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GEISELWIND
Zweimal 5000 Menschen in Geiselwind: Antworten auf Frei.Wild
Frei.Wild, eine der gerade erfolgreichsten Bands in Deutschland und wohl die aktuell umstrittenste, verkaufte die knapp 5000 Menschen fassende Halle zweimal hintereinander aus.
Im Zeichen des Geweihs: Frei.Wild (vorne in der Mitte Philipp Burger) beim Konzert in Geiselwind.
Foto: Hans Will | Im Zeichen des Geweihs: Frei.Wild (vorne in der Mitte Philipp Burger) beim Konzert in Geiselwind.
Thomas Brandstetter
 |  aktualisiert: 28.05.2019 10:15 Uhr

Das Geweih kostet fünf Euro. Die Sprüche kosten zehn: „Gegen Rassismus und Extremismus“ und „Leckt uns am Arsch“. Natürlich gibt’s auch den Namen als Schriftzug: Frei.Wild. Das Geweih, Logo der Band, geht am häufigsten. Der Sprüher hat gar keine Zeit, seine Airbrush-Pistole mal aus der Hand zu legen in dem Zelt vor der Eventhalle auf Strohofers Autohof in Geiselwind. Hals, Unterarme, Achselhöhlen.

Eine junge Frau lässt sich ihre linke Brust besprühen mit den Wisch-und-weg-Tattoos, die zwei Wochen halten sollen. Bei den beiden 26-jährigen Miltenbergerinnen, die ihre Namen nicht verraten wollen, prangt das Geweih an der rechten Halsseite. „Weil wir was zu feiern haben an einem Tag wie heute“, sagt die eine und hebt den Kopf zu ihrer größeren Freundin. „Sie hat Geburtstag. Es war ein Geschenk.“ Es ist Samstag, der 20. April.

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Frei.Wild, eine der gerade erfolgreichsten Bands in Deutschland und wohl die aktuell umstrittenste, verkauft die knapp 5000 Menschen fassende Halle zweimal hintereinander aus, auch am Sonntag pilgern sie zu den vier Männern aus Brixen in der italienischen Provinz Südtirol. Es ist in den letzten Jahren ein ziemlicher Wirbel um die Deutschrockband entstanden. Sie wehrt sich vehement dagegen, Rechtsextremismus zu bedienen. Ein NPD-Funktionär hat im Internet kräftig Reklame für sie gemacht: „Die sind zu 80 Prozent bei uns.“ Bei einem Konzert in Dortmund soll der Verfassungsschutz zugehört haben. Aus Frei.Wild-Liedern sturzbacht Heimatliebe. Wie in „Südtirol“: „Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist, drum holt tief Luft und schreit es hinaus, Heimatland, wir geben dich niemals auf.“ In „Allein nach vorn“ heißt es: „Dieselbe Hetze schon seit etlichen Jahren, wir müssen die Menschen vor Frei.Wild bewahren, und es hat nix gebracht, uns nur bekannter gemacht!“

„Nein, die Texte sind auf keinen Fall grenzwertig“, sagt das Geburtstagskind aus Miltenberg. Aber sind die Texte nicht oft sehr zweideutig? „Hip-Hopper haben da doch oft viel schlimmere.“ Es „kommt auf den Betrachter an, würd’ ich mal sagen“, sagt ihre Freundin.

Bandchef Philipp Burger wird knapp vier Stunden später schreien: „Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat. Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten, wir sind einfach gleich wie Ihr . . . von hier. Wir haben immer gesagt, dass wir das Land hier furchtbar lieben, Balsam für die Seele, wie wir euch damit provozieren. Ihr seid dumm, dumm und naiv, wenn Ihr denkt, Heimatliebe ist gleich Politik.“ Burger betont immer wieder, dass seine Band unpolitisch sei. Er singt: „Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt vor den andersgläubigen Kindern.“ Das Lied heißt "Das Land der Vollidioten".

Auf der Suche nach Antworten. Mike, 20, aus Bad Neustadt, findet, dass die Diskussion um die Gesinnung der Band „an den Haaren herbeigezogen ist. Patriotismus muss doch auch ohne Nationalismus möglich sein“. Er fragt: „Darf man sein Land nicht lieben, ohne Nazi zu sein?“ Im Übrigen: „Warum soll man Kreuze in den Klassenzimmern abhängen, nur weil ein paar Moslems in der Klasse sind. Die können ihre Teppiche ja auch mitbringen, sag’ ich mal.“ Mike sagt auch, dass er ein bisschen angetrunken ist. Es ist gut zwei Stunden, bevor Philipp Burger die Bühne betritt.

Vom Band kommt Udo Jürgens: „Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde. Komm schenk dir ein, und wenn ich dann traurig werde, liegt es daran, dass ich immer träume von daheim, du musst verzeihen.“ 5000 Menschen grölen den Refrain mit. Der Österreicher Jürgens singt von Gastarbeitern, die sich danach sehnen: „Irgendwann geht es zurück. Und das Ersparte genügt zu Hause für ein kleines Glück.“ Stammgäste von Frei.Wild sagen, es sei neu, dass Jürgens den Abend einläutet. Üblicherweise lässt Burger sein Konzert-Publikum zwischendurch auch mal „Nazis raus!“ skandieren. Diesmal nicht.

