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Würzburg/Berlin
Samstagsbrief: Machen Sie nicht nur Symbolpolitik, Punk-Ministerin Claudia Roth!
Im Kanzleramt sitzt jetzt eine grüne Nervensäge und durch und durch kulturaffine  Kulturstaatsministerin. Gut für die Branche? Unsere Autorin wünscht sich mehr als Euphorie.
Claudia Roth, die neue Staatsministerin für Kultur und Medien, hier bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises im Dezember in Berlin. 
Foto: Christian Mang, dpa | Claudia Roth, die neue Staatsministerin für Kultur und Medien, hier bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises im Dezember in Berlin. 
Alice Natter
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:58 Uhr

Sehr geehrte Claudia Roth,

jetzt sind Sie also dieChefin des Ressorts für das Gute, Wahre und Schöne! Herzlichen Glückwunsch, da hätten wir gleich ein paar Wünsche: Nämlich erstens, würden Sie bitte... Halt. Die Erwartungen an Sie sind seit Ihrer Berufung in den achten Stock im Kanzleramt hoch genug. Sie gelten nämlich als Ermöglicherin. Leidenschaftlich, kämpferisch, in allen Belangen parteiisch für Kultur. Kommunikativ dazu, gerne in der Öffentlichkeit. Einzig und sicher nicht artig. Oh wei, sagten die einen erschrocken, diese Reizfigur und Nervensäge. Eine Zumutung, die neue Punk-Ministerin.

Bei den anderen haben Sie längst Steine im Brett, samt Ton und Scherben. Umso zahlreicher die Begehrlichkeiten, die an sie jetzt herangetragen werden.

Die einen rechneten es Ihnen schon vor Amtsantritt hoch an, dass Sie sicher nicht nur die Hoch-, ja Hauptstadt-Kultur im Blick haben werden. Die anderen freuten sich, dass sie beim ersten offiziellen Besuch als oberste Kulturbeauftragte in Stuttgart gleich mal einen coolen Plattenladen besuchten. 

Für welchen Kulturbegriff steht Claudia Roth?

Sie machen es den Politikbeobachtern, Feuilletonisten, Kommentatoren halt nicht ganz leicht. Kulturressort in grüner Hand? Für was steht Claudia Roth? Für welchen Kulturbegriff? "I am what I am" von Gloria Gaynor soll eines Ihrer Lieblingslieder sein. Und wenn man Sie fragt, was Sie nach Monika Grütters für eine Staatsministerin werden, zitieren Sie den Rio-Reiser-Song "Ich will ich sein". Claudia eben.

Kulturaffinität wird Ihnen niemand absprechen, wo immer sich ein Vorhang hebt oder Scheinwerfer angehen, tauchen Sie auf. In Bayreuth sind Sie regelmäßiger Gast, in Berlin bei der Berlinale. Wagner und Wacken, Punk-Konzert und Oberammergauer Passionsspiele, Poetry Slam und Philharmonie – Sie passen da überall hin. Sektempfang und Bierzelt, Vernissage und Wirtshaus – bei Ihnen geht das zusammen.

Die Kunst muss autonom sein! 

Was werden Sie also machen? Im Koalitionsvertragheißt es so schön plakativ wie einfallslos, sie wollen Kultur "unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen". Bezeichnend. Drei der vier Schlagwörter rechnet man gemeinhin der freien Szene und Subkultur zu. Und klar, lauter berechtigte Forderungen stehen da - nach mehr Diversität, Barrierefreiheit, Geschlechtergerechtigkeit, auch mehr Nachhaltigkeit im Kulturleben. Bange Frage: Hoffentlich gerät da das Erste und Eigentliche nicht aus dem Blick? Die Kunst muss autonom sein! Ungebunden. Auftragsfrei. Ohne Zweck, den ein Staat fördern wollen sollte.

Kunst ist erst mal Kunst. Und sonst nichts. Aber Sozialdemokraten und Grüne, liebe Frau Roth, neigen ja dazu, die Kultur als Gehilfin und Stimme der Demokratie zu sehen. Sie auch. Ja, die Auseinandersetzung mit Kunst kann – Schiller hoffte und glaubte das – uns zu besseren Menschen machen. Kultur kann Brücken bauen, Spaltungen überwinden. Kann Demokratie befördern und vielleicht gar schützen, wie Sie sagen. Aber Kultur und Kunst erschöpfen sich nicht darin. Und sie dürfen nie zum Zweck (nur) in Dienst genommen werden - und sind die Ziele noch so edel und hehr.

Was, wenn die Kommunen beginnen, bei der Kultur zu kürzen?

Zwei Jahre lang haben wir jetzt gesehen, dass Kultur nicht krisenfest ist. Sondern -  politisch und gesellschaftlich so gewollt – in prekärer Lage steckt. Was braucht's noch Kultur im öffentlichen Leben, Hauptsache Frisöre und Kneipen haben offen. Ihre CDU-Vorgängerin hat zwar durchaus erfolgreich für Unterstützung gesorgt, und Ihre Regierung setzt Neustart-Programme ja fort. Doch bislang gehört die Kultur zu den freiwilligen Aufgaben und scheint schnell verzichtbar.

Im Koalitionsverstrag steht: "Wir wollen Kultur in ihrer Vielfalt als Staatsziel verankern." Ein symbolischer Satz? Was, wenn die monetäre Missachtung weitergeht? Wenn die Kommunen wegen der ausbleibenden Steuern beginnen, jetzt erst richtig bei der Kultur zu kürzen?

