Sehr geehrter Herr Wissing, ich wurde gewarnt: Mit einem FDP-ler über ein allgemeines Tempolimit zu streiten, sei wie mit Dagobert Duck über die Abschaffung des Bargelds zu diskutieren. Ziemlich aussichtslos also. Wie Sie sehen, versuche ich es trotzdem, weil ich glaube und hoffe, dass Sie manches anders einschätzen als noch vor zwei Monaten. Damals war das Tempolimit für Sie noch eine lästige Fliege, die Sie locker vom Tisch wischen konnten. Ein "ganz kleines Thema", wie Sie sagten. Es war schon damals nicht so ganz klein, doch mittlerweile hat es an Größe gewonnen, und es wächst mit jedem Tag, an dem Sie und Ihre Partei es totschweigen und blockieren.
Das Tempolimit ist dieser Tage nicht mehr nur ein Politikum. Es eignet sich zumindest teilweise als Hebel in einem perfiden Krieg, den zu beenden uns jedes legitime Mittel recht sein müsste. Glaubt man Expertinnen und Experten, ließen sich durch ein Limit von 100 km/h auf Autobahnen zwei Millionen Tonnen Benzin im Jahr einsparen. Es wäre ein Anfang, um uns unabhängiger von russischen Ölimporten und damit auch von Kriegstreiber Putin zu machen. Ein bisschen Freiheit, die wir opfern müssten. Aber ein Statement, an dem fast alle mitwirken könnten. Friedensfahrt einmal anders. Ist das zu viel verlangt, Herr Wissing?
Wenn nicht jetzt, wann dann? Sie bräuchten noch nicht einmal über Ihren liberalen Schatten zu springen, sondern Sie könnten einen entsprechenden Vorstoß gesichtswahrend als Beitrag zur Friedenssicherung darstellen. Sie müssten nicht in die Mottenkiste greifen, wo all die verstaubten FDP-Vorbehalte lagern, wie der nach weitgehender Wirkungslosigkeit eines Tempolimits. Als wären drei Millionen Tonnen Kohlendioxid, Hunderte Verkehrstote sowie Zehntausende Verletzte weniger im Jahr nichts. Ganz zu schweigen von einer völlig unter die Räder geratenen Kultur, in der Rücksicht und Toleranz über die Jahrzehnte auf der Strecke geblieben sind.
Die Politik hat das Recht auf Rasen in den Köpfen verankert
Wenn ich heute über die Grenze in die Schweiz fahre, fühlt sich das an, als schüttelte ich einen Schwarm aggressiver Hornissen ab. Deutsche Raserei gegen Schweizer Gelassenheit. Hier ein Volk, das Amok fährt – dort eine Nation, die Langsamkeit als ein Stück Lebensqualität begreift. Beim Tempolimit, verehrter Herr Wissing, handelt es sich entgegen mancher FDP-Vermutung um kein deutsches Gewohnheitsrecht. Dass viele hierzulande es so sehen, ist vor allem die Schuld der Politik, die mit ihrer Tatenlosigkeit das Recht auf Rasen in den Köpfen verankert hat.
Das gilt auch für Ihre Partei, die sich in dieser Sache bis heute auf einen diffusen Freiheitsbegriff beruft. Endet die Freiheit des einen nicht dort, wo die des anderen anfängt? Offenbar nicht auf deutschen Autobahnen. Dort gilt weiterhin das archaische Gesellschaftsbild, wonach sich der Stärkere mehr Rechte herausnimmt, als er dem Schwächeren zugesteht.
Sie haben jetzt die Chance, in die Geschichte einzugehen – als jener Minister, der es als Erster mit der mächtigen Autolobby aufnimmt und ein Tempolimit gegen sie durchsetzt. Der sich nicht kleinmachen lässt wie viele Ihrer Vorgänger, allen voran der nicht nur bei der Maut dilettierende CSU-Spezi Andreas Scheuer, für den ein Tempolimit "gegen jeden Menschenverstand" war. Dabei ist die Idee alles andere als abwegig, denn in allen anderen Industrieländern gibt es generelle Tempobegrenzungen. Scheuers Stammtischrhetorik diente nur einem Ziel: die niederen Instinkte der Gasfuß-Fans zu bedienen. Dabei kostet ein Tempolimit – verglichen mit vielen anderen Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehr – fast nichts.
Was die Leute stört, ist der Starrsinn der FDP
Man könnte ein Tempolimit ja auch mal im positiven Kontext sehen. Aber Sie, Herr Wissing, kommen immer mit der selben Langspielplatte. "Was die Leute am generellen Tempolimit stört, ist ja diese starre Vorgabe." Falsch. Was die Leute stört, ist der Starrsinn der FDP. Eine Mehrheit ist nämlich mittlerweile genau dafür: für ein starres Tempolimit! Aber ständig redet man ihnen ein, dass das sowieso nichts bringt. Das ist, als würde man einem Alkoholiker jeden Tag erzählen, dass er von Mineralwasser und Apfelschorle Hautausschlag kriegt.
Sie, Herr Wissing, stört es, "wenn ich eine freie Autobahn habe und dann bei 135 geblitzt werde". Wissen Sie, was mich stört? Wenn ich eine Partei habe und dann nach gefühlt 135 Jahren immer noch keinen Fortschritt im Denken sehe. Jetzt kommt zu allen bisherigen Argumenten ein weiteres hinzu. Um die Abhängigkeit von den Energieimporten aus Russland schnell zu reduzieren, müssen wir uns alle umstellen. Nicht nur die Heizung, auch der Fuß muss runter vom Gaspedal.
