Sie waren bei den Himba in Namibia, den Kara in Äthiopien, den Dinka im Südsudan. Sie lebten im Norden Kenias bei den Samburu, dem auf immer kleineren Lebensraum gedrängten, von Vertreibung bedrohten Nomadenvolk. Sie begleiteten in Äthiopien die Mursi im abgeschiedenen Flusstal des Omo und trafen die Kara, die ihre Körper mit Kreide bemalen. Sie erlebten Hochzeiten mit und traditionelle Tänze, Heilungsrituale und Krönungszeremonien.
46 afrikanische Länder habe Carol Beckwith und Angela Fisher in den vergangenen 45 Jahren bereist, mehr als 150 unterschiedliche ethnische Gruppen haben sie besucht – und mehr als eine halbe Million eindrucksvolle Fotografien mitgebracht. Farbenprächtige Bilder und Porträts, die nichts von den Strapazen erzählen. Nichts von der Anstrengung der beiden Fotografinnen, über Zigtausende von Meilen in die entlegensten Ecken, unwirtlichsten Gegenden Afrikas zu gelangen. Sondern die festhalten, was an Tradition auf diesem riesigen Kontinent nach wie vor lebendig ist. Und die auch und gerade davon erzählen, welche kulturelle Vielfalt da schwindet – oder schon verschwunden ist.
"Mehr als 40 Prozent der Rituale und Zeremonien, die Carol Beckwith und Angela Fisher fotografiert haben, gibt es schon nicht mehr“, sagt Stefan Oschmann. „Afrika verändert sich dramatisch.“ Dieser rasante Wandel, der Schwund und kulturelle Verlust waren auch ein Grund, warum Oschmann und der Verein Afro Project die beiden Fotografinnen vor zwei Jahren nach Würzburg zum Africa Festival einluden und eine Auswahl ihrer Bilder zeigten.
Und im Gespräch mit der US-Amerikanerin und der Australierin, die seit langem in London leben, war da plötzlich diese Idee: „Die Fotos sind so toll, die dürfen nicht einfach wieder im Archiv verschwinden. Die muss man der Welt zur Verfügung stellen!“ Festival-Macher Stefan Oschmann und der langjährige Mitstreiter und Fotograf Bugs Steffen hatten in Würzburg mit Beckwith und Fisher zusammengesessen. Und da war der Gedanke: ein Online-Museum! Ein digitales Bildarchiv, in dem jedermann auf Reisen gehen kann. Steffen nahm einen Stift und skizzierte eine Karte des Kontinents . . . alle Länder, darin Punkte . . . und mit einem Klick in die Region, die die Fotografinnen bereisten. Und hinein in das Leben, die Stammesrituale, geheimen Zeremonie.
Lebenswerk aus einer halben Million Bilder
Die heute 73 und 75 Jahre alten Fotografinnen haben ihre Arbeiten, Dokumentationen und Studien über die indigenen Stammeskulturen Afrikas in mehr als einem Dutzend Bücher und Bildbände veröffentlicht, ihre Aufnahmen sind seit Jahrzehnten in internationalen Magazinen zu sehen, in Museen, Galerien. Ihr Lebenswerk von mehr als einer halben Million Negative ist ein unglaublicher Schatz. Und ja, bei jenem Frühstück in Würzburg vor zwei Jahren waren die Fotografinnen, begeistert vom Africa Festival, von der Idee gleich angetan.
Sie wollten ja festhalten für künftige Generationen – gerade auch in Afrika – welche Vielfalt, welchen kulturellen Reichtum, welches Erbe an Traditionen dieser Kontinent hat. Sie wollten Afrika etwas zurückgeben. Und sie wollten ihr „Material“ der ganzen Welt zur Verfügung stellen, gratis.
„Das Besondere ist die Art und Weise, wie fotografiert ist“, sagt Oschmann. Fisher und Beckwith sind nicht als Touristen unterwegs, nicht als Voyeure. „Sie haben zum Teil mit den Leuten gelebt, das sieht man an den Bildern. Sie haben es geschafft, eine gute Verbindung zu den Leuten zu schaffen.“ Beckwith und Fisher waren dort, wo noch kein Weißer war. Sie hatten von Anthropologen gelernt, Fragen zu stellen, um das traditionelle Leben zu erkunden. Und sie erhielten von Stammesältesten, von Heilern beispiellosen Zugang.
Manchmal verbrachten sie Monate bei einem indigenen Volk, mit Respekt und einem tiefen Interesse daran, wie die Menschen leben, was sie tun, denken, glauben. Sie würden versuchen, fast unsichtbar zu sein, hat Carol Beckwith einmal erzählt. Unsichtbar – und zugleich Teil der Gemeinschaft. Die Skizze, die Bugs Steffen beim Africa Festival 2019 schnell gezeichnet hatte, verschwand samt Idee und Konzept indes erst einmal in Würzburg in der Schublade . . .
Und dann – „kam Corona“, sagt Oschmann.
Als die Pandemie begann und absehbar war, dass es mit dem Festival 2020 schwierig werden würde, machte sich das kleine Team vom Afro Project an die Arbeit . . . Jetzt gibt es das Africa Online Museum eben online, frei verfügbar für jedermann. Angela Fisher und Carol Beckwith haben Fotografien ausgewählt. Nach und nach füllt das Würzburger Team nun die Landkarte mit Punkten und bestückt die Sammlung. Ergänzt mit vielen erklärenden Texten und Beschreibungen zu den Ethnien, Riten, Kulturen. Auch mit traditioneller Musik der so unterschiedlichen Länder: Das Africa Festival hat ein reiches musikalisches Archiv – im Online-Museum kann man jetzt hineinhören.
Gremium mit Experten und Gewährsleuten aus Afrika
Das Online-Museum füllt sich weiter. Im Moment sind 18 Punkte auf der Landkarte, 46 werden es am Ende sein. Unterstützt wird das Projekt von Experten aus Afrika: Prince Guy Kwete vom Königreich der Kuba aus der Demokratischen Republik Kongo, dem ehemaligen Tuareg-Minister Ag Mohamed Ali Yehia aus Mali oder Queen Mother Naa Dedei Onomrokor III aus Ghana, Enkelin eines der einflussreichsten Medizinmänner und Heiler Westafrikas. Auch Kora-Virtuosin Sona Jobarteh aus Gambia, die aus einer alten Griot-Familie stammt und beim Africa Festival musikalisch und als Kulturvermittlerin schon mehrfach auftrat, ist im Gremium dabei.
Dass das Bild-Archiv jetzt frei und gratis zugänglich ist, hat das Auswärtige Amt durch finanzielle Unterstützung möglich gemacht. Schirmherr ist die Universität Würzburg. Durch das Afrikazentrum der Uni und seinen internationalen Partnern soll das Museum vor allem auch in Afrika selbst bekannt gemacht werden. Des Wissens um das eigene Erbe wegen.
Hier geht es zum Foto-Museum und der Reise durch Afrika: africaonlinemuseum.org