Die Südtiroler haben die Losung ausgegeben, dass keine Neonazis und Rechtsextreme bei ihren Konzerten Eintritt bekommen sollen. Jedenfalls keine, die ihre Geisteshaltung zur Schau tragen. Der schrankbreite Securitymann an der Kasse sagt, dass er einige Leute wieder weggeschickt hat, „zum T-Shirt-Wechseln“, weil auf den Shirts verbotene Symbole gedruckt waren.

Burger heizt der Gemeinde gleich zu Beginn ein: „Wir reiten in den Untergang“ vom aktuellen Album „Feinde deiner Feinde“. Der Text geht so: „Nichts als Richter, nichts als Henker. Keine Gnade und im Zweifel nicht für dich. Heut' gibt es den Stempel, keinen Stern mehr. Und schon wieder lernten sie es nicht. Und sagst du mal nicht Ja und Amen oder schämst dich nicht für dich, stehst du im Pranger der Gesellschaft und man spuckt dir ins Gesicht. So, so, so – so fing alles an. Und wir reiten wieder in den Untergang.“

„Lächerlich“ findet Markus aus Frankfurt die Diskussion um seine Lieblingsband. Der 32-Jährige war einige Jahre bei der Bundeswehr in Niederstetten stationiert. Er sagt: „Ich lieb’ mein Deutschland auch.“ Man solle bei den Frei.Wild-Texten mal genau zuhören. Bandchef Burger war in seiner Jugend rechtsextrem und spielte in der Skinhead-Gruppe Kaiserjäger, er nannte das mal „eine Jugendsünde“. Bei Die Freiheitlichen, einer Art Südtiroler Schwesterpartei der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), hat er sich vorübergehend engagiert. „Man kann doch Menschen nicht abschlagen, dass sie sich ändern“, sagt Markus.

Im Frei.Wild-Lied „Gutmenschen und Moralapostel“, das die Band an diesem Abend nicht spielt, heißt es: „Sie bestimmen was gut, was böse ist, sie sind das, worauf ich scheiß'. Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen. Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen. Sind selber die größten Kokser, die zu Kinderstrichern gehen. Ich scheiß auf Gutmenschen, Moralapostel. Ich hasse sie wie die Pest.“ Frei.Wild waren in diesem Jahr für den Echo nominiert, den wichtigsten deutschen Musikpreis. Nachdem die ebenfalls nominierten Bands Kraftklub und Mia mit dem Boykott der Veranstaltung gedroht hatten, wurden die Südtiroler von der Liste gestrichen. In Geiselwind hämmern sie eindreiviertel Stunden lang ebenso eingängigen wie einseitigen Maximal-drei-Akkord-Rumpelrock in die Gehörgänge. Das Publikum kann jede Zeile, frisst der Band die Texte unbesehen aus der Hand.

Eine Frau aus Regensburg, die Burger auf die Bühne holt, damit sie ein Lied mitsingt, darf sagen, dass sie um die 50 Frei.Wild-Konzerte hinter sich hat und auch am Sonntag wieder da sein wird. Burger kündigt an, sich nächstes Jahr von der Bühne zurückzuziehen, „für unbestimmte Zeit“. Er verspricht die Rückkehr. „Früher als manchem lieb ist.“ Ayla aus Schweinfurt hat Frei.Wild durch Mike kennen gelernt. „Er hat’s mir mal vorgespielt, und mir hat’s gefallen.“ Eine Freundin der 20-Jährigen sagt: „Die haben doch einen in der Crew, der schwarz ist. Die können also gar nicht rechts sein.“ Sie gehen noch ein Frei.Wild-T-Shirt kaufen und wollen endlich rein in die Halle. Die, die kein Kleidungsstück der Band tragen, fallen auf.

Einer, der weder seinen Namen sagen will, noch sein Alter oder woher er kommt, er dürfte Ende 20 sein, sagt: „Warum darf der Ami sagen, er liebt sein Land, und der Deutsche darf es nicht? Nur, weil es in der Geschichte einen gegeben hat, der ein bisschen Scheiße gebaut hat?“ Als er merkt, was er gesagt hat, ergänzt er lachend: „Okay, große Scheiße gebaut.“

Am 20. April 1889 wurde Hitler geboren. In Geiselwind gibt es Frei.Wild-Fans, die sagen: Dieser Termin hätte bei der Diskussion um die Band nicht sein müssen. Andere fragen: Warum? Es ist doch ein Tag wie jeder andere. Für die 26-Jährige aus Miltenberg, die mit ihrer Freundin Geburtstag feiert, ist es das nicht. Ihnen sagt das Datum etwas. Aber: „Es interessiert uns nicht.“ Dann verabschieden sie sich: „Schreib wenigstens Du mal was Wahrheitsgemäßes und nicht das, was die anderen alle grad machen.“

Die Polizei meldete keine besonderen Vorkommnisse.

Transparent in der Halle
| Transparent in der Halle
T-Shirt eines Fans
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