
Liebe Amelie N.,
mit Ihrer Online-Petition zur Abschaffung unangekündigter Schultests in Bayern haben Sie ja eine ziemliche Welle ausgelöst: Mehr als 10.000 Menschen unterstützen inzwischen Ihre Forderung nach einem Ende von Exen und mündlichem Abfragen im Klassenzimmer. Sie haben einige Interviews zu Ihrer Initiative gegeben. Und sogar Kultusministerin Anna Stolz von den Freien Wählern kündigte zum Schuljahresbeginn an, die Prüfungs-Formate in Bayerns Schulen grundlegend überprüfen zu wollen.
Auch ich kann Ihr Anliegen durchaus verstehen. Denn ich erinnere mich sehr gut an meine eigene Schulzeit und die Gefühlslage, wenn es im Unterricht hieß: "Bücher zu, wir schreiben eine Ex!" Und ich mir dachte: "Warum heute? Hätt' ich mal was gelernt! Was für ein Mist!"
Lernen ganz ohne Prüfungsdruck? Nicht nur für Teenager unrealistisch
Trotzdem hielte ich es für falsch, würden, wie von Ihnen gefordert, unangekündigte Schultests komplett abgeschafft. Denn ehrlich: Lernen, weil man einen Sinn fürs Leben darin sieht und nicht, weil eine Prüfung ansteht – das klingt zwar gut. Mit der Motivationslage nicht nur bei Teenagern hat diese schöne Idee aber leider wenig zu tun. Menschen jeden Alters neigen nun einmal dazu, die eigene Trägheit nur dann wirklich zu überwinden, wenn sie sich durch äußere Umstände dazu gezwungen sehen.
In diesem Sinne können unangekündigte Tests in den Schulen sehr wohl zu einem kontinuierlichen Lernen beitragen. Die ständig mögliche Leistungsüberprüfung hilft dabei, keinen großen Lernrückstand anwachsen zu lassen.
Zudem ist Lernen ohne Anstrengung für die allermeisten von uns leider nicht möglich. Doch um uns wirklich anzustrengen, brauchen wir einen gewissen Druck – und der entsteht in den Schulen eben vor allem durch Prüfungen und Noten.
Die Schule muss Kindern beibringen, mit Leistungsdruck konstruktiv umzugehen
Dieser Druck hört mit dem Schulabschluss ja nicht auf. Ob im Bewerbungsgespräch für einen Ausbildungsplatz oder beim Examen für den Hochschulabschluss. Ob die Arbeit auf der Baustelle termingerecht fertig werden muss oder dieser Text für die Zeitung: In einer Leistungsgesellschaft ist Druck Teil der Lebensrealität, der wir uns alle immer wieder stellen müssen.
Wenn Schule nicht nur Wissen vermitteln, sondern die Schülerinnen und Schüler auch auf ein möglichst erfolgreiches Berufsleben vorbereiten soll, dann muss es dort also auch darum gehen, mit Leistungsdruck konstruktiv umzugehen. Unangekündigt abgefragt zu werden, gehört aus meiner Sicht genauso zu diesem wichtigen Lernprozess, wie die Erkenntnis, dass eine vergeigte Ex nicht das Ende der eigenen Bildungskarriere bedeutet - aber vielleicht ein Wink ist, sich mehr anzustrengen, damit es nächstes Mal wieder besser wird.
Schon heute steht es übrigens laut Kultusministerium den Lehrkräften in Bayern frei, ob sie "Stegreifaufgaben" ankündigen oder nicht. Und in der 4. Klasse in der Grundschule, weil da die Übertrittsentscheidung in weiterführende Schulen ansteht, gibt es seit Längerem schon nur noch angekündigte Proben.
Keine Tests, vielleicht auch keine Noten? Die Alternativen überzeugen nicht
Liebe Amelie, Sie fordern: Am besten gleich ganz abschaffen, anstatt die Entscheidung den Lehrkräften zu überlassen.
