Sehr geehrte Frau Klöckner,
bevor Sie empört sind, ausweichen, sich rechtfertigen, die Sache von sich schieben. Ja, Sie sind erst seit einem guten halben Jahr Bundeslandwirtschaftsministerin. Ja, Sie haben da eine schwierige Situation vorgefunden. Ja, die unangenehme Angelegenheit ist über Jahre verschleppt worden von ihren Vorgängern und Vorgängerinnen. Und ja, der Gesetzgeber ist in diesem Fall das Parlament, die Abgeordneten müssen jetzt die Kuh vom Eis bringen, beziehungsweise die Sau. Und ja, ja, auch der Verbraucher spielt bei der ganzen Schweinerei eine Rolle, der einfach kein Eberfleisch essen mag, weil es so nach Eber riecht.
Ja. Stimmt. Aber, Frau Klöckner, an wen anderes als Sie sollte man es denn sonst adressieren: Das ist eine unfassbare Sauerei!
Man muss sich erst mal klarmachen, was da geschieht: Wenige Tage alt, bekommt das männliche Ferkel mit dem Skalpell seine daumennagelgroßen Hoden weggeschnitten. Ferkel auf ein Gestell gespannt, Hodensack auf, Hoden heraus, Schnitt durch den Samenstrang. Desinfektionsmittel auf die Wunde – und ab mit dem Schweinchen zurück in den engen Kastenstand.
Jahrelanger Streit um Betäubung
Seit fast 20 Jahren streitet Deutschland über die Frage, ob kleine Eber ohne Betäubung kastriert werden dürfen und die schmerzhafte, martialische, überflüssige Tortur bei vollem Bewusstsein und Empfinden über sich ergehen lassen müssen. Ab Januar 2019 sollte eigentlich Schluss sein mit der betäubungslosen Kastration, so war es vor fünf Jahren mit der Reform des Tierschutzgesetzes beschlossen.
Vor fünf Jahren schon. Ausreichend Zeit eigentlich für die Landwirte, sich vorzubereiten, das Hodenausreißen endlich zu beenden und eine der Alternativen zu wählen. Zum Beispiel die Impfung gegen den Ebergeruch, den der Schnitzel-Konsument nicht schätzt. Oder die Betäubung vor der Kastration, die Ihr Ministerium empfiehlt, obwohl Narkosemittel eigentlich in die Hände von Tierärzten gehören, nicht in die der Bauern. Oder vielleicht die Immunkastration, bei der die Eber gegen ihr Geschlechtshormon geimpft werden. In Australien, Brasilien, Belgien funktioniert diese Methode angeblich sehr gut.
Eigentlich sollte Ende des Jahres Schluss sein
Etwa 20 Millionen Ferkel werden in Deutschland jedes Jahr ohne Narkose kastriert. Ende des Jahres sollte endlich Schluss sein mit der Tierquälerei. Wie gesagt, nach fünf Jahren. Viel Zeit für die Ferkelhalter, ihre Betriebe umzustellen und den Schmerz wirksam auszuschalten.
Und jetzt, Frau Ministerin? Der Schmerz zählt nicht. Wenige Wochen vor Ablauf der Übergangsfrist wird der schwarz-rot dominierte Bundestag die betäubungslose Kastration der kleinen Sauen weiter zulassen. Unfassbar.
Die Agrarlobbyisten haben ganze Arbeit geleistet. Sie haben fünf Jahre lang über „Lokalanästhesie in Eigenregie“ geredet, die den Fachleuten zufolge den Schmerz nicht ausschaltet und die wohl auch kaum praktikabel ist. Oder wie will der Schweinehalter das Ferkel mit der Nadel an der richtigen Stelle treffen, wenn es zappelt und sich eigentlich nicht betäuben lassen will. Die Bauernverbandsleute haben fünf Jahre lang schonende Methoden verunglimpft und von „Hormonfleisch“ geredet, wenn es um Immunkastration ging. Dass dabei ein bestimmtes Hormon unterdrückt wird, damit sich die männlichen Geschlechtsteile ausbilden und das Fleisch später keinen strengen Eberbeigeschmack entwickeln kann, und dass das Kotelett also alles andere als ein Hormon-getuntes Fleisch wäre, spielte keine Rolle.