Mit freundlichen Grüßen,
Eike Lenz, Redakteur
Kein Politiker ohne (politische) Selbstmordgedanken traut sich da ran. Zu emotional das Thema, zu mächtig die Autolobby.
Ein sachlicher Diskurs ist unmöglich.
Mir ist es de facto egal. Im Ausland mit Tempolimit fährt es sich definitiv entspannter auf den Autobahnen und ich denke, das wir definitiv als Gesellschaft weniger Sprit brauchen werden. Das wird zwar vehement verneint, aber die Physik sagt ganz klar etwas anderes. Das kann man nicht mit klarem Verstand wegdiskutieren. Womit wir wieder bei der Unsachlichkeit und er Emotionalität wären ...
dass in Deutschland die meisten Todesfälle in tempolimitierten Bereichen passieren. Das Problem ist mMn mehr die mangelnde Aufmerksamkeit bzw. die Überforderung durch die Komplexität der Situation als die gefahrene Geschwindigkeit.
Wenn man rational argumentieren wollte, müsste man also eher dem autonomen Fahren das Wort reden als einer hinreichend niedrigen Maximalgeschwindigkeit, um soviele Leben wie möglich vor den Gefahren des Straßenverkehrs zu schützen.
Es wäre dann auch wirklich entspannender, sich von seinem Auto computergesteuert/ optimiert fahren zu lassen als selber stundenlang vor dem Lenkrad zu hocken und gefühlt irgendwie trotzdem nicht voranzukommen.
Warum wohl? Weil sich Deutschlands Raser eben NICHT an die Tempolimits halten. Überhöhte Geschwindigkeit ist mit die häufigste Unfallursache, eben gerade in limitierten Bereichen.
Das ist wieder mal ein super Beispiel für eine Fehlinterpretation von Statistiken.
Nach Ihrer Interpretation sind Besoffene die besten Autofahrer, weil sie nur an 20% aller Unfälle beteiligt sind. Heißt umgekehrt: 80% aller Unfälle werden von nüchternen Fahrern verursacht. Also besser mit Alkohol fahren, weil es sicherer ist.
Richtig oder falsch?
halte (sogar) ich für Quarkes, da wird man ja bald noch von den LKW's überholt. Im Übrigen scheinen mir die Verkehrsregeln viel mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu tun zu haben: wer keinen Bock drauf hat und weiß wo eh nie kontrolliert wird "weil sichs nicht lohnt" braucht kaum bis gar nicht mit Konsequenzen zu rechnen.
Mir scheint ein vernünftiges Maß irgendwo zwischen 140 und 160 zu liegen, wobei dann aber häufiger als zzt. und an wechselnden Stellen kontrolliert werden müsste, weil sonst kann man sich die Maßnahme sparen/ macht sich "der Staat" nur (weiter) lächerlich damit.
Eine Ablehnung eines allgemeinen Tempolimits mit dem Begriff der Freiheit zu begründen ist genauso pervers wie es die die Fans der absoluten Waffenfreiheit in Amerika mit diesem Begriff begründen.
dass wir auch bei weiter steigenden Preisen mit einem dramatischen Geldwertschwund rechnen müssen. Insofern finde ich es gut, dass Sie versuchen mit dem banal erscheinenden Tempolimit auf die allgemeine Situation aufmerksam zu machen, auch wenn Sie vielleicht in ein Hornissennest gestochen haben, wie es manche Kommentare vermuten lassen.
In D ist gerade mal ein Fünftel der Autobahn ohne Tempolimit. Man kommt sowieso kaum auf eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als 110 km/h, da kann man das mit dem Tempolimit auch sein lassen. Ist nur ein Politikum und bringt nichts an Einsparung.
denn es ist das häufige Beschleunigen und Abbremsen, das den Verbrauch der Fahrzeuge hoch treibt.
Wer gleichmäßig 110 fährt verbraucht deutlich weniger als derjenige, der oft beschleunigt und dann die Energie wieder rausbremsen muss und im Schnitt dann vielleicht knapp über 110 km/h liegt.
Und ein Tempolimit würde zu einem wesentlich gleichmäßigerem Verkehrsfluss führen und daher doch zu einer spürbaren Verringerung des durchschnittlichen Verbrauchs auf den Autobahnen.
Ihre Angaben stimmen so nicht.
Komplett ohne Tempolimit sind in Deutschland – laut Bundesanstalt für Straßenwesen – 70 Prozent der Autobahnkilometer, Baustellen nicht mitgezählt. Bei weiteren sechs Prozent zeigen elektronische Schilder bei entspannter Verkehrslage keine Geschwindigkeitsbegrenzung an.
Eike Lenz, Main-Post, Redakteur und Reporter
danke für diesen trefflichen Samstagsbrief!!!
Lassen Sie sich von den altbekannten Kommentatoren hier, die bei jeglicher Kritik ihrer heiligen CSU aufmucken (obwohl Andi Scheuer ja nur in einem Nebensatz erwähnt wurde, aber das reicht schon, wie Sie sehen),
nicht beirren.
Argumente für ein Tempolimit gibt es ja bekanntlich viele.
Das einzige Argument, das gegen ein Tempolimit spricht: ICH will rasen!!!!