
Nach zwei Jahren Pandemie mit Lockdowns, Maskenpflicht und Abständen dürfen Theater und Konzerthäuser wieder alle Plätze im Saal besetzen. Und obwohl schon einige Wochen wieder Normalbetrieb herrscht, scheint es mitunter, als sei das Publikum ein wenig aus der Übung. Manche fremdeln noch mit der neuen Nähe, andere quatschen mitten im Stück los, als säßen sie daheim auf dem Sofa und schauten Netflix. Ein guter Moment also, um an ein paar Regeln zu erinnern.
Wobei...
Was im Theater erlaubt ist und was nicht, das hat sich in den letzten Jahrhunderten dramatisch geändert. Aber wie genau sind die Regeln heute? Gibt es überhaupt noch welche? Hier eine kleine Anleitung ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Verbindlichkeit.
1. Was ziehe ich an?

In Kreisen ungeübter Theatergänger hält sich das Vorurteil, es brauche besondere Kleidung, am besten Smoking und Abendkleid. Tatsächlich geht heute alles. Die heißen Sommer bei den Bayreuther Festspielen etwa haben längst dazu geführt, dass man hochgekrempelte Ärmel, offene Sandalen und sogar Bermuda-Shorts sieht. Und wer erwartet, an der Bastille-Oper in Paris, der Welthauptstadt der Mode, besonders edlen Outfits zu begegnen, der wird herb enttäuscht werden. Hier dominieren kurioserweise Freizeit- und Funktionskleidung.
Dennoch: Die Zeiten, in denen ein gut geschnittener Anzug als Kapitulation vor dem spätbourgeoisen Establishment galt, sind vorbei. Gepflegte Kleidung, in der man sich selbst vielleicht ein wenig eleganter fühlt als im Alltag, kann ja durchaus Spaß machen. Als Würdigung des Anlasses und der Bemühungen auf der Bühne taugt sie allemal. Das Würzburger Mozartfest etwa lädt für den Kaisersaal der Residenz "herzlich ein, das Konzert in festlicher Garderobe zu besuchen".
Die Berliner Staatsoper teilt auf ihrer Homepage mit: "In der Staatsoper Unter den Linden gibt es keinen Dresscode, aber ein Opern- oder Konzertbesuch in unserem Haus ist sicher ein schöner Anlass, um sich in Schale zu werfen." Man kann es aber auch übertreiben: Hüte gehen gar nicht. Erstens aus Rücksicht auf den Hintermann, zweitens ist eine Oper kein Pferderennen wie Ascot oder Iffezheim.
2. Wo darf ich essen und trinken?

Gegessen und getrunken wird im Theater grundsätzlich nur in den Foyers oder in der Kantine oder im Café, so es diese gibt. Auffällig ist, dass viele Theater inzwischen extra darauf hinweisen, dass keine Speisen mit in den Saal genommen werden dürfen. "Regeln, von denen wir dachten, dass sie eigentlich geläufig sind, scheinen doch nicht allgemein bekannt zu sein", sagt eine Theatersprecherin.
3. Warum darf ich meine dicke Jacke nicht mit reinnehmen?

Manche Regeln haben rein praktische Gründe: Dicke Jacken und sperrige Gepäckstücke könnten andere Gäste belästigen und im Falle einer Evakuierung gar zu tödlichen Hindernissen werden. Ebenso selbstverständlich wie auffällig oft missachtet: Handys gehören ausgeschaltet, weil Klingeltöne und übrigens auch das Leuchten des Displays störend sind. Und mitgeschnitten werden darf schlicht aus urheberrechtlichen Gründen nicht.
4. Was tun, wenn ich husten muss?

Manchmal geht es nicht anders, dann muss man halt niesen oder husten. In den Programmen der Meisterkonzerte der Musikalischen Akademie Würzburg gibt es dazu einen ganz einfachen Tipp: Taschentuch vorhalten, das reduziert den Krach erheblich. Leider in der Praxis selten zu beobachten.
Das langwierige, übervorsichtige Auspacken von Hustenbonbons hingegen (viele Häuser halten in der Grippe-Saison selbst welche vor) kann zur akustischen Qual werden, wenn im Umkreis von mehreren Reihen alle gebannt auf das nächste Knistern warten. Wer einzeln in Folie oder gar im Blister verpackte Pastillen mitgebracht hat, sollte ähnlich vorgehen wie beim Abreißen eines Pflasters: Kurz und schmerzhaft.
Eine Beobachtung am Rande: Wenn eine Aufführung, ein Konzert wirklich packend ist, wird so gut wie nie gehustet. Auch nicht in der Grippe-Saison. Und während Corona schon gar nicht.
Grundsätzlich gilt: Jeder macht während der Vorstellung so wenig Lärm wie möglich. Schwätzt nicht, raschelt nicht, öffnet keine zischenden Mineralwasserflaschen, klappert nicht mit Fächern, arrangiert nicht den Inhalt der Handtasche neu, telefoniert nicht (alles schon erlebt).
5. Wann darf oder soll ich klatschen?

"Der Applaus ist das Brot des Künstlers", sagt der Aphoristiker Johannes Gross (1932-1999). Klatschen, Applaus, Jubel sind gruppendynamische Phänomene. Zwischen den Sätzen einer Sonate, einer Sinfonie oder eines Solokonzerts wird eigentlich nicht geklatscht. Es kann aber durchaus vorkommen, dass eine Interpretation so mitreißend ist, dass einzelne Zuhörer nicht an sich halten können und andere einstimmen. Das ist kein Beinbruch, und meistens freuen sich die Musikerinnen und Musiker dann doch.
In der Oper wird gerne nach Bravourarien geklatscht, etwa bei Mozart, Rossini, Verdi oder Puccini. Da es solche bei Wagner nicht gibt, fällt hier der Zwischenapplaus ganz von selbst weg – wer dennoch meint, etwa nach einem besonders gelungen "Lied an den Abendstern" im "Tannhäuser" klatschen zu müssen, der wird von der Wagner-Gemeinde schnell zur Ordnung gerufen werden.
Danach aber ist (fast) alles erlaubt. Begeisterte springen jubelnd auf, Ergriffene bleiben still sitzen. Enttäuschte und Erboste buhen. Gelangweilte streben zur Garderobe. Die Berliner Staatsoper rät: "Zeigen Sie, was Sie fühlen! Klatschen, Stampfen, Buhen."