Verbot wird vermutlich weiter aufgeschoben
Für die Umsetzung der tierschutzrechtlich unbedenklichen Alternativen in den deutschen Schweineställen hat sich der Bauernverband nicht eingesetzt. Wieso auch. Er konnte sich ja darauf verlassen, dass die CDU es schon irgendwie hinbekommen würde, die Übergangsfrist einfach noch einmal zu verlängern. Am Freitag ging der Gesetzesentwurf, dass die Ferkel noch einmal zwei Jahre lang weiter gequält werden dürfen, im Bundestag in die erste Lesung. Die Grünen fordern die unverzüglich Umsetzung des Tierschutzes. Die AfD stellte einen Antrag, die Lokalanästhesie bei der Kastration zu ermöglichen. Und Union und SPD werden, man muss kein Prophet sein, das Verbot aufschieben. Sie werden dank des Fraktionszwangs am Ende den Ferkelerzeugern erlauben, dass sie die Schweinerei irgendwann in der nächsten Übergangsfrist vielleicht womöglich eventuell doch noch beenden.
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Der „Tierschutz im Grundgesetz“? Ist dem Agrarlobbyismus zum Fraß vorgeworfen. In den nächsten zwei Jahren werden erst einmal weiter viele Ferkelchen völlig vermeidbare Qualen leiden, weil es pro Sau zwei oder drei Euro billiger ist. Ist das Politik? Gesetze, die dem Wohl von Umwelt, Mensch und Tier dienen sollten, einfach zu ändern, wenn sie von den Verantwortlichen nicht eingehalten werden?
Nehmen Sie die Tierhalter in die Pflicht!
Frau Bundeslandeswirtschaftsministerin, nehmen Sie die Tierhalter in die Pflicht! Starten Sie eine Einführungskampagne. Klären Sie auf. Machen Sie dem Verbraucher, der auf das Schnitzel nicht verzichten will, das nachweislich unbedenkliche Eberfleisch schmackhaft. Machen Sie ihm klar, dass das Steak vom schmerzfrei kastrierten Schwein nur ein paar Cent mehr kostet. Und verzichten Sie was Pflichten und Aufgaben der Hersteller betrifft endlich auf die ewige Rücksicht und „Freiwilligkeit“.
Mit freundlichen Grüßen,
Alice Natter, Redakteurin
Es müssen unbedingt überwachte Gesetze her. In Kombination mit einem Mindestpreis für Fleisch. Aber politisch liegt bei uns so vieles im Argen.
Sie beschreiben in dem kommentar die Leiden der männlichen Ferkel und beschreiben nach Ihrer Meinung die wünschenswerte Lösung, nämlich Lokalanästhesie.
nun taucht die Frage auf, wer darf das?
natürlich nur der Tierarzt.
ich bin selbst ausgebildeter Landwirt und wundere mich ob der einseitigen Darstellung, daß nur die politik und die Landwirte an dieser Vorgehensweise schuld seien. Ein Kollege erzählte mir letzthin als er beim Tierarzt nachfragte wegen kastration mit Betäubung, erstens hätte er für solche banale Dinge keine zeit.
dann die Kosten: 8 € pro Ferkel. Wenn man bedenkt, daß der Gewinn pro Ferkel z. Zt. diesen Betrag nicht einmal abdeckt.
wenn die breite masse der Gesellschaft dies wirklich will, dann sind auch die Betriebswirtschaftler der Handelsketten gefragt, dann müssen wir uns auch um Ethik in der Bezahlung der gewünschten Produkte unterhalten. Wie wäre es mit Fair-Trade für heimische Bauern, vielleicht brauchts dann weniger Subventionen .
Wenn die andere Volksgruppen sich an keinen Tierschutzgesetz halten und nach ihren Glauben das tun, dann ist alles o.K.
Unsinnige - Ansinnen, die vielen Ansichten der Schönrednern!
Ich befürchte, jetzt wird wieder zwei Jahre lang nichts gemacht. Und in zwei Jahren muß das Ganze leider, leider wieder verschoben werden, weil es dummerweise keine kurzfristige Lösung gibt ...
An einem Kastrationsverbot ohne Betäubung geht kein Weg vorbei. Allerdings ist die Komplexität des Themas nicht zu unterschätzen. (Will sagen, es muss mehr als nur das getan werden.)