Doch wäre eine Schule ganz ohne Exen und Abfragen wirklich fairer? Und was wären die Alternativen? Freiwillige Tests? Eine Vergleichbarkeit der Schüler-Leistungen wäre damit unmöglich. Ein mündliches Lehrer-Feedback anstatt der Benotung der Abfrage? Für viele Schülerinnen und Schüler kann eine gute Note auch Belohnung für das Engagement und Motivation für weitere Anstrengung sein.
In Zeiten der künstlichen Intelligenz (KI) dürfte der Abfrage eine eher noch größere Bedeutung zukommen – weil es darum gehen muss, was in den Köpfen jenseits schnell zu googelnder Fakten an Verständnis wirklich angekommen ist. Ein brauchbares Referat lässt sich längst problemlos mit KI erstellen. Ob man aber begriffen hat, was das so zusammengetragene Wissen tatsächlich bedeutet, lässt sich nur durch Nachfragen im Klassenzimmer klären.
Kommt der Druck an den Schulen oft nicht eher aus dem Elternhaus?
Na, klar: Schule soll kein Ort der Angst sein. Lernen soll auch Spaß machen. Unangekündigte Tests müssen dem aber nicht entgegenstehen. Zumal zur Wahrheit doch auch gehört, dass der Druck auf Schülerinnen und Schüler nicht selten weniger aus diesen Tests in der Schule erwächst - als aus einer vielleicht unrealistischen Erwartungshaltung im Elternhaus.
Auch wenn ich Ihre Forderung nach Abschaffung der Exen also nicht teile: Das große Echo auf Ihre Petition zeigt, dass Sie offensichtlich einen Nerv getroffen und eine wichtige Diskussion angestoßen haben. Allein das ist ein großer Erfolg! Ich werde den weiteren Verlauf dieser Debatte jedenfalls mit großem Interesse verfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Henry Stern, Landtagskorrespondent
Persönliche Post: der Samstagsbrief
Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
Also warum sollte die Schule genau anders ausbilden ?
Nur dass die Noten geschönt daher kommen ?
Machen wir doch gleich nur noch 3 Tage Unterricht die Woche mit jeweils 4 Stunden, weil das sonst zu sehr anstrengt…
Merkt eigentlich irgendwer, dass wir uns eine Generation von Faulpelzen, Idioten und Jammerlappen ran ziehen?
Es spricht nie etwas dagegen bestehende Systeme mal zu hinterfragen oder zu überarbeiten, aber es muss im Rahmen des Vernünftigen bleiben. Wenn wir uns vor 30, 40, 50 Jahren auch so verhalten (und das auch noch erreicht) hätten würde Deutschland heute in der Welt eine noch geringere Rolle spielen als es gerade eh schon tut…
Das Problem sind aber nicht in erster Linie diese Generation, sondern in 90% der Fälle die Eltern. Diese verhätscheln ihre Kinder zu stark und bestärken sie in ihrem (bescheuerten) Verhalten. Ausbaden müssen es die Lehrer…
Wie bereits in einem anderen Kommentar erwähnt, zeigen angekündigte Leistungsnachweise nachhaltig eine bessere Lernleistung und weniger Unsicherheit und Druck (https://www.news4teachers.de/2022/11/studie-unangekuendigte-tests-verunsichern-schueler-und-sorgen-fuer-schlechtere-noten/). Außerdem sprechen wir heutzutage allzu oft von der großen Bedeutung von mental health und sprechen sie hier Schülerinnen und Schülern ab.
Das größte Problem ist für mich aber, dass hier nicht mit Argumenten, sondern hohlen Phrasen a la "mir hat es doch auch nicht geschadet" argumentiert wird. Bekanntlich ist dann wohl doch eher das Gegenteil der Fall...
Die wird bei nur angekündigten Tests freilich hoch sein, weil immer zielgerichtet auf die bekannten Prüfungen hingearbeitet wurde (sich kurz davor der Lernstoff auswendig rein gepaukt wurde). Aber eben pro Fach nur ca 10 mal im Jahr und nicht öfter.
Wie Erfolgreich konnten Sie aber das Wissen so vermitteln, dass es auch wirklich hängen bleibt, wenn die Schüler ziemlich sicher wissen, dass die nächsten par Unterrichtseinheiten keine Abfrage stattfinden wird ?
