
Lieber Boris Becker, wir kennen uns jetzt schon so lange, dass ich mir erlaube, "Du" zu sagen. Ich weiß, das ist eigentlich nicht in Ordnung, weil natürlich Du mich nicht kennst, und weil die unerlaubt vertrauliche Anrede vermutlich genau Teil Deines Problems ist: Wir alle haben Dich gnadenlos vereinnahmt. Nach diesem 7. Juli 1985, an dem Du als "17-jährigster Leimener aller Zeiten" (Süddeutsche Zeitung) das Wimbledon-Finale gewonnen hast und Dein Leben von einem Tag auf den anderen ein völlig anderes wurde. Und damit auch ein ganz kleines bisschen unseres.
Wen ich mit "Wir" meine? Ich meine Millionen von Menschen, die an diesem Nachmittag atemlos vor der Glotze hingen und miterlebten, wie Du einen Südafrikaner namens Kevin Curren vom Platz fegtest. Damals, als Wimbledon noch im Free-TV lief, als Wimbledon noch ein Gesprächsthema im Bus, in der Pause oder in der WG war.
Der 7. Juli 1985 war für viele Menschen ein Schlüsselerlebnis. Warum eigentlich?
Vor allem aber meine ich die Menschen, die damals ungefähr so alt waren wie Du, vielleicht ein bisschen älter. Du bist Jahrgang 1967, ich bin Jahrgang 1964. Wenn man weiß, dass dies der geburtenstärkste deutsche Jahrgang aller Zeiten ist, kann man sich vorstellen, dass dieser 7. Juli für sehr, sehr viele Menschen ein Schlüsselerlebnis war. Aber warum eigentlich?

Ich kann mich noch sehr gut an dieses Finale erinnern. Wir haben es in meiner damaligen WG in München-Pasing geschaut: Ein Philosoph, ein Kunsthistoriker, ein Volkswirtschaftler, eine Biologin und ein Musiker. Die ganzen Superlative, die nach dem Finale unermüdlich wiederholt wurden – erster Deutscher, erster Ungesetzter, jüngster Spieler –, interessierten uns nicht besonders. Was uns faszinierte, war das Drama.
Was haben wir in den Folgejahren mitgefiebert, wenn Becker-Hecht, Becker-Faust und Becker-Blocker zum Einsatz kamen. Wenn Du auf dem Platz standst, passierte immer etwas Spannendes, nicht selten Bewegendes. Wenn Du aussichtslose Rückstände doch noch drehtest oder gleich in der ersten Runde ausschiedst. Wenn Du wieder mal mit blutigen Knien vom Platz gingst und dann in der Pressekonferenz mit diesem entwaffnenden Grinsen Deine etwas ungelenken Statements abgabst.
Günther Bosch, Dein Trainer, wurde ebenso zu unserem Gefährten durch den Alltag (obwohl er Dich nur drei Jahre lang betreute, wie ich beim Nachlesen mit Interesse festgestellt habe) wie der Schnurrbart von Ion Tiriac. Kurz: In einer Zeit, in der die öffentlichen Bilder nicht minütlich wechselten, in der noch niemand sich die mediale Zersplitterung durch das Internet vorstellen konnte, warst Du, Boris Becker, eine Figur, deren überlebensgroße Bedeutung sich die jungen Leute heute vermutlich nicht annähernd vorstellen können.

Wer soll sowas unbeschadet überstehen? Ich habe jetzt weder vor, die psychologischen, noch die juristischen Analysen Deines Lebens nachzuerzählen, die seit Jahren regelmäßig veröffentlicht werden. Immer wenn eine Ehe oder eine Partnerschaft scheitert, wenn Millionenforderungen und strafrechtliche Konsequenzen publik werden.
