Das Licht geht aus, der Dirigent hebt die Arme. Da, kurz vor dem ersten Ton, eine Kinderstimme, hörbar voll der Vorfreude: „Ja, endlich!“
So also kriegt man junge Leute in die Oper: mit „Zauberflöte reloaded“, dem Projekt von Christoph Hagel für das Mozartfest 2018. Klassik mit Rap, Hip-Hop und Breakdance im zweimal ausverkauften Mainfranken Theater. Das Publikum ist im Schnitt vielleicht ein bisschen älter als beim Ballett, aber deutlich jünger als bei herkömmlicher Oper. Hagel hat, damals mit George Tabori, die „Zauberflöte“ 1998 in den Zirkus und 2008 in die U-Bahn verlegt. Und 2013 hat er Mozart – ebenfalls fürs Mozartfest – schon einmal mit Breakdance verschnitten. „Breakin' Mozart“ läuft bis heute immer wieder mit großem Erfolg.
Diesmal hat er das nicht zuletzt dank ermüdender Dialoge ausufernde Singspiel auf zwei Stunden – eine pro Akt – eingedampft, was ein wenig auf Kosten der Verständlichkeit der Handlung geht (auf Kosten des weltanschaulichen, namentlich freimauererischen Überbaus sowieso). Macht nichts: Dass Tamino ein hilfloser Tropf ist, Pamina eine schüchterne Schöne mit erstaunlicher Durchsetzungskraft, Papageno (hier Papagino) ein liebenswerter Lausbub, Sarastro ein autoritärer, aber wohlmeinender Despot und die Königin der Nacht eine ziemlich anstrengende Person, das wird auch so klar.
Pamina kauft Tamino schon in der Normalversion der Oper den Schneid ab
Interessanterweise ist mit dem jungen Schauspieler Paul Lux (bekannt aus der Netflix-Serie „Dark“) nur der Papagino unsängerisch besetzt. Lux ist jetzt kein wirklich routinierter Rapper, und in den Duetten mit Pamina oder Papagina (beide Male überragend: Christina Roterberg) wird hörbar, dass er auch kein geübter Sänger ist – Defizite auf beiden Gebieten macht er aber mit Ausstrahlung und gestischem Witz wett. Das Publikum jedenfalls liebt ihn auf Anhieb.
Gustavo Eda, in der abgewetzten Uniformjacke eines Provinzzirkus-Direktors (Kostüme: Nele Sternberg), wirkt, als solle er den Tamino ausdrücklich als Antihelden porträtieren – tatsächlich kaufen ihm schon in der klassischen Version dauernd Papageno oder Pamina den Schneid ab. Eda braucht ein wenig, bis sein leichter, heller Tenor den Raum füllt, die Bildnisarie bekommt dadurch aber etwas wahrhaft Intimes.
Pamina als erstaunlich durchsetzungsfähiges Scheidungskind
Wie sich herausstellt, ist Pamina ein Scheidungskind, die Eltern – Sarastro und die Königin der Nacht – sind heillos zerstritten. Ein wunderbar idyllisches Video auf der Bühnenrückwand (Bühnenbild und Projektionen: Dariuz Voltra) zeigt die einstmals glückliche Familie beim Rudern. So wird aus dem Kampf der Welten, der Konfrontation von Tag und Nacht, von Hell und Dunkel, von Gut und Böse ein simpler Ehekrach – welche Frau wollte ihren Exmann nicht schon mal umbringen?
Dem Stück tut auch das gut: „Zauberflöte reloaded“ ist zunächst einmal Leichtigkeit und Spaß. Die drei Damen (Anna Ellinghaus, Safiyah Galvani, Rosa Rädisch) tanzen ihre Mission (Choreografie: Raha Nejad). Bei Bedarf bilden sie mit Monflatos (Devin Ash-Quaynor, hinzu erfundener Handlanger von Monostatos Bože Juriæ-Pešiæ) und den beiden Knaben Sarastros eine kleine Privatarmee. Die beiden Knaben wiederum sind die Breakdancer Dominik Blenk und Markus Heldt, auch bekannt als Hot Potatoes. Ihnen gelingt das Kunststück, ihre immer wieder bejubelte Akrobatik organisch in die Handlung zu integrieren.
Mozart liefert durchaus wiedererkennbare Inspiration für die Beatbearbeitungen
Dadurch geht zwar viel Musik verloren, schließlich gehören die Ensembles mit Damen und Knaben zu den schönsten Einfällen Mozarts, immerhin liefern sie durchaus wiedererkennbare Inspiration für die Beatbearbeitungen von Max Bernatzky und Dariuz Voltra.
Und dann geschieht etwas Wunderbares: Christoph Hagel, der die engagiert aufspielenden Berliner Symphoniker schön sichtbar im nur halb abgesenkten Graben leitet, hatte eingangs die gängigen Opernregeln aufgehoben: „Sie dürfen jederzeit applaudieren, mitsingen, mittanzen. Sie dürfen auch Geldscheine auf die Bühne werfen.“ Applaudiert wird immer wieder laut und gerne, aber ansonsten scheinen die alten Regeln quasi selbsttätig in Kraft zu bleiben. In den klassischen Arien wird es mucksmäuschenstill im Theater – ob das die Faszination der Koloratur-Kunststücke von Nachtkönigin Jennie Litster ist oder die großartige Klarheit und Fülle von Sarastro Marko Špehars Bass.
So entsteht neben Leichtigkeit und Spaß eine Dimension der Tiefe, die anrührender kaum sein könnte. Die größte Magie entfaltet eben dann doch Mozarts Musik selbst. Gut möglich, dass sich einige der zum Schluss entfesselt Jubelnden demnächst auch mal eine ganz normale Oper anhören.