Blöderweise wird der weitaus größte Teil der Kultur dieser Republik von den Ländern und den Kommunen finanziert und verantwortet. Und was machen Sie, wenn Sie als grüne Kultur-Chefin unter einem roten Kanzler abhängig von einem gelben Finanzminister sind, der die Mittel bewilligt? Ihre selbstbewusste Vorgängerin hat in ihrer achtjährigen Amtszeit den Kultur-Etat immerhin um gut 60 Prozent auf 2,14 Milliarden Euro gesteigert. Ihr Job ist jetzt, diese Mittel richtig zu verteilen.

Belassen Sie es nicht bei Symbolpolitik!

Wir sind gespannt, was sie da in den nächsten Monaten wie wem zukommen lassen. Ach ja, unsere Wünsche. Belassen Sie es nicht bei Weltverbesserungsreden und grüner Symbolpolitik! Verzwecken Sie Kultur nicht. Retten Sie auch Opern- und Ausstellungshäuser. Weisen Sie in Ihrer penetranten Art auf den fundamentalen Verfall hin, dem die Kultur überlassen wurde. Machen Sie das Kulturleben gerne mit Roth'scher Euphorie irgendwie gerechter, niederschwelliger, vielfältiger. Aber machen Sie nüchtern auch klare, harte Ansagen, was systemisch in diesem (Kultur-)Land falsch läuft.

Bleibt Ihnen selbst zu wünschen, dass Sie am Ende Ihrer Amtszeit, nicht Rio Reisers "Ich bin müde" seufzen. Sondern, wie schon mal vor laufenden Fernsehkameras, lautstark und überzeugend immer noch singen à la Edith Piaf: "Je ne regrette rien".

Mit besten Grüßen,

Alice Natter, Redakteurin

Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
   
 
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Kommentare
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  • H. E.
    Es ist bezeichnend, wie groß das Interesse an diesem Samstagsbrief wieder ist!
    Und es zeigt, dass die überwiegende Mehrheit hier sich einfach nur über dieses grüne hoffieren und pushen mit allen Mitteln wundert.
    Eine Dame, die in der Versenkung verschwunden war wird herausgeholt und nach oben gehievt.
    Die Zeiten, in denen politisch korrekt, neutral oder auch überprateilich berichtet wurde sind wohl vorbei! Viele aus der schreibenden Zunft sehen sich offensichtlich als Berichterstatter, verlängerten Arm, durchsetzen der eigenen Gesinnung oder auch um aus Mücken Elefanten zu machen um draufhauen zu können!
    Wer also glaubt, dass die Politiker Politik machen, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten!
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  • E. S.
    Also ich habe den Sinn, und eventuell eine Aussage, dieses Samstagbriefes nicht verstanden. Vielleicht könnte mir das mal jemand erklären.
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  • A. H.
    "Du bist nicht allein" - frei nach Roy Black
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  • H. M.
    Hallo Frau Natter,
    so euphorisch sehe ich die Personalie Claudia Roth nicht. Haben Sie ihr kumpelhaftes Benehmen iranischen Politikern gegenüber vergessen ?
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  • h. k.
    Irgendwo musste die grüne Ikone ja landen. Noch unvergessen, als sie Tränen vergoß, da sie nicht mehr zur Führung der GRÜNEN gehörte. Da wurde sie dann Vizepräsidentin des Bundestages. Man musste sie ja irgendwie versorgen und so landete sie letztendlich in der Regierung. Man sieht an den GRÜNEN, wenn Politiker sagen, Leistung muss sich wieder lohnen, für die eigene Partei gilt das nicht.
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  • M. E.
    C.R. steht und stand für "Multikulti", was auch immer man darunter verstehen mag. Als Angehörige der "Weltverbesserer-Partei" beansprucht sie-genau wie ihre Partei-das Motto "am deutschen Wesen soll die Welt genesen"(siehe Widerspruch Energiepolitik zw D/F). Na, mal sehen, welche Kultur sie auf die Beine stellt!
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  • D. P.
    Welcher Widerspruch? Den Widerspruch gibt es wenn überhaupt innerhalb Frankreichs. Zumindest ist es widersprüchlich, politisch „Ja“ zur Atomkraft zu sagen, aber seit 20 Jahren keine neue Anlage gebaut zu haben. Und von den 50-60 vorhandenen Anlagen gehen in den nächsten 10 Jahren gefühlt mehr als die Hälfte vom Netz. Frankreich hat genauso wie Deutschland den Ausbau von EE verpennt und muss nun teuer auf Kohle, Gas und Importe ausweichen.
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  • R. B.
    Ein Vizekanzler, der mit diesem Deutschland noch nie etwas anfangen konnte, eine Außenministerin, welche mit einem gefakten Lebenslauf glänzt und schon auch mal vergisst ihre Einnahmen zu versteuern und zu guter letzt noch eine Kulturministerin, die gerne auch mal hinter Plakaten herläuft auf denen steht, Deutschland verrecke. Na wenn das keine goldenen Zeiten für dieses Land verspricht. Das wird vermutlich den rechten AfD-Deppen künftig zweistellige Ergebnisse bescheren.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch entfernt.
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  • A. H.
    Bemerkenserter Satz:
    "Belassen Sie es nicht bei Weltverbesserungsreden und grüner Symbolpolitik!"
    Das Gute an Ihrer Beförderung ist, dass sie durch ihre neue "Aufgabe" da oben in Berlin gebunden ist und hoffenlich seltener in Bayern aufschlagen wird, die "sehr geehrte" Frau Staatsministerin.
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