja annehmen, Frau Scharf, dass der Abgrund zwischen dem, was Politiker über Pflege denken und dem, was Pflegende erleben, so groß ist, dass er nicht mehr überbrückt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Gisela Rauch, Redakteurin
Es gibt immer noch genug Möglichkeiten halbwegs lukrativ und wirtschaftlich sinnvoll vorher auszusteigen.
Immer daran denken: Gesunde, fitte, frei verfügbare Lebenszeit ist nicht mit Gold aufzuwiegen.
Solange immer noch ein Riesenheer an willigen Arbeitskräften vorhanden ist, das sich steuer- und sozialabgabenpflichtig abschindet bis es nicht mehr geht ist auch genug Geld für allen möglichen Unfug da.
Wenn mehr Menschen sich Gedanken über die ökonomische Sinnhaftigkeit ihres Tuns machten und sich nicht bis 67 oder bald wohl 70 instrumentalisieren ließen, sondern lieber mal Auszeiten im Bürgergeld oder Sabbaticals mit Alg-1 einlegten und so früh wie es nur geht in Rente gingen, wäre viel gewonnen.
Wenn es zu wirklich augenblicklich spürbaren Verwerfungen käme und nicht immer nur vor "schrecklichem Mangel" in der Zukunft gewarnt werden müßte, dann käme es wohl auch umgehend zu wirksamen Reformen.
So aber wird immer nur folgenlos gewarnt und die Angst der Bürger wird zu Lohndrückerei, Rentenkürzungen und Anhebung des Renteneintrittsalters genutzt - und der Laden läuft weiter wie bisher.
Wir haben diese Erfahrung auch gemacht, mit Leuten die "zwangsweise" vom Amt geschickt wurden und deren Lohnkosten zum großen Teil auch aus öffentlichen Mitteln übernommen wurden.
Da legt man am Ende oft drauf.
manchmal manche(n) überfordern😏😌
Das Thema Burn-out mit der zugehörigen Forschung fand im Übrigen hier Ende der 60er, 70er Jahren seinen Anfang.
Ja, vielleicht sollte
Mir fällt da nur noch Udo Jürgens Lied "Lieb Vaterland" dazu ein.
Für mich fasst dieser Satz alles zusammen: "Aber ein bisschen mehr Verständnis für die Alltagsrealität der Pflegenden hätte Ihnen schon gut gestanden."
Sicher, als Sozialministerin arbeitet man auch nicht gerade wenig.
Aber erstens wird man dafür ganz anders bezahlt, zweitens macht man das nicht ein Leben lang und drittens sind die Belastungen nicht vergleichbar.
Ich glaube nicht, dass Frau Scharf auch nur eine Vorstellung davon hat, was von einer Pflegekraft geleistet werden muss.
Leider kein Einzelfall ... in unserer politischen Kaste diskutieren andauernd Blinde über Farben ...
Wir müssen offen über eine längere Arbeitszeit an einzelnen Tagen von bis zu 12 Stunden und eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden diskutieren - flexibel und auf freiwilliger Basis der Beschäftigten", sagte Scharf.
"Ich fordere ein modernes, flexibles Arbeitszeitgesetz für die Sozialwirtschaft", sagte die Ministerin. Dazu müssten alle Beteiligten an einen Tisch - Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik. "Wir müssen neue Wege gehen", so Scharf.
Warum nicht?
Freiwillig?
Was die Gewerkschaften mit einer Reduzierung auf 35 Std bei vollem Ausgleich fordern sehen wir jetzt in der Metallbranche wo die ersten Betriebe schließen und Produktion weiter verlagert wird!
Es muss alles VON ALLEN diskutiert werden können und auf den Tisch um am Ende zu schauen was davon übrig bleibt!
Rauft Euch zam!
Habe übrigens von Frau Rauch nichts anderes erwartet, weil CSU und erfolgreiche Frau...... s.o......