Um Ihre These zu stützen, müsste man z.B. zwei Jahre nach dem Abi noch mal abfragen, wie viel vom gesamten Stoff in den Köpfen geblieben und anwendbar ist.
Haben Sie das getan ?
Wenn für gewisse Lehrer nur die Abschlussnote zählt, aber es ihnen egal ist, wie viel vom Lernstoff die Schüler später auch noch parat haben und anwenden können, haben diese Lehrer die absolut grundfalsche Einstellung.
Im Ernst, ich bin der Meinung dass die Anforderungen zur Hochschulzugangsberechtigung in den letzten 50 Jahren deutlich gesunken sind, als ich das Abi gemacht habe hatten wir eine Mitschülerin, bei der beim Notenschnitt eine 1 vor dem Komma stand. Heute sieht das meist ganz anders aus. Ergebnis: alle wollen an die Unis, deren Niveau kontinuierlich sinkt.
Eigentlich sollte eine Universität eine Einrichtung sein, die der Lehre und der Forschung dient mit dem Ergebnis, dass die, die mehr auf dem Kasten haben als der Durchschnitt nach Abschluss ihrer Ausbildung ihre Intelligenz schlussendlich auch zum Wohl der Allgemeinheit einbringen.
Es nützt wenig, wenn der mittelmäßige Durchschnitt auf Kosten der Steuerzahler ein paar bequeme Jahre auf der Uni absitzt um später festzustellen, dass es nun doch nicht das Richtige war.
Deshalb muss schon am Gymnasium besser gesiebt werden. Auch mit Exen. Unangekündigt.
Eine aktuelle schulpädagogische Studie der Universität Bayreuth unter der Leitung von Dr. Ludwig Haag und Dr. Thomas Götz der Universität Wien zeigte im Ergebnis, dass unangekündigte Leistungstests die Ängstlichkeit von Schüler*Innen stärken, die Freude am Lernen verringern und die Leistungsfähigkeit schwächen. Hingegen konnte eine Ankündigung von Leistungskontrollen zu einer Verbesserung schulischer Leistungen führen.( entnommen Pressemitteilung der Universität Bayreuth)
Um einen erfolgreichen Lernort zu schaffen, mangelt es in bayerischen Schulen gewiss nicht an Leistungsdruck, sondern aktuell an Lehrpersonal, Räumlichkeiten, Digitalisierung und Kompetenzförderung im Bereich des selbständigen Arbeitens.
Ausserdem ist es doch eine sportliche Aufgabe die Anzeichen einer drohenden Ex zu erahnen.
Wer da schon Ängstlichkeit entwickelt wird im späteren Leben erst recht Probleme bekommen.
Die wird bei nur angekündigten Tests freilich hoch sein, weil immer zielgerichtet auf die bekannten Prüfungen hingearbeitet wurde (sich kurz davor der Lernstoff auswendig rein gepaukt wurde). Aber eben pro Fach nur ca 10 mal im Jahr und nicht öfter.
Wie Erfolgreich konnte so aber das Wissen so vermittelt werden, dass es auch wirklich hängen bleibt, wenn die Schüler ziemlich sicher wissen, dass die nächsten par Unterrichtseinheiten keine Abfrage stattfinden wird ?
Um Ihre These zu stützen, müsste man z.B. zwei Jahre nach dem Abi noch mal abfragen, wie viel vom gesamten Stoff in den Köpfen geblieben und anwendbar ist.
Wurde das getan ?
Wenn für gewisse Lehrer UND FORSCHER nur die Abschlussnote zählt, aber es ihnen egal ist, wie viel vom Lernstoff die Schüler später auch noch parat haben und anwenden können, haben diese Lehrer/Forscher die absolut grundfalsche Einstellung.
Die Möglichkeit einer unangekündigten Abfrage hingegen fördert das kontinuierliche, tägliche Lernen und trägt dazu bei, den Stoff nachhaltig zu erlernen und zu behalten.