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Würzburg
Samstagsbrief: Ach Boris, mit Dir geht auch ein kleines Stückchen unserer Jugend in den Knast!
Zweieinhalb Jahre Gefängnis ohne Bewährung: Boris Becker, 54, hat einen Tiefpunkt seines Lebens erreicht. Leicht war dieses Leben allerdings nie, meint unser Autor.
Nach mehrstündiger Zitterpartie stand am Freitag fest: Boris Becker muss ins Gefängnis.
Foto: Kirsty O'connor, dpa | Nach mehrstündiger Zitterpartie stand am Freitag fest: Boris Becker muss ins Gefängnis.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:06 Uhr

Lieber Boris Becker, wir kennen uns jetzt schon so lange, dass ich mir erlaube, "Du" zu sagen. Ich weiß, das ist eigentlich nicht in Ordnung, weil natürlich Du mich nicht kennst, und weil die unerlaubt vertrauliche Anrede vermutlich genau Teil Deines Problems ist: Wir alle haben Dich gnadenlos vereinnahmt. Nach diesem 7. Juli 1985, an dem Du als "17-jährigster Leimener aller Zeiten" (Süddeutsche Zeitung) das Wimbledon-Finale gewonnen hast und Dein Leben von einem Tag auf den anderen ein völlig anderes wurde. Und damit auch ein ganz kleines bisschen unseres.

Wen ich mit "Wir" meine? Ich meine Millionen von Menschen, die an diesem Nachmittag atemlos vor der Glotze hingen und miterlebten, wie Du einen Südafrikaner namens Kevin Curren vom Platz fegtest. Damals, als Wimbledon noch im Free-TV lief, als Wimbledon noch ein Gesprächsthema im Bus, in der Pause oder in der WG war.

Der 7. Juli 1985 war für viele Menschen ein Schlüsselerlebnis. Warum eigentlich?

Vor allem aber meine ich die Menschen, die damals ungefähr so alt waren wie Du, vielleicht ein bisschen älter. Du bist Jahrgang 1967, ich bin Jahrgang 1964. Wenn man weiß, dass dies der geburtenstärkste deutsche Jahrgang aller Zeiten ist, kann man sich vorstellen, dass dieser 7. Juli für sehr, sehr viele Menschen ein Schlüsselerlebnis war. Aber warum eigentlich?

Ein Becker-Hecht am legendären 7. Juli 1985.
Foto: Rüdiger Schrader, dpa | Ein Becker-Hecht am legendären 7. Juli 1985.

Ich kann mich noch sehr gut an dieses Finale erinnern. Wir haben es in meiner damaligen WG in München-Pasing geschaut: Ein Philosoph, ein Kunsthistoriker, ein Volkswirtschaftler, eine Biologin und ein Musiker. Die ganzen Superlative, die nach dem Finale unermüdlich wiederholt wurden – erster Deutscher, erster Ungesetzter, jüngster Spieler –, interessierten uns nicht besonders. Was uns faszinierte, war das Drama.

Was haben wir in den Folgejahren mitgefiebert, wenn Becker-Hecht, Becker-Faust und Becker-Blocker zum Einsatz kamen. Wenn Du auf dem Platz standst, passierte immer etwas Spannendes, nicht selten Bewegendes. Wenn Du aussichtslose Rückstände doch noch drehtest oder gleich in der ersten Runde ausschiedst. Wenn Du wieder mal mit blutigen Knien vom Platz gingst und dann in der Pressekonferenz mit diesem entwaffnenden Grinsen Deine etwas ungelenken Statements abgabst.

Günther Bosch, Dein Trainer, wurde ebenso zu unserem Gefährten durch den Alltag (obwohl er Dich nur drei Jahre lang betreute, wie ich beim Nachlesen mit Interesse festgestellt habe) wie der Schnurrbart von Ion Tiriac. Kurz: In einer Zeit, in der die öffentlichen Bilder nicht minütlich wechselten, in der noch niemand sich die mediale Zersplitterung durch das Internet vorstellen konnte, warst Du, Boris Becker, eine Figur, deren überlebensgroße Bedeutung sich die jungen Leute heute vermutlich nicht annähernd vorstellen können.

