zurück
WÜRZBURG
Claudia Stamm: "Ich bin keine Einzelkämpferin"
Redaktion
 |  aktualisiert: 03.09.2018 02:23 Uhr

Sehr geehrte Frau Natter,

was war wohl der Anlass für Ihren Brief? Der Wetterbericht für Teile Bayerns wird es nicht gewesen sein und wahrscheinlich auch nicht der Hinweis, dass am 2. August 8000 Unterschriften für mut auf dem Tisch liegen müssen.

Es geht wohl darum, ob man in diesen Zeiten eine neue Partei gründen sollte, noch dazu, wenn man es vielleicht als Landtagsabgeordnete einer etablierten Partei wie den Grünen sich ganz gemütlich einrichten kann. Ich will Ihnen also darauf eine Antwort geben.

„Es war ein tolles Jahr“

Es ist bald ein Jahr seit unserer Gründung. Am 1. Juni feiern wir beim Wiggerl Hagn in der Hirschau in München unseren Geburtstag. Es wird ein Fest werden. Denn es war ein tolles Jahr mit vielen wundervollen Begegnungen voll engagierter Menschen. Mit Menschen wie zum Beispiel meiner früheren Landtagskollegin Renate Ackermann und anderen, die bei den Grünen oder anderen Parteien ausgetreten sind, aber vor allem mit Menschen, die sich nie vorstellen konnten, Mitglied in einer Partei zu werden, wie z.B. mein Co-Vorsitzender Professor Stephan Lessenich. Und dann gründete er auch noch gleich eine Partei, weil es – wie wir meinten – an der Zeit ist zu handeln.

„Rund um uns herum entstehen neue Parteien“

Ich stelle fest, dass in Europa rund um uns herum neue Parteien entstehen. Und auch wenn es einer schwer fällt das zuzugeben: Auch in Deutschland gibt es mit der AfD eine neue politische Kraft, deren langer Schatten vor allem auch auf die bayerische Politik fällt. Deutschland hat einen deutlichen Ruck nach rechts gemacht. Und wie reagiert die Opposition? Mit Erschöpfung: Auf einem Höhepunkt Ihrer Parteigeschichte drehen Winfried Kretschmann und Kollegen die grüne Fahne in den rechten Wind, nehmen Kurs auf Abschiebung und Abbau des Rechtsstaats. Nicht anders in Hessen, nicht anders im Bund. Damit reagieren die Grünen ebenso wie alle anderen Parteien mit einem Reflex.

Die deutsche Politik starrt wie das Kaninchen auf die Schlange: auf die heraufziehenden Wolken der Globalisierung, des Klimawandels, eines weltweiten Umbruchs, ohne das Blitzgewitter im Rücken zu sehen. Politik muss Antworten auf Armut, Migration, Krieg und Flucht finden. Und dafür müssen überhaupt erst einmal mutige Fragen gestellt werden. Denn wir werden weder Alters- noch Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll bekämpfen, wenn wir nicht bereit sind, strukturelle Veränderungen anzugehen, zum Beispiel mit einer Kindergrundsicherung.

„Zwischenzeitlich politisch allein auf bayerischer Flur“

Allein? Ich fühlte mich nicht als Einzelkämpferin. Nicht in der letzten Legislaturperiode, also mit der alten Besetzung der Grünen Fraktion bis 2013. Doch seitdem man mehr oder weniger offen dem Schwarz-Grünen Kurs alles Mögliche opfert(e), ja, da wurden die Grünen immer weniger meine „Heimat“.

Allein? Zwischenzeitlich habe ich mich politisch allein auf bayerischer Flur gefühlt, ja. Aber mit meinem Austritt hat sich das völlig verändert...

Ich bin keine Einzelkämpferin, auch wenn ich ab und zu etwas allein bin. Ich war allein, als ich vor einem Jahr gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Hartmut Wächtler vor der ersten Reform des Polizeiaufgabengesetzes warnte und auf die massiven Eingriffe durch das sogenannte Gefährdergesetz in den Rechtsstaat aufmerksam machte. (Warum zu dem Zeitpunkt niemand darüber bis auf TV München berichtete, weiß ich nicht). Doch jetzt bin ich nicht mehr allein! Tausende gehen für Demokratie und die Freiheitsrechte auf die Straße. Das ist gut so.

