Hier können Sie mit den Bausteinen des Universums spielen. Jedenfalls im übertragenen Sinn. Denn es geht um Kunst. Und Kunst trifft Aussagen über die Wirklichkeit stets in Analogien oder Symbolen – also im übertragenen Sinn.
Sie greifen also seitlich unter die Acrylglasscheibe, die sich über einem geheimnisvoll in vielen Farben schillernden Medium wölbt. Wenn Sie die Form dieses Mediums durch Biegen, Drücken, Verdrehen oder Knittern verändern, bilden sich neue Flächen, Winkel, Kanten – und immer neue, leuchtende Farben. Die große Überraschung kommt, wenn Sie das schillernde Medium unter seiner Abdeckung hervorziehen: Es ist simples, durchsichtiges Zellophan. Kein bisschen bunt, kein bisschen geheimnisvoll.
Geheimnisvolles Medium
Das Objekt von Dorle Wolf ist vor den Wechselausstellungsräumen des Kulturspeichers platziert. Erst nach der Vernissage hinzugefügt, ergänzt es die Ausstellung „Spielraum – Kunst, die sich verändern lässt“ des Würzburger Museums. Das Objekt der Gerbrunner Künstlerin besteht aus zwei gekreuzten Polarisationsfiltern. Beide lassen nur jene Anteile des Lichts durch, die in einer bestimmten Ebene schwingen.
Das Zellophan zwischen den Folien wiederum dreht die Schwingungsrichtung unterschiedlich stark, abhängig von der Farbe des durchfallenden Lichts. Weil weißes Licht aus allen Regenbogenfarben zusammengesetzt ist, ergeben sich die Farben, und das Zellophan schillert.
All das ist eigentlich schon spannend genug. Doch der Titel „Quantenschaum 10 33 fach“ verweist noch auf eine andere Ebene, auf der's erst richtig spannend wird. Denn es geht um die allerkleinsten Teilchen. In deren Welt ist nichts, wie wir es gewohnt sind, obwohl sich unsere Alltagswelt aus den allerkleinsten Teilchen zusammensetzt.
Nahezu gespenstisch
In der Welt der Elementarteilchen geht es fast gespenstisch zu. Das zeigt das seit dem frühen 19. Jahrhundert bekannte Doppelspaltexperiment. Im Grunde kann es jeder Physiklehrer vorführen: Er richtet einen Lichtstrahl auf eine Wand mit zwei schmalen, senkrechten Spalten. Auf einer zweiten Wand dahinter ergibt sich dann ein Muster aus senkrechten Streifen. Der Physiklehrer erklärt, dass Licht aus Wellen besteht. Die werden an den beiden Schlitzen gebeugt und überlagern sich. Wasserwellen, die durch zwei derart angeordnete Schlitze wandern, verhalten sich ähnlich: Hinter den Schlitzen überlagern sich die Wellen, und sie formen das Muster.
Licht breitet sich zwar als Welle aus, besteht aber aus einzelnen Teilchen, sogenannten Photonen. Mitte der 1980er Jahre waren Physiker technisch in der Lage, einzelne Lichtteilchen auf den Doppelspalt loszulassen. Sie staunten: Denn auf der Wand hinter den Schlitzen zeichnete sich wiederum das Wellenmuster ab. Als wisse jedes einzelne Photon genau, welchen Weg es nehmen und wo es sich positionieren muss, um das Wellenmuster zu formen. Oder als schlüpfte jedes Teilchen gleichzeitig durch beide Spalten und bildete mit sich selbst interferierende Wellen.
Unsere Alltagserfahrung sagt uns, dass sich Objekte so nicht verhalten: Man könnte Milliarden nasser Tennisbälle auf zwei Löcher werfen, nie würden sich die Abdrücke auf einer Wand dahinter zu einem Wellenmuster arrangieren. Nie würde ein einzelner Ball durch beide Löcher fliegen. Irgendwie funktioniert im Allerkleinsten – im Bereich der Quanten, wie Wissenschaftler sagen – alles anders als in der Welt der großen Dinge. Die uns vertraute anschauliche Logik, das Prinzip von Ursache und Wirkung scheinen da keine Rolle zu spielen. Nicht nur Photonen legen das gespenstische Verhalten an den Tag – es scheint im Bereich des ganz Kleinen völlig normal zu sein. Die Sache mit den zwei Schlitzen funktioniert auch mit Elektronen und Atomen, ja sogar mit großen Molekülen.
