Sehr geehrter Herr Ziemiak, zuallererst gratuliere ich Ihnen natürlich zur Wahl zum neuen Generalsekretär der CDU. Auch wenn Sie den Job erst gar nicht wollten – zumindest nicht, als Ihre nachmalige neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauerihn Ihnen anbot. (Erlauben Sie mir bitte, sie im Folgenden aus naheliegenden Gründen AKK zu nennen.) Das war vor der Kampfabstimmung und AKK noch selbst Generalsekretärin. Sie hat hernach erzählt, Sie hätten aus Loyalität zu AKKs beiden Mitbewerbern, Friedrich Merz und Jens Spahn, abgelehnt.
Aber dann haben Sie sich doch auf den Posten wählen lassen und als einziger Bewerber 62,8 Prozent der Stimmen erhalten. Das ist nicht sehr viel in einer Welt, in der derlei Personalien in aller Regel vorab ausgehandelt und dann mit Ergebnissen vollstreckt werden, die man auch aus anderen Staatsformen kennt. Und etwas ungewohnt, schließlich waren Sie erst im Oktober mit 91,1 Prozent als Bundesvorsitzender der Jungen Union bestätigt worden. Sie haben Ihr Wahlergebnis als Generalsekretär "ehrlich" genannt, was ich für eine ziemlich treffende Einschätzung halte.
Sollen Sie etwa das C im Parteinamen mit Nächstenliebe in Verbindung bringen?
Mit Kampfabstimmungen kennen Sie sich übrigens auch aus, 2014 haben Sie in der ersten Kampfabstimmung um das Amt des JU-Vorsitzenden seit 1973 (was allein schon einiges sagt) einen gewissen Benedict Pöttering aus dem Felde geschlagen.
Aber was passiert nun? Sollen Sie als Ombudsmann des konservativen Flügels verhindern, dass AKK zu progressive Dinge tut? Dass sie – wie ihre Vorgängerin – etwas unverzeihlich Optimistisches zum Thema Migration sagt? Und dabei gar auf die Idee kommt, das C im Parteinamen mit Begriffen wie "Nächstenliebe" oder gar "Barmherzigkeit" in Verbindung zu bringen?
Oder wollen Sie den Kettenhund geben, wie das die Generalsekretäre der Parteien immer gern getan haben. Ihr Vorvorvorvorvorvorvorvorvorvorvorgänger Heiner Geißler ließ schon mal Sprüche ab wie "Der Pazifismus der 30er Jahre ... hat Auschwitz erst möglich gemacht"? In seinen letzten Jahren hat er dann allerdings auffällig oft Vernünftiges gesagt, wie etwa "Es gibt Geld wie Heu, es ist bloß in den Händen der falschen Leute!" Ihr Vorgänger als JU-Vorsitzender, Philipp Mißfelder, hat in dieser Hinsicht auch nicht viel anbrennen lassen. Erinnert sei nur an seine Einschätzung, die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder sei ein "Anschub für die Tabak- und Spirituosen-Industrie".
Wenn Ihnen all das als Inspiration nicht reicht, können die Kollegen von der CSU sicher auch noch Tipps geben. Allerdings: Besonders gut funktioniert haben die markigen Sprüche zuletzt nicht. Ihr christsoziales Gegenstück Markus Blume hat zum Beispiel im Interview mit dieser Redaktion folgende These vertreten: "Wir haben eine Elite, die sich in den Medien wiederfindet, denen es leicht fällt, über Willkommen zu philosophieren, vielleicht, weil sie nicht wie die restlichen 90 Prozent so mit dem alltäglichen Leben konfrontiert sind, ihre Kinder nicht auf normale Schulen gehen und sie nicht mit der Bahn fahren, sondern mit ihrem Chauffeur."
Wieso macht die CSU die Konservativen zum Maßstab des Handelns?
Diese Ansicht kommt mir reichlich weltfremd vor – sicher machen sich mehr Menschen als nur die zehn Prozent Superprivilegierten, die mit Chauffeur unterwegs sind und ihre Kinder auf edle Privatschulen schicken, Gedanken zum Thema Willkommenskultur. Außerdem macht Herr Blume sich kein Bild, wie schwer es heutzutage ist, einen guten Chauffeur zu finden...
Ein wenig in diese Richtung scheint eine Ihrer Äußerungen nach der Wahl zu gehen. Bei der sozialen Debatte dürfe es nicht immer nur um Superreiche und Hartz IV gehen, sagten Sie laut "Zeit online". Und weiter: "Ganz normale Familien, diejenigen, die fleißig sind in diesem Land", müssten im Fokus stehen. Hier weicht meine Wahrnehmung der öffentlichen Debatte deutlich von Ihrer ab. Viele Politikerinnen und Politiker thematisieren immer wieder die Anliegen der "ganz normalen Familien" – möglicherweise gehören die halt nicht so oft Ihrer Partei an?
Und dann haben Sie den Satz gesagt, den alle Konservativen derzeit sagen zu müssen glauben: Sie wollen zur AfD abgewanderte Wählerinnen und Wähler wieder zurückholen. Ich frage mich, wie das gehen soll. Das "klare Bekenntnis zu diesem Land", wie Sie es fordern, wird da sicher nicht reichen. Vor allem aber frage ich mich, warum die Konservativen dauernd die AfD zum Maßstab ihres Handelns machen. Wie wär's mal mit ein paar neuen, eigenen Ideen? Wie wär's mal mit ein wenig mehr als nur mit Abgrenzung nach links und Anbiederung an rechts? Ich habe keine Ahnung, wie das im Falle der CDU aussehen könnte. Aber das ist auch nicht mein Job. Das ist jetzt Ihrer.
Der Samstagsbrief: Jede Woche erscheint am Samstag unserer „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
wie viele jungpolitiker wurden schon nach ihrer motivation gefragt politik zu machen, die immer gleiche antwort: ich will etwas verändern.
verändert hat sich wenig bis gar nichts.
man stößt immer ins gleiche horn wie der rest der partei, das nennt man dann geschlossenheit, alles andere könnte ja die eigene karriere gefährden.