Der Vorstand mit Prof. Stephan Lessenich, Nikki Britz, Claudia Stamm, MdL, Axel Schweiger, dahinter: Thomas Meier und Tanja Schwarmeier
Foto: Hajü Staudt | Der Vorstand mit Prof. Stephan Lessenich, Nikki Britz, Claudia Stamm, MdL, Axel Schweiger, dahinter: Thomas Meier und Tanja Schwarmeier

„Ich habe kein Problem mit der Idee einer Schwarz-Grünen Koalition, also kein grundsätzliches“

Und verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Frau Natter! Ich habe kein Problem mit Nähe zu Menschen, die ein CSU-Parteibuch haben. Ganz im Gegenteil. Und auch kein Problem mit der Idee einer Schwarz-Grünen Koalition, also kein grundsätzliches. In der letzten Legislatur dachte ich, dies sei möglich: In der CSU gab es manch modernen, jungen Kollegen oder auch den älteren Kollegen oder Kollegin, die in Sachen Asyl und Integration sehr menschlich unterwegs waren. Doch was ist seitdem passiert? Man fährt einen Kurs – aus welchen Gründen auch immer - bei der die Politik teils menschenverachtend ist. Um vermeintlich stark zu sein. Nein, das ist keine Partei, mit der man koalieren möchte - weder als Grüne noch sonst als eine Partei, die den Menschen im Mittelpunkt hat.

„Ob Spitzenfrau oder nicht, darauf kommt es nicht an“

Ob Spitzenfrau oder nicht, darauf kommt es nicht an. Es kommt auf Glaubwürdigkeit an. Es kann doch nicht glaubwürdig sein, wenn man monatelang mit der CSU verhandelt, um Jamaika hinzukriegen, dabei so einiges an Zielen und Prinzipien über Bord wirft, in Bayern es aber nicht haben will. Genauso wenig ist es glaubwürdig, vor den Toren der Partei-Klausur zu protestieren, gegen die Demokratie- und Menschenrechts-Feinde, weil sie Victor Orban zu Besuch haben. Und im gleichen Atemzug wird immer und immer wieder beteuert: Ja, man wolle mit der CSU regieren, weil nur so könne man gestalten. Diese Erzählung ist übrigens eine Watschn für alle Alt-Grünen. Für die, die einmal auf den Straßen gegen Pershings und Cruise-Missiles gekämpft haben, für die, die sich überall wegen des Stroms aus Kernkraftwerken an Zäune gekettet haben. Die Grünen haben am meisten bewirkt, als sie in der Opposition waren. In Regierungsverantwortung, nehmen sie allenfalls noch den Platz ein, den die Unions-Parteien durch ihren Rechtsrutsch freigelassen haben.

Was also tun, Frau Natter? Im Landtagsbänkchen schlummern und vielleicht sogar von einem Pöstchen im bayerischen Kabinett träumen, und von der Aussicht mitgenommen zu werden, auf eine große Fahrt nach Brüssel?

„Kommende Landtagswahl nur eine Etappe“

Wie es zwischen Ihren Zeilen klingt, beurteilen Sie die Gründung von mut von einem möglichen Ende her? Nämlich einem Scheitern bei der nächsten Landtagswahl. Das ist nicht allzu mutig. Ich stelle mir viele andere Szenarien vor und sehe die kommende Landtagswahl zwar als sehr wichtige, aber eben nur als eine Etappe.

Ich jedenfalls habe das Wochenende mit dem wunderschönen Wetter genutzt, um bei Terminen quer durch München weitere Unterstützende für eine mutige Politik für Bayern zu werben.

Wie heißt es so schön in unserem Flyer?

Es braucht Mut.

Hier kommt mut.

Schöne Grüße in eine meiner Heimaten,

Ihre

Claudia Stamm

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Alternative für Deutschland
Armut bei Kindern
CSU
Demokratie
Freiheitsrechte
Ideen
Landtagswahl 2018
Landtagswahlen
Menschenverachtung
Mut
Renate Ackermann
Winfried Kretschmann
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • cimb24
    Die politische Tätigkeit von Frau Stamm "jun." kann ich nicht beurteilen,und möchte ich auch nicht kommentieren.

    Welche Gründe auch immer dieser Entscheidung zu Grunde lagen..

    Es braucht sicher stabile Nerven und ein dickes Fell,im Haifischbecken der Politik sich dauerhaft zu etablieren zu versuchen UND auch noch erfolgreich tätig sein zu können.

    Nach wie vor ein hoch dotiertes-und oft verlogenes Geschäft.

    Da darf man auch mal NEIN sagen..und wieder andere bzw.eigene Wege gehen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • patrick-friedl@web.de
    Der Mär von der wirkungsvollen Oppositionszeit entgegen gesetzt zur Erinnerung mal eine Liste von einigen der Erfolge aus der rot-grünen Regierungszeit im Bund (1998 bis 2005):
    - eingetragene Partnerschaft (ohne das die Ehe für Alle nie gekommen wäre)
    - doppelte Staatbürgerschaft
    - Zuwanderungs- und Aufenthaltsgesetz
    - Erneuerbare Energiengesetz
    - Atomausstiegsgesetz
    - Novelle Bundesnaturschutzgesetz
    - Biosiegel und Förderung Ökolandbau
    - Gewaltschutzgesetz
    - Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe
    - Ganztagsschule
    - Ausbau Kinderbetreuung
    - Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern
    - ökologische Steuerreform
    ...
    Bin auf eine vergleichbare Bilanz aus der Opposition heraus gespannt. Einfach eine beliebige andere 7-Jahres-Periode nehmen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten