Ein Ballett für die Bayerische Staatsoper zu schreiben, gehört zu den bedeutendsten Aufträgen, die man als Komponist bekommen kann. Lorenz Dangel, 1977 in Würzburg geboren, hat ein solches geschaffen: "Schneesturm" nach Alexander Puschkin. Uraufführung ist am Samstag, 17. April, per Live-Stream (kostenfrei). Im Interview erklärt Dangel, wie es ist, in der Pandemie zu arbeiten und wie er zu Ikonen der Branche wie Hans Zimmer oder Ennio Morricone steht. Prominent ist er längst selbst, Lorenz Dangel hat unter anderem 2012 den Deutschen Filmpreis gewonnen und war 2016 und 2020 dafür nominiert.
Lorenz Dangel: Ja. Wenigstens ich darf da sein.
Dangel: Genau. Choreografie, Dramaturgie und Komponist und ein paar Leute vom Haus. Es ist im Moment extrem streng, verständlicherweise. Schon die Proben laufen mit Einlasskontrollen, das ganze Team wird getestet. Man will unbedingt verhindern, dass auf den letzten Metern noch in der Ballettcompagnie ein Corona-Fall auftritt - denn dann kann man aufhören.
Dangel: Definitiv letzteres. Wir haben zwar schon im Herbst über diesen Aspekt nachgedacht, obwohl es unvorstellbar war, dass wir im April noch mit Corona zu tun haben würden. Aber Andrey Kaydanovskiy, der Choreograf, und ich wussten immer, wir schreiben kein Ballett für Corona, sondern ein Ballett fürs Ballett. Das Stück soll ja danach weitergespielt werden. Aber ich musste die Besetzung reduzieren, auf der Partitur steht "Covid-Fassung". Auch bei den Tänzern musste reduziert werden, aber es ist keine berührungsfreie Choreografie.
Dangel: Es gibt einigermaßen viel Perkussion, aber ich würde sagen, dass vor allem die erste Hälfte ziemlich sinfonisch ist. Bei diesem Klangkörper habe ich es mir nicht nehmen lassen, in die Vollen zu greifen. Wenn man schon mal die Möglichkeit hat, für die Bayerische Staatsoper zu schreiben. . .
Dangel: Es gibt zwei Effekte: Zum einen hatte ich bisher unglaubliches Glück. Bis Mai letzten Jahres habe ich eine große Produktion zu Ende gebracht, da hatte Covid noch keinen großen Einfluss. Und dann habe ich dieses Ballett geschrieben und saß das ganz Jahr daheim am Schreibtisch in berufsbedingter Quarantäne. Insofern habe ich die Pandemie gar nicht so mitgekriegt, außer, dass ich nicht essen gehen kann, was ich sonst gerne tue.
Dangel: Die Filmproduktion sollte im letzten Herbst Kinostart haben und ist bisher nicht rausgekommen. Jetzt ist Ende August vorgesehen. Das ist schon heftig, weil wir alle von unseren Projekten leben. Nicht nur finanziell, sondern auch vom Ruf her. Und da ist Stillstand. Beim Ballett auch: Es ist tragisch, dass ich eine Premiere an der Staatsoper habe, und jetzt steht da nur so eine kleine Kamera. . . Aber wir haben alle die Haltung: Wir werden älter als Corona, was auch immer passiert.
Dangel: "Mit Gefühlen spielen" hat einen negativen Beiklang – ich meine es durchaus ernst. Was er sagen will, ist, dass wir beide Freunde von klaren emotionalen Aussagen sind. Wir machen in dem Stück eine ziemliche Reise. Es gibt eine ganze Menge Emotionen, Momente großer Tragik, aber auch viel Humor. Es ist sehr opulent, hat ein bisschen was Märchenhaftes.
Dangel: Ja, das ist in Teilen auch so, in anderen Teilen gar nicht. Ich habe ausprobiert, mich bei allem Möglichen zu bedienen. Wenn wir zum Beispiel zeigen, wie die Familie der Hauptfigur nach außen glamourös auftritt, nach innen aber zerrüttet ist, könnte es fast Barockmusik von Purcell sein. Die zerfällt dann aber im Laufe des Stücks. Ich mag sowas sehr gerne.
Dangel: Bei der Filmmusik gibt es erstmal keine Grenzen. Sie werden gesetzt von Regie, Komponist und Produktion. Natürlich: Je kommerzieller die Projekte sind, desto kommerztauglicher muss auch die Musik sein. Aber ich würde behaupten, dass ich auch sehr unkommerzielle Filmmusiken gemacht habe.
Dangel: Ich habe immer im Hinterkopf gehabt, dass ich für die Staatsoper scheibe. Und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Wenn ich das Stück für das Ensemble Modern geschrieben hätte, wäre es andere Musik geworden. Es gibt darin zeitgenössische Momente, und da waren die meisten Fragezeichen in den Gesichtern der Musikerinnen und Musiker an der Oper. Es ist schon erstaunlich, dass selbst so ein Orchester bei zeitgenössischen Spieltechniken relativ schnell in Bereiche kommt, wo die Luft dünn wird.
Dangel: Mich nervt es, wenn ein Regisseur mit Musik von Hans Zimmer zu mir kommt und sagt: "Mach mal sowas! Dein Budget sind 10 000." Aber ehrlich gesagt, beschäftige ich mich damit nicht so sehr. Es auch eine Frage des Standings in der Industrie, ob man mit solchen Forderungen noch konfrontiert wird. Ich schreibe mittlerweile sogar in den Vertrag, dass ich den Film im Rohschnitt unbedingt ohne sogenannte Temp-Musiken sehen will, also Musiken, die im Schneideraum druntergelegt werden, als Andeutung, wie es sein könnte. Ich will meinen eigenen musikalischen Zugang finden. Aber das muss man sich erarbeiten.
Uraufführung: Das Ballett "Schneesturm" nach einer Erzählung von Alexander Puschkin, Musik Lorenz Dangel, Choreographie Andrey Kaydanovskiy, wird am Samstag, 17. April, 19.30 Uhr, per Live-Stream (kostenlos) aus der Bayerischen Staatsoper übertragen: www.staatsoper.tv – ab 23. April dann 30 Tage lang als Video on Demand (9.90 Euro).