Aus dem Nichts
Irgendwo auf dem Weg vom Elementarteilchen zum – beispielsweise – Tennisball nehmen die Dinge dann ihre beruhigend stabilen, eindeutigen Alltagseigenschaften an. Auf welchem Größenniveau das stattfindet und wie es funktioniert, ist bis heute nicht wirklich klar.
Quantenschaum ist ein Phänomen, das im Bereich des ganz Kleinen zum Großen auftritt. Der Begriff beschreibt bildhaft, was passiert, wenn man Quantentheorie und Relativitätstheorie, die zwei großen – und derzeit noch unvereinbaren – Theorien der Physik auf einen extrem kleinen Maßstab anwendet: Im Vakuum, also aus dem Nichts, entstehen permanent winzige Raumzeit-Blasen und fallen wieder zusammen wie Schaum in der Badewanne – so die physikalische Theorie der „Quantenschleifengravitation“.
33 Nullen
10 33-mal vergrößert – eine Eins mit 33 Nullen – und angefärbt, ergäbe sich daraus ein ähnlich buntes Bild wie es das Kunstobjekt zeigt, sagt Rainer Wolf. Der Biologe und Physiker, mit der Künstlerin verheiratet, hat am Konzept mitgearbeitet und sich den Titel ausgedacht. Bekannt ist der Privatdozent, der viele Jahre Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften war, von den jährlichen Psi-Tests, mit denen übersinnliche Phänomene bislang noch immer als Humbug entlarvt wurden.
Da darf man die Teamarbeit von Künstlerin und Naturwissenschaftler durchaus auch so sehen: Wer mit dem Objekt „Quantenschaum 10 33 fach“ spielt – also im übertragenen Sinne mit den elementaren Bausteinen des Universums – wird daran erinnert, wie faszinierend und geheimnisvoll die Wirklichkeit ist. Übersinnlichen Unsinn braucht's gar nicht.
Ausstellung „Spielraum“ im Kulturspeicher
Veränderung ist Trumpf: „Spielraum. Kunst, die sich verändern lässt" heißt die Ausstellung im Würzburger Museum im Kulturspeicher. Zu sehen sind 67 Werke von 47 Künstlern aus sechs Ländern.
Alle Werke der Ausstellung sind – etwa durch Drehen, Schieben, Reiben – veränderbar. Die meisten Werke darf der Museumsbesucher allerdings nicht selbst manipulieren. Filme, welche die möglichen Variationen zeigen, helfen einigermaßen darüber hinweg. Und auch bei Führungen werden einzelne Werke verändert. Vertreter dieser veränderbaren Kunst waren etwa Max Bill, Viktor Vasarely oder Timm Ulrichs. Viele Künstler der Sonderschau sind auch in der Dauerausstellung mit Konkreter Kunst aus der Sammlung Ruppert im Kulturspeicher vertreten. Ihren Höhepunkt erreichte die veränderbare Kunst in den 1960er Jahren. Das hatte auch mit den damals sich verändernden Sehgewohnheiten zu tun. Aber es sind noch andere Faktoren im Spiel: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Kreativen auch das althergebrachte Konzept vom ewig gültigen Kunstwerk hinterfragen. Es ging ihnen auch darum, den Künstler-Kult zurückzudrängen.
Seinen Spieltrieb und seine Kreativität kann der Kulturspeicher-Besucher nur an einigen Werken ausleben, die eigens im hinteren Teil der Ausstellung aufgebaut wurden – und jetzt auch im Flur an Dorle Wolfs Objekt „Quantenschaum 10 33 fach“.
Öffnungszeiten: Dienstag 13-18, Mittwoch und Freitag bis Sonntag 11-18, Donnerstag 11-19 Uhr. Die Ausstellung ist bis 22. April zu sehen. hele