Spätestens seit sie im März dieses Jahres von der Nominierungsliste des Musikpreises „Echo“ gestrichen wurden, sind Frei.Wild in die Schlagzeilen geraten. Am Wochenende wurde gegen ein Konzert der Rockgruppe aus Südtirol in Aurich demonstriert. Im Vorfeld der Frei.Wild-Auftritte am 20. und 21. April in Geiselwind (Landkreis Kitzingen) forderten Landtagsabgeordnete der Grünen, die Konzerte abzusagen. Der Vorwurf: Die Rocker würden in ihren Texten völkisches und nationalistisches Gedankengut verbreiten. Die Südtiroler weisen das in Interviews immer wieder zurück. „Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten“, heißt es auch in ihrem Song „Das Land der Vollidioten“.
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Was ist dran an den Vorwürfen? Offensichtlich Rechtsextremes ist in Frei.Wild-Texten nicht zu finden. Doch wird es möglicherweise zwischen den Zeilen transportiert. Beispielhaft lässt sich die Frei.Wild-Problematik am Begriff „Heimat“ demonstrieren. „Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat, ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk“ heißt es in „Wahre Werte“. Der Song empfiehlt auch, wer sich seiner Heimat schäme, könne sie doch verlassen. Deutlicher wird die Band aus dem norditalienischen Brixen in „Das Land der Vollidioten“: „Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt vor den andersgläubigen Kindern. Das ist das Land der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat.“ Offenbar ist die Heimat, die Frei.Wild meint, nicht für jeden da. Zumindest suggeriert der Text, dass manche der Bewohner dieser Heimat zweitklassig sind.
Bestimmte Gruppen auszugrenzen war auch ein Kennzeichen des Heimatbegriffes der Nationalsozialisten, sagt die Historikerin Dr. Martina Steber. Sie hat sich in ihrer Dissertation wissenschaftlich mit „Heimat“ in der NS-Zeit beschäftigt. Entstanden sei die Vorstellung von Heimat als Ort, wo das wahre Deutsche zu Hause sei, schon Mitte des 19. Jahrhunderts. Noch in der Weimarer Republik sei „Heimat“ von rechten Parteien ebenso verwendet worden wie von linken. Jedes politische Lager habe den Begriff aber mit je anderen Inhalten gefüllt. „Man kann dann sehen, wie der ursprünglich vieldeutige Begriff während der NS-Zeit immer stärker auf eine rassistische und biologistische Komponente zugespitzt wurde“, erklärt die Stipendiatin am Historischen Kolleg München. Nur in der Heimat, so die Nazi-Vorstellung, könne deutsches Blut rein gehalten werden. Diese Auffassung beinhaltet zwangsläufig die Ausgrenzung dessen, was als nicht deutsch und als rassisch minderwertig gesehen wurde – und führte in letzter Konsequenz zu Krieg und Massenmord. Der Heimatbegriff war ein Steinchen im Mosaik der nationalsozialistischen Strategie.
Mit „Heimat“ lässt sich's gut propagandistisch operieren. Weil jeder eine haben möchte und jeder seine eigenen Vorstellungen hat. Heimat sei ein „Sehnsuchtsbegriff von Harmonie und Ordnung“, so Martina Steber. „Heimat meint einen überschaubaren Raum, den der Einzelne begreifen kann, in dem persönliche Beziehungen da sind, einen Raum, den er sich auch erwandern kann.“ In den Wirrnissen nach dem Ersten Weltkrieg war „Heimat“ ein Zufluchtsort – freilich kein realer. Weil die wirkliche Welt nicht überschaubar und harmonisch ist und das auch niemals war.
Frei.Wild bedienen mit ihrem Heimatbegriff wiederum die Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Die Anziehungskraft der Texte funktioniere „über Schwarz-Weiß-Denken“, so der Mainzer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs gegenüber der Deutschen Presseagentur.
Nun ist nicht jeder, der Frei.Wild hört, auch ein Neonazi. Vielen ist nur die rockige Musik wichtig, der Text interessiert sie kaum. Doch rechtsdrehende Wirrköpfe können in den Songs ohne Weiteres Bestätigung für ihre Ansichten finden. Laut Internet-Lexikon „Wikipedia“ genießt die Band denn auch „in der rechtsextremen Szene große Beliebtheit“.
Von Heimat singen auch andere. Vor allem in der volkstümlichen Musik spielt das Thema eine große Rolle, und unter volkstümlichen Musikanten mag es durchaus braune Schafe geben. Aber im Allgemeinen bleiben die Texte im harmlosen Kitsch-Bereich. Bei der österreichischen Meissnitzer-Band etwa sieht „Hoamat“ (Lied-Titel) so aus: Da geht's ums „Bacherl, des owi rinnt“, und „d'Sunn strahlt durch die Bam ganz hell“. Frei.Wild-Texte haben eine ganz andere Dimension. Der bedenkliche Umgang mit dem Begriff Heimat ist bei den Südtirolern nicht das einzig Problematische. Der Journalist Thomas Kuban befasst sich in seinem Buch „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ mit der Rechtsrock-Szene. Im Interview mit dieser Zeitung hatte er gesagt, Frei.Wild arbeite „subtil mit Anspielungen und Andeutungen“ (wir berichteten). Zum Beispiel „spielen sie auf das antisemitische Stereotyp von angeblich reichen Juden an. Auch würdigen sie Opfer der Nazidiktatur herab, die für ihre unbeschreiblichen Leiden Entschädigungszahlungen vom deutschen Staat erhalten.“ Kuban sieht bei den Südtirolern „betont aggressiven Nationalismus am Werk“.
Ist das nun alles weit hergeholt – oder wirklich unterschwellig in den Texten der Norditaliener präsent? Nutzen Frei.Wild ihre Songs möglicherweise ganz bewusst zur Manipulation? Darüber kann man nur spekulieren. Misstrauen ist jedenfalls angebracht.
Die Band und Ihr Gründer
Frei.Wild wurde im September 2001 von Philipp Burger (Gesang, Gitarre) und Jonas Notdurfter (Gitarre) gegründet. Alben der Rockband aus Brixen in Norditalien schafften es bis auf Platz zwei der deutschen Charts.
Gründungsmitglied Philipp Burger (Jahrgang 1981) war laut „Spiegel Online“ zuvor Mitglied der Skinhead-Band Kaiserjäger. Er habe Texte gesungen wie „Diese Neger und Yugos werden sesshaft, doch den größten Teil der Schuld tragt nunmal ihr, weshalb hab'n wir auch dieses Gesindel hier“. Burger leugnet seine rechtsextremistische Vergangenheit nicht, sagt aber, laut „Spiegel Online“, die habe sich „in Luft aufgelöst“.
Philipp Burger war, laut Internet-Lexikon „Wikipedia“, einige Zeit Mitglied der rechtspopulistischen Südtiroler Partei Die Freiheitlichen. Als die Band 2008 bei einer Veranstaltung der Partei auftreten wollte, gab es eine öffentliche Diskussion. „Erst auf Druck des Managements zog sich die Band von der Veranstaltung zurück und distanzierte sich“, heißt es bei „Wikipedia“. Text: hele