Wenn Du siegtest, machten wir die Becker-Faust, wenn Du verlorst, den Fernseher aus
Ich gebe zu, dass ich nach Deinem Karriereende als Tennisprofi 1999 ein wenig den Kontakt zu Dir verloren habe. Unsere WG hatte sich längst zerstreut, auf dem Tenniscourt agierten weitaus weniger schillernde Helden. Und jetzt schreiben sie alle vom tiefen Fall des Boris Becker. Andere geben Solidaritätsadressen ab wie Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennisbundes: "Wir stehen da, würde ich sagen, treu an der Seite unserer Tennis-Ikone."
Das ist nett gemeint, aber eben auch Teil des Problems: Irgendwie warst Du in unserer Wahrnehmung immer die Ikone, die Projektionsfläche unserer Träume und Sehnsüchte. Du warst unser Bobbele, unser Bumm-Bumm-Boris. Wenn Du siegtest, machten wir die Becker-Faust, wenn Du verlorst, den Fernseher aus. Schwamm drüber.
Wir erlauben uns, keine 17 mehr zu sein, Dir aber nicht
Aber wie lebt ein Mensch, der einerseits unfassbar berühmt ist, andererseits eben nur eine Art Abziehbild? Eigentlich kann das gar nicht gelingen. Wir erlauben uns, keine 17 mehr zu sein, Dir aber nicht. Weil Du zum Symbol unserer Jugend geworden bist, an die wir uns klammern. Vielleicht hat uns deshalb Deine Verurteilung 2002 wegen Steuerhinterziehung nicht so besonders interessiert.
Aber jetzt musst Du tatsächlich in den Knast, und es ist, als rückte ein kleines Stückchen unserer Jugend mit ein. Nicht nur deshalb wünsche ich Dir alles Gute für eine Zeit, die sicher schwerer wird als jedes Tennismatch.
Mit traurigen Grüßen
Mathias Wiedemann
Was ist denn das für ein geschwurbel??
Wärs ein Politiker Ihrer Altersklasse, evtl. sogar noch aus den "rechten" Parteien, würden Sie doch genau so gnadenlos draufhauen, wie der mainstream.
Guten-Tag!
Nein, Herr Wiedemann. Es gab immer auch schon Menschen, die sich verwundert die Augen gerieben haben angesichts der Vergötterung des Tennisspezialisten:
Leserbrief in der MP (21.11.2017): „In den 80er Jahren wurde Boris Becker vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum Vorbild für die Jugend erhoben. Zu dem Zeitpunkt war ich Wehrpflichtiger und diese Aussage hat mich entsetzt: Becker hat an manchen Wochenenden eine Million D-Mark als Preisgeld bekommen, aber in Deutschland keine Steuern bezahlt, da er seinen Wohnsitz in Monaco hatte. Zur Bundeswehr musste er auch nicht, dabei war er kerngesund. Solche Pseudo-Vorbilder habe ich noch nie gebraucht: kein Wehrdienst und Alibi-Steuern im Steuerparadies...“ Andreas Hoch
Ich würde sagen: Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. – Und dass er bricht, ist vielleicht auch ein Hoffnungsschimmer.
Danke, dass Sie an Boris Beckers Geschichte mit Respekt und Empathie rangehen, Ihr Tonfall tut richtig gut. Dreck geworfen wird in diesen Tagen schon genug.
Daniel Pesch, TV Mainfranken
Liest man in der selben Zeitung den Bericht über die Machenschaften und Schulden Beckers an Cleven, hält sich mein Mitleid in Grenzen.
Becker war auf dem Tenniscourt top wie auch zu dieser Zeit Steffi Graf.
Nur gibt es einen Unterschied, Graf hat ihr Leben im Griff und hat nicht betrogen und gelogen.
Becker ist mit seinen Geldgeschichten mehrfach aufgefallen. Wie heisst es so schön, der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht.
Aber Betrügereien gab es hier wie dort ...
...gibt's da keine Sippenhaft!
Also nicht einfach jemanden mit Dreck beschmeißen. Widerlich sowas!
was soll das, dass sie Steffi Graf schlecht machen wollen, üble Nachrede ist das.