Als das Ergebnis bekanntgegeben wurde, entlud sich die Spannung auf dem CDU-Bundesparteitag in donnerndem Applaus bei den Delegierten und in Tränen bei der Siegerin: Die Christlich Demokratische Union hat eine neue Vorsitzende und die heißt Annegret Kramp-Karrenbauer. Wochenlang hatte sich „AKK“ mit ihren Herausforderern Friedrich Merz und Jens Spahn duelliert. Zum Schluss lag sie am Freitag in den Hamburger Messhallen vorn und setzte sich in einer Stichwahl knapp mit 517 Stimmen gegen ihren ärgsten Herausforderer Friedrich Merz durch. Merz brachte es auf 482 Stimmen. Gesundheitsminister Jens Spahn schied im ersten Wahlgang mit einem Achtungserfolg aus.
Damit kam es auf dem Parteitag so, wie es vorher erwartet worden war: Die Reden vor den rund 1000 Delegierten entschieden auf den letzten Metern zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz, denen die besten Chancen vorhergesagt worden waren. Während der Regionalkonferenzen - in denen sich das Bewerber-Trio vor Ort und im Internet mehreren hunderttausend Interessierten vorstellte – hatte sich noch kein klarer Sieger herauskristallisiert.
Kramp-Karrenbauer durfte als erste in die Vorstellungsrunde gehen, es wurde nahezu Mucksmäuschenstill im Saal, als die Saarländerin begann. Es war dies ein Zeichen der ungeheuren Spannung, die auf der CDU lastete. Wochenlang hatten die Parteimitglieder auf diesen Tag hingefiebert, hatten diskutiert und sich die Köpfe heißgeredet. Aber nicht nur das: Der Parteitag verzeichnete mit rund 2000 Medienvertretern einen Rekord, Journalisten aus allen Teilen der Welt drängelten sich in den Messehallen und forderten den Organisatoren alles ab.
„AKK“ startete mit einem Blick in die Vergangenheit, las Zitate aus Büchern vor. Alles zusammen war wenig dazu angetan, die Leute von den Sitzen zu reißen und es wurde in den nächsten Minuten nicht besser. Die AfD schüre Horrorszenarien, es gebe immer mehr Populisten, die Digitalisierung berge reale Gefahren, erklärte Kramp-Karrenbauer. Es waren oft gehörte Sätze, die der Parteitag freundlich zur Kenntnis nahm.
Stimmung kam erst auf, als Kramp-Karrenbauer sich konkreten Inhalten zuwandte und vom bis dahin nüchternen Ton in den Wahlkampfmodus umschaltete. Am Ende werde die CDU dafür sorgen, „dass 5G an jeder Milchkanne ist“, ging sie beispielsweise eine viel kritisierte Aussage ihrer Parteikollegin und Bildungsministerin Anja Karliczek direkt an. Auch das Thema Rente nahm sie auf, was auf Parteitagen mit vielen älteren Delegierten immer ein guter Schachzug ist.
Innere Stärke statt äußere Lautstärke
Zum Abschluss warf Kramp-Karrenbauer Gewichte auf die Waage, von denen sie genau wusste, dass ihre Herausforderer damit nicht würden punkten können. Sie stehe hier als Mutter von drei Kindern, als Ministerin, als Ministerpräsidentin, die über 18 Jahre lang ihrem Land gedient habe, rief „AKK“ in den Saal, der nun merklich aufhorchte und immer mehr Applaus spendete. Sie habe gelernt „was es heißt zu führen“, legte die ehemalige CDU-Generalsekretärin nach. Und sie habe gelernt, dass es dabei auf „die innere Stärke und nicht auf die äußere Lautstärke ankomme“. Das saß endgültig, der Beifall war laut, lang anhaltend, viele Delegierte erhoben sich von den Plätzen. Es waren in der Nachbetrachtung wohl diese letzten Minuten ihrer insgesamt 22-minütigen Rede, mit denen Kramp-Karrenbauer das Ruder auf ihre Seite riss.
- Liveblog: So verlief der CDU-Bundesparteitag
Während Kramp-Karrenbauer relativ cool wirkte, gab Friedrich Merz zu Beginn seiner Bewerbungsrede ein ganz anderes Bild ab. Der Anwalt und Blackrock-Mitarbeiter wirkte ungewohnt nervös, seine Stirn glänzte im Rampenlicht wenig vorteilhaft. Von den vielen Gewissheiten früherer Jahre sei heute kaum noch etwas geblieben, verlor sich auch Merz zunächst in Gemeinplätzen. Es gebe Befürchtungen, Ängste und Verluste für die Volksparteien, und dies, obwohl die Wirtschaft brumme und es den Menschen in Deutschland gut gehen.
Er bestreite in dieser Partei niemandem den guten Willen, Stimmen von der AfD zurückzuholen, legte Merz dann einen Gang zu. „Aber es gelingt uns offensichtlich nicht“, kritisierte er und sprach von einem Zustand, der für ihn und viele der Delegierten sicherlich „einfach unerträglich“ sei. Dieser Zustand gefährde nicht nur die Mehrheitsfähigkeit in der Mitte, er gefährde die Stabilität des Landes, sagte Merz, wohl wissend, dass er damit direkt den Nerv vieler Delegierter traf. Denn im Saal saßen viele hochrangige Funktionäre, die Wahlen gewinnen müssen und die es satt haben, Stimmen an die AfD abgeben zu müssen.
