Zu Zeiten von Shakespeare, Mozart oder Rossini galten andere Regeln. Beziehungsweise kaum welche. Da ging es in Theater und Oper weitaus hemdsärmeliger zu. Man kam und ging, wie man wollte, man aß und trank, man hielt Schwätzchen, lachte, stritt, pfiff, schrie. Wenn ein Stück nicht ankam, erfuhren das die Darsteller unmissverständlich und sofort – nicht erst beim Schlussapplaus.
Wer damals allerdings die Feinheiten und Details der Werke genießen wollte, die heute als geheiligtes Kulturgut gelten, der hatte schlechte Karten. Da ist es gar nicht schlecht, dass es inzwischen Übereinkünfte gibt, die den Theater-, Konzert- oder Opernbesuch für alle gleichermaßen bereichernd machen sollen. In letzter Zeit scheint es aber, als gerieten diese Regeln ein wenig in Vergessenheit.
Früher mussten Ouvertüren krachig sein, damit alles wussten, dass es losging
Wie es einst vor der Bühne zuging, das können Wissenschaftler ziemlich genau nachvollziehen. So haben Archäologen im Boden des Themse-Ufers, auf dem einst William Shakespeares (1564-1616) Globe Theatre stand, Unmengen von Austernschalen gefunden – Spuren des damals beliebtesten Snacks, während auf der Bühne "Richard III.", "Was ihr wollt" oder "Romeo und Julia" gegeben wurde. Dass gleich nebenan die Themse floss, war praktisch, Toiletten gab es nämlich keine.
Zu Wolfgang Amadé Mozarts Zeiten musste eine Ouvertüre laut und krachig sein, damit das mehr oder weniger erlauchte Publikum mitbekam, dass es losging, und allmählich seine Plätze einnahm. Dass Mozart (1756-1791) dennoch Ouvertüren von unglaublicher Feinheit und Vielschichtigkeit schrieb, auch das zeigt, wie weit er seiner Zeit voraus war.
Zu Gioachino Rossinis (1792-1868) Zeiten war die Musik in den Opernhäusern nicht die Hauptattraktion. Man ging hin, um gesehen zu werden, ein Spielchen zu wagen, Kontakte zu pflegen, Geschäfte einzufädeln. Es gab Restaurants, Billard-Zimmer und jede Menge weitere Zerstreuungen, die ausdrücklich nicht nur während der Pause genossen wurden.
Wer auf der Bühne reüssieren wollte, musste also wirklich was drauf haben. Selbst der künftige Megastar Rossini hatte da manchmal zu kämpfen. So war die Uraufführung des Oper "Der Barbier von Sevilla" des damals erst 24-Jährigen, heute einer der größten Hits des Genres, am 20. Februar 1816 in Rom ein Fiasko. Aber nicht, weil die Welt noch nicht reif für das Meisterwerk gewesen wäre, sondern, weil Fans von Rossinis Konkurrent Giovanni Paisiello die Aufführung massiv störten. Dass im Finale eine unbeaufsichtigte Katze über die