Wieder Juli, wieder Wimbledon: Boris Becker 1986 nach seinem zweiten Sieg des legendären Rasenturniers. Damals war er 18 Jahre alt.
Foto: Wolfgang Eilmes, dpa | Wieder Juli, wieder Wimbledon: Boris Becker 1986 nach seinem zweiten Sieg des legendären Rasenturniers. Damals war er 18 Jahre alt.

Wer soll sowas unbeschadet überstehen? Ich habe jetzt weder vor, die psychologischen, noch die juristischen Analysen Deines Lebens nachzuerzählen, die seit Jahren regelmäßig veröffentlicht werden. Immer wenn eine Ehe oder eine Partnerschaft scheitert, wenn Millionenforderungen und strafrechtliche Konsequenzen publik werden.

Wenn Du siegtest, machten wir die Becker-Faust, wenn Du verlorst, den Fernseher aus

Ich gebe zu, dass ich nach Deinem Karriereende als Tennisprofi 1999 ein wenig den Kontakt zu Dir verloren habe. Unsere WG hatte sich längst zerstreut, auf dem Tenniscourt agierten weitaus weniger schillernde Helden. Und jetzt schreiben sie alle vom tiefen Fall des Boris Becker. Andere geben Solidaritätsadressen ab wie Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennisbundes: "Wir stehen da, würde ich sagen, treu an der Seite unserer Tennis-Ikone."

Das ist nett gemeint, aber eben auch Teil des Problems: Irgendwie warst Du in unserer Wahrnehmung immer die Ikone, die Projektionsfläche unserer Träume und Sehnsüchte. Du warst unser Bobbele, unser Bumm-Bumm-Boris. Wenn Du siegtest, machten wir die Becker-Faust, wenn Du verlorst, den Fernseher aus. Schwamm drüber.

Wir erlauben uns, keine 17 mehr zu sein, Dir aber nicht

Aber wie lebt ein Mensch, der einerseits unfassbar berühmt ist, andererseits eben nur eine Art Abziehbild? Eigentlich kann das gar nicht gelingen. Wir erlauben uns, keine 17 mehr zu sein, Dir aber nicht. Weil Du zum Symbol unserer Jugend geworden bist, an die wir uns klammern. Vielleicht hat uns deshalb Deine Verurteilung 2002 wegen Steuerhinterziehung nicht so besonders interessiert.

Aber jetzt musst Du tatsächlich in den Knast, und es ist, als rückte ein kleines Stückchen unserer Jugend mit ein. Nicht nur deshalb wünsche ich Dir alles Gute für eine Zeit, die sicher schwerer wird als jedes Tennismatch.

Mit traurigen Grüßen

Mathias Wiedemann

Persönliche Post: der Samstagsbrief

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.
Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
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  • P. B.
    Einen Artikel über Becker hätte gelangt.
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  • T. H.
    Zweiter Versuch: ich empfinde diesen samstagsbrief als befremdlich. Herr Becker hat herausragende Leistungen vollbracht. Dafür wurde er mit viel Beifall und einem großen Vermögen belohnt. Nach dem Motto "Adel verpflichtet" würde ich auch sagen: "Vermögen verpflichtet". Nach dem, was man in den letzten Jahren aus den Medien mitbekommen hat, hat Herr Becker viele Jahre lang über seine Verhältnisse gelebt. Das ist so ähnlich wie bei Schauspielern, die als Kinder berühmt waren und später als Erwachsene als Schauspieler keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Vielleicht sollte es Herr Becker einmal damit versuchen, einer normalen Arbeit nachzugehen und in normalen Verhältnissen zu leben. Dann käme er auch mit seinem Geld zurecht.
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  • T. H.
    Doppelposting.
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  • K. K.
    "Wir kennen uns so lange, aber du kennst mich nicht"
    Was ist denn das für ein geschwurbel??
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  • R. B.
    Boris war nie die hellste Kerze auf der Torte und hat sich letztlich immer den falschen Leuten anvertraut. Dass es auch anders geht zeigt Steffi Graf, Boris hat die Zündschnur an beiden Seiten gleichzeitig angezündet.
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  • A. H.
    Scheinheiliges Geplapper, Herr Wiedemann.
    Wärs ein Politiker Ihrer Altersklasse, evtl. sogar noch aus den "rechten" Parteien, würden Sie doch genau so gnadenlos draufhauen, wie der mainstream.
    Guten-Tag!
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  • A. H.
    oder wenn ich da - Z:B:!! - an den Fall Hoeneß (meine Altersklasse) denke, Herr Wiedemann: Wie wurde von großen Teilen der der bayernfeindlichen Presse - auch Ihrem Blatt - da mit dem Promi scheinheilig, gehässig und schadenfroh umgegangen! Natürlich war dessen Steuersache auch kriminell, das will ich auch n icht verharmlosen, aber im Unterschied zu Becker hat er den Schaden wiedergutgemacht.....
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  • G. K.
    Das hat er sehr schön geschrieben, der Herr Wiedemann!
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  • J. F.
    „Wir alle haben Dich gnadenlos vereinnahmt.“

