
Sehr geehrter Herr Habeck,
wie Sie am Montag in Berlin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen präsentierten, das fand ich sehr sympathisch. Mit klaren Worten, aber doch persönlich angefasst. Leicht ist es Ihnen - für jeden erkennbar - nicht gefallen.
Gewirkt hat diese Szene auch, weil sie in so krassem Widerspruch stand zum Machtkampf, den sich Armin Laschet und Markus Söder um die Kanzlerkandidatur in der Union zeitgleich geliefert haben. Ich fand es richtig, dass der bayerische Ministerpräsident mit offenem Visier angetreten ist. Eine Auswahl unter zwei starken Bewerbern stärkt die Demokratie. Nur die Art und Weise des Verfahrens, den Kandidaten zu finden, das war – wenn es denn überhaupt ein Verfahren gewesen ist – verheerend. An den Folgen wird die Union noch lange leiden.

Ihr Problem soll das nicht sein. Umso überraschter war ich, als ich das Interview las, das Sie in dieser Woche dann der "Zeit" gegeben haben. So ein kurzer Blick ins Innere, das ist schon okay. Aber insgesamt kommt mir ihr Reden über den "bittersüßen Tag" der Entscheidung ein bisschen arg larmoyant vor. Und das Sticheln, das können Sie offenbar so wenig lassen wie CSU-Chef Söder: Den Eindruck zu erwecken, Baerbeck sei letztlich nur deshalb Kandidatin geworden, weil sie eine Frau ist, das ist ein Tritt gegen das Schienbein der politischen Partnerin.
Warum kein Mitgliederentscheid?
Es gibt viele Aktive in der grünen Partei, die sagen, Sie, lieber Herr Habeck, seien zwar der bessere Politik-Erklärer. Doch in den Themen - von Klimaschutz bis Europa - sei eben Annalena Baerbock deutlich kompetenter. Zudem komme sie ohne allzu viel Show aus. Vermutlich hätte sie auch einen Mitgliederentscheid gewonnen. Ein solcher hätte den Grünen, für die Basisdemokratie zum Erbgut gehört, gut angestanden, finde ich.
Vor vier Jahren, als es um deutlich weniger ging, da hat man sich eine Urwahl geleistet, um mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zwei Spitzenkandidaten zu küren. Warum also diesmal keine Abstimmung zwischen Baerbock und Ihnen? So richtig erklären konnte mir das bislang niemand. Ist da im Rausch der guten Ergebnisse bei den letzten Wahlen sowie der aktuell glänzenden Umfragewerte ein wenig die Bodenhaftung verloren gegangen?
Als größtes Defizit wird der 40-jährigen Baerbock von vielen Medien ihr relativ junges Alter und die mangelnde Erfahrung in der Exekutive vorgehalten. Tatsachen, die sich nicht leugnen lassen. Aber wenn man sieht, wie erfahrene und langjährige Amtsträgerinnen und vor allem Amtsträger Deutschland derzeit durch die Corona-Krise führen, da verliert ein solches Argument schnell an Gewicht. Baerbock-Fans verweisen ja gerne auf Barack Obama. Der habe es auch vom einfachen Abgeordneten direkt ins Weiße Haus geschafft.
Die Euphorie ist also groß bei den Grünen. Zugute kommt Ihrer Partei, dass es die größte politische Herausforderung der nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, ist, den menschengemachten Klimawandel endlich wirksam einzudämmen. Eine Aufgabe, die viel konsequenter angegangen werden muss als bisher. In welcher Konstellation auch immer: Da werden starke Grüne gebraucht, eine Partei, die - wenn sie sich ihrer Wurzeln besinnt - Ökologie als Topthema hat.
Um dabei erfolgreich zu sein, reicht keine One-Woman-Show. Das ist Ihre Chance, lieber Robert Habeck. Ihr Würzburger Parteifreund Patrick Friedl hat dieser Tage gesagt, Baerbock sei seine Wunsch- Kanzlerin. Aber auch Sie sollten einer künftigen Regierung angehören - als Superminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Da muss man erstmal durchatmen, bei so einem Titel. Friedl hat ihn mit Bedacht gewählt. In Österreich vereine die grüne Ministerin Leonore Gewessler genau diese Aufgaben. Und zwar sehr erfolgreich, sogar unter einem konservativen Kanzler Sebastian Kurz ...
Aus dem Kanzler-Duell wird ein Dreikampf
Ich freue mich jedenfalls auf den Wahlkampf. Er wird spannend werden wie selten. Ich rechne mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen um die Kanzlerschaft. Zwischen Annalena Baerbock und Armin Laschet. Und Olaf Scholz. Nicht so konservativ wie der CDU-Kandidat, erfahrener als die Grüne: Wenn es dem SPD-Finanzminister gelingen sollte, sich in den kommenden Wochen als Wiedergänger der scheidenden Angela Merkel zu inszenieren, dann wird aus dem Kanzler-Duell ein Dreikampf. Der Demokratie hierzulande täte es gut.