Viel Applaus für Friedrich Merz
Merz packte zudem sein ganzes Wissen als Wirtschafts- und Finanzexperte aus. Was passiere eigentlich, wenn es wirtschaftliche schwieriger werde, wie gehe es dann weiter, fragte er und gab unter lautem Beifall gleich selber die Antwort: „Wir brauchen eine Agenda für die Fleißigen.“ Eine Lanze für die vielen Unternehmer im Saal brach er gleich auch noch. Der Staat, rief Merz, sei nicht der bessere Unternehmer. Als er sich dann auch noch zum Gewaltmonopol des Staates bekannte, erreichte der Applaus ungefähr eine Intensität wie bei seiner Vorrednerin. Beobachter im Saal glaubten da noch an einen Gleichstand mit Kramp-Karrenbauer.
Jens Spahn hatte es am schwersten. Ihm waren von Anfang an die schlechtesten Chancen vorhergesagt worden. Was ihm allerdings nicht viel ausmachte. Auch er lese Umfragen, räumte Spahn ehrlich ein. „Aber ich kann Ihnen sagen, es fühlt sich richtig an, hier zu stehen.“
Spahn wollte mehr Veränderung
Spahn hatte zudem die undankbare Aufgabe, als letzter reden zu müssen. Was ihm ordentlich, aber nicht mitreißend gelang. Der Gesundheitsminister wird sich vorwerfen lassen müssen, dass er zunächst vor allem Versatzstücke seiner Vorträge aus den Regionalkonferenzen wiederholte. Das gab höflichen Applaus, der sich erst steigerte, als Spahn persönlicher wurde und sich als streitbaren Geist darstellte.
Er laufe nicht weg, wenn es eng werde, rief Spahn in den Saal der Messehalle, der zu diesem Zeitpunkt aus allen Nähten platzte. Er wolle mehr Mut in der CDU, auch den Mut, unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Anfälle von Selbstironie kamen beim Publikum auch gut an: Er sei zu seiner eigenen Überraschung etwas gelassener geworden in den letzten Tagen und Wochen, erklärte der Gesundheitsminister mit jenem feinen, verschmitzten Grinsen, das einmal sein Markenzeichen werden kann.
„Ich kann Ihnen nicht versprechen, ein bequemer Parteivorsitzender zu sein. Ich bin wie ich bin“, sagte Spahn. Er wolle aber von der ersten Sekunde an für die CDU und ihre Mitglieder kämpfen. „Wir brauchen nicht das Vertrauen der Berliner Blase. Wir brauchen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger“, beendete er seine Rede, die ihm am Ende dann aber nicht zum Sieg verhalf.
Merkel denkt an eigene Wahl zurück
Niemand der drei Kandidaten konnte sich indes über Angela Merkel beschweren. Denn in ihrer letzten Rede als CDU-Vorsitzende gab sich Merkel neutral. So ließ sie bewusst die Pro-Merz-Äußerungen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble unkommentiert und wandte sich lediglich den unionsinternen Querelen kurz zu. Wohin nicht enden wollender Streit führe, das hätten CDU und CSU in den letzten Jahren „bitter erfahren“, sagte Merkel, und ließ es dabei bewenden.
Statt einer aktuellen Analyse, die womöglich den ein oder anderen Kandidaten bevorzugt hätte, wandte sich Merkel in ihrer für Parteitagsverhältnisse mit rund 30 Minuten vergleichsweise knappen Rede dem Parteitag in Essen zu, wo sie vor 18 Jahren zur Vorsitzenden gewählt wurde.
Die Partei habe damals eine Schicksalsstunde erlebt, sie habe politisch, moralisch und finanziell vor dem Aus gestanden, erinnerte Merkel an die CDU-Spendenaffäre. Die CDU aber habe es „allen gezeigt“, sie habe den Erneuerungsprozess aufgenommen, lobte Merkel die Partei – und damit natürlich auch sich selbst. Zum Abschied wurde ihr ein Dirigentenstab überreicht. Kent Nagano hatte ihn beim Konzert benutzt, das 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg aufgeführt worden war. Es war das richtige Geschenk für die Klassik-Liebhaberin Merkel, es war aber auch eine Art Wink mit dem Zaunpfahl für ihre Nachfolgerin.
Stichwahl ging knapp aus
Denn die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob sich die Wahl von Kramp-Karrenbauer für die CDU bezahlt macht, ob sie den richtigen Takt vorgeben kann. Erste Hinweise dürften die üblichen Umfragen geben. Der erste richtige Test aber steht am 26. Mai bevor. Dann wird ein neues Europaparlament gewählt, und derzeit droht Straßburg ein Erstarken des ganz rechten Randes. Kramp-Karrenbauer wird beweisen müssen, dass sie gegenhalten und die CDU zu alter Stärke zurückführen kann.
Die neue CDU-Vorsitzende wird dabei wachsam sein müssen. Denn im ersten Wahlgang lag sie mit 450 Stimmen nicht wirklich weit vor Merz, der 392 Stimmen holte. Die Stichwahl brachte ebenfalls keinen richtig deutlichen Abstand. Diese Resultate könnten dem 63-Jährigen Mut auf eine Kanzlerschaft machen, während Kramp-Karrenbauer ebenfalls ihren Hut in den Ring werfen wird. Er sei bereit, die Partei auch in den nächsten Jahren dort zu unterstützen, wo es gewünscht werde, sagte Merz. Das konnte als Angebot verstanden werden. Oder als Drohung.
Nicht ausgeschlossen also, dass sich der Wahl-Krimi von Hamburg in nächster Zeit wiederholt.