Gespenstisch: Eine Billardkugel rollt gleichzeitig in zwei Taschen; ein Würfel zeigt alle sechs Seiten auf einmal - bis nachgeprüft wird, welche denn nun oben liegt.
Gibt's nicht? Gibt's doch. Und das in der Welt, in der Sie und ich leben. Freilich nicht im Alltag. Aber im subatomaren Bereich geht's andauernd so zu. Zwar nicht mit Billardkugeln und Würfeln (die dienten nur der Veranschaulichung), sondern mit Elementarteilchen.
Diese Teilchen, aus denen das ganze sichtbare Universum besteht, scheren sich nicht so recht um Ursache und Wirkung, jene Gesetzmäßigkeit, die in der uns gewohnten Welt der großen Dinge gilt. Und die sehr wichtig ist. Denn nur, weil wir uns darauf verlassen können, dass gewisse Abläufe immer nach dem gleichen Prinzip funktionieren, kommen wir zurecht. Eine bestimmte Ursache führt in aller Regel zu einer bestimmten Wirkung. Es ist die Welt der klassischen Physik. Beruhigend. Berechenbar. Verlässlich. Da ist eine Türe (glücklicherweise) nicht gleichzeitig offen und geschlossen.
In der Quantenphysik, die sich um die Vorgänge im Allerkleinsten kümmert, lässt sich dagegen nicht alles genau berechnen und festlegen. Albert Einstein gefiel das gar nicht. Der Physik-Nobelpreisträger kommentierte Ergebnisse der Quantenphysik so: "In diesem Sinne würfelt das Universum und somit Gott nicht." Der Satz wird gerne vereinfacht zitiert als "Gott würfelt nicht".
Der Zufall führt Regie
Der Mann, der mit seiner Relativitätstheorie Weltbilder vergangener Jahrhunderte radikal veränderte, lag hier ausnahmsweise falsch. 63 Jahre nach seinem Tod ist klar, dass im subatomaren Bereich der Zufall Regie führt. Und doch setzt sich aus den scheinbar beunruhigend unzuverlässigen kleinsten Teilchen unsere zuverlässige Alltagswelt zusammen. Wer soll das begreifen?
". . . und Gott würfelt doch!" heißt eine Videoinstallation von Dorle und Rainer Wolf. Der Titel verrät's: Die beiden Würzburger – sie Künstlerin, er Naturwissenschaftler - transformieren Einsteins Problem zu Kunst. Kunst kann die Welt zwar nicht rational erklären. Auch nicht die Quantenphysik, die womöglich überhaupt nicht von unseren auf Folgerichtigkeit getrimmten Gehirnen erfasst werden kann. Doch Kunst kann helfen, intuitiv zu erfassen, was rational nicht erklärbar scheint, weil es nicht in unsere anschauliche Alltagswelt passt.
Die Installation macht Vorgänge im subatomaren Bereich mit vergleichsweise einfachen Mitteln erlebbar. Die Wolfs haben die Versuchsanordnung flugs im eigenen Wohnzimmer aufgebaut: Eine Videokamera ist auf einen Bildschirm gerichtet und mit ihm verkabelt. Rainer Wolf schaltet die Kamera an. Sie nimmt ein Bild des Bildschirms auf, immer und immer wieder. Auf dem Bildschirm ist der Bildschirm zu sehen, als Bild im Bild im Bild im Bild . . . Eine „rekursive Schleife“ nennt das der Wissenschaftler.
Nicht vorhersehbare Muster
Schnell ist der Monitor voll mit verschachtelten, immer kleiner werdenden Rechtecken. Das ist optisch faszinierend und ästhetisch befriedigend – aber nicht wirklich überraschend. Acht Bilder pro Sekunde verarbeitet die Videokamera in dieser rekursiven Schleife. Verstellt man die Brennweite, zoomt sie sich immer weiter in ihr eigenes Bild hinein und vergrößert es ständig. So entsteht eine Eigendynamik, die aus den verschachtelten Rechtecken ein Muster macht, das immerfort pulsierend in Bewegung ist und sich in sich selbst verwindet.
"Quelle der Musterbildung ist das statistische Rauschen, das auf quantenphysikalischen Zufallsprozessen beruht", erklärt Rainer Wolf. Folge: „Das Muster entwickelt sich immer wieder anders, ist nicht vorhersagbar. In der einfachen, geordneten Anfangsstruktur der verschachtelten Rechtecke entsteht im Zentrum ein bewegter, ungeordneter Bereich, aus dem heraus sich immer wieder neue, komplizierte Muster entwickeln. Muster mit ästhetischem Reiz, die in ihrer Vielfalt an biologische Gestalten erinnern. Und wenn man die Hand vor den Monitor hält und damit das Muster stört, repariert es sich danach ganz von selbst.“
Die Installation holt also Prozesse, die im subatomaren Bereich ablaufen, in die Welt der großen Dinge. Um im Bild zu bleiben: Man kann Gott beim Würfeln zuschauen.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Würzburger Ehepaar Kunst und Naturwissenschaft zusammenbringt. Im Frühjahr war schon das Wolf-Objekt "Quantenschaum 10 ³³-fach" im Würzburger Kulturspeicher zu sehen. Rainer Wolf (77) ist Biologe und Physiker. Bekannt ist der Privatdozent, der viele Jahre Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften war, von den jährlichen "Psi"-Tests, bei denen übersinnliche Phänomene bislang noch immer als Humbug entlarvt wurden der auf Selbsttäuschung beruht.
Zwischen Wissenschaftler und Künstler gebe es durchaus Gemeinsamkeiten, sagt Dorle Wolf (75): "Beide brauchen Fantasie und Freude an Neuentdeckungen." Auch Kombinationsgabe sei nötig: In beiden, scheinbar so unterschiedlichen, Bereichen müsse man "kreativ zusammendenken, was noch niemand zusammengedacht hat".
Nachdem „. . . und Gott würfelt doch!“ keine Versuchsanordnung in einem Physik-Labor ist, sondern Kunst, darf der Betrachter streng wissenschaftlichen Boden verlassen. Darf spekulieren und philosophieren. Kunst ist ja dazu da, zum Nachdenken anzuregen. Zum Beispiel darf er über den Zufall grübeln. Wenn alles berechenbar wäre, wenn es den Zufall nicht gäbe: Wo bliebe da die Freiheit? Wo bliebe der freie Wille? Alles wäre festgelegt: jede Handlung, jeder Gedanke, jedes Ereignis. Das ganze Universum liefe ab wie ein großes Uhrwerk und wir wären darin nur kleine Rädchen. Eine gruselige Vorstellung. Da ist es dann doch besser, wenn Gott mit Würfeln spielt.
Und weil die Wolf'sche Gemeinschaftsarbeit auch augenzwinkernd gemeint ist, darf der Betrachter über seine eigenen philosophischen Gedankenspiele herzhaft grinsen.
Die Installation ist immer donnerstags von 11-18 Uhr in der Würzburger Galerie "Weibsbilder" (Nürnberger Straße 18) zu sehen. Video: www.dorle-wolf.de/index.65.de.html