    Nein, Herr Wiedemann. Es gab immer auch schon Menschen, die sich verwundert die Augen gerieben haben angesichts der Vergötterung des Tennisspezialisten:

    Leserbrief in der MP (21.11.2017): „In den 80er Jahren wurde Boris Becker vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum Vorbild für die Jugend erhoben. Zu dem Zeitpunkt war ich Wehrpflichtiger und diese Aussage hat mich entsetzt: Becker hat an manchen Wochenenden eine Million D-Mark als Preisgeld bekommen, aber in Deutschland keine Steuern bezahlt, da er seinen Wohnsitz in Monaco hatte. Zur Bundeswehr musste er auch nicht, dabei war er kerngesund. Solche Pseudo-Vorbilder habe ich noch nie gebraucht: kein Wehrdienst und Alibi-Steuern im Steuerparadies...“ Andreas Hoch

    Ich würde sagen: Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. – Und dass er bricht, ist vielleicht auch ein Hoffnungsschimmer.
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  • U. A.
    MP-Log: Hervorragend. treffender geht es nicht.
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  • P. B.
    Perfekter Kommentar!
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  • R. B.
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  • T. M.
    Advantage Wiedemann! Diesen Samstagsbrief finde ich sehr treffend, unterschreibe jedes Wort.

    Danke, dass Sie an Boris Beckers Geschichte mit Respekt und Empathie rangehen, Ihr Tonfall tut richtig gut. Dreck geworfen wird in diesen Tagen schon genug.

    Daniel Pesch, TV Mainfranken
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  • G. B.
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  • H. M.
    Er ist aber nicht mehr 17 und sollte doch gereift sein. Sein süffisantes Benehmen hat ihm offensichtlich hier geschadet. Das Gericht hat richtig entschieden. Ob er daraus lernt , wage ich zu bezweifeln. Er wird sich als Opfer darstellen, und seine Geschichte gewinnbringend verkaufen.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Was ein rührseliger Kommentar.
    Liest man in der selben Zeitung den Bericht über die Machenschaften und Schulden Beckers an Cleven, hält sich mein Mitleid in Grenzen.

    Becker war auf dem Tenniscourt top wie auch zu dieser Zeit Steffi Graf.
    Nur gibt es einen Unterschied, Graf hat ihr Leben im Griff und hat nicht betrogen und gelogen.
    Becker ist mit seinen Geldgeschichten mehrfach aufgefallen. Wie heisst es so schön, der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht.
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  • G. K.
    Steffi Graf hatte das Glück, dass nicht sie selbst, sondern ihr Vater Peter Graf in den Knast musste.

    Aber Betrügereien gab es hier wie dort ...
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  • I. F.
    @ FischersFritz, zum Glück...

    ...gibt's da keine Sippenhaft!
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  • P. B.
    Steffi Graf hatte ganz sicher nichts mit der Steuerhinterziehung ihres Vaters zu tun. Noch davon gewusst.
    Also nicht einfach jemanden mit Dreck beschmeißen. Widerlich sowas!
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Der Vater von Graf hat betrogen, sie selbst nicht !

    was soll das, dass sie Steffi Graf schlecht machen wollen, üble Nachrede ist das.
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