Lieber Herr Habeck, wenn Sie im Wahlkampf - so es denn pandemiebedingt möglich ist - wieder mal nach Mainfranken kommen, lade ich Sie ein, mit uns in der Redaktion zu diskutieren. Über die Grünen, den Wahlkampf und die Rolle von Robert Habeck.
Beste Grüße aus Würzburg,
Michael Czygan, Redakteur
Wie geht das denn?
Warum hört man statt Sachlicher Kritik ständig Schreckensszenarien? Gibt es wirklich so wenig sachlich zu kritisieren?
Begeistert vom Kurs in BW sind die wenigsten der Grünen.
Ja, Erfahrungen aus der Vergangenheit können sogar hinderlich sein. Aber auch das fehlen eines Grundgerüstes an Überzeugung (wie es uns Söder zeigt).
Deshalb ist A. Baerbock die richtige Kanzlerin.
Hab ich was verpasst?
Ich erinnere sie daran, mein gar nicht lieber @arcus, dass sie bei der letzten Landtagswahl in Bayern auch schon die Grünen als Wahlsieger gesehen haben. Und wer regiert??
"Ja, die Grünen, das sind schon dumme Leute. Keine Ahnung von Garnix, aber in der großen Politik mitmischen...
Wollen Sie hier ernsthaft auf diesem Niveau diskutieren? Oder nur mal rumstänkern?"
Sicher nicht. Aber ich befürchte, dass Sie sich auf ein Niveau begeben wollen, auf dem Argumente nichts mehr zählen. Übrigens... Sie kennen mich nicht, möglicherweise bin bin ich sogar Wähler dieser Partei. Und könnte trotzdem mit Frau Baerbock als Kanzlerkandidantin nicht zufrieden sein, sondern Habeck für kompetenter halten. Von den Grünen als "dumme Leute" habe ich auch nicht gesprochen, ich bezog mich lediglich auf Äußerungen von Frau Baerbock, die eben eine gewisse Inkompetenz aufzeigen. Sorry - Energiewende zu wollen und einen Pumuckl nicht von einem Metall unterscheiden können oder irreale Angaben zur Stromspeicherung zu machen, zeugt nicht von Kompetenz in Kernfragen. Man kann Grüner sein, aber Frau Baerbock als Kanzlerin ablehnen. Soviel Diversität muss (!) sein!
Und grundsätzlich hege ich erstmal keine Zweifel an jemandes politischer Kompetenz, der Politikwissenschaften studiert hat. Merkel hat Physik studiert und ist trotzdem eine gute Kanzlerin.
Da wurde überhaupt nichts falsch zitiert oder aus dem Zusammenhang gerissen. Baerbock hat mehrmals von "Kobold" im Sommerinterview gesprochen. Und im DLF hat sie ebenfalls gezeigt, dass Sie weder gut gebrieft noch kompetent ist, was Energiethemen angeht. Das können Sie sich im Original anschauen oder anhören. Aber anscheinend haben Sie nur Internet und kommen auf "mainpost.de", haben aber keine Suchmaschine. Oder leben nach dem Motto: Alles, was nicht in mein Weltbild passt, gibt es auch nicht.
Viel wichtiger in dem Zusammenhang sind doch Teamfähigkeit und Führungskompetenzen. Denn eine Bundeskanzlerin muss nicht alles wissen, sich aber unbedingt und in allen Situationen auf ihr Team verlassen können.
So viel Weissagung. Und alle wissen ganz genau, dass Frau Baerbock ein Totalausfall sein wird …
Weil … naja, weil halt … sie ist eine Frau, sie ist grün, sie ist jung, sie hat keine Ahnung von Physik und Chemie, von Umweltschutz schon mal gar nicht, sie will eine sozialistische Revolution starten – und außerdem hat der Putin keinen Kindertisch.
Im Ernst jetzt? Wirklich sehr erwachsen!
So ein Haufen Nonsens, nur um sich selbst einzureden, dass es nicht zu einer grünen Regierungsbeteiligung kommen kann/wird … weil das halt mit dem eigenen Weltbild einfach nicht zu vereinbaren ist. Und nicht sein kann was nicht sein darf. Wenn man es oft genug wiederholt, wird es ja vielleicht eine selbsterfüllende Prophezeiung … ? 😉
Ich habe (u. a.) Kohl, Schröder und Merkel als Bundeskanzler überlebt – da werde ich mir jetzt aus Angst vor einer Annalena Baerbock auf gar keinen Fall in die Hose machen …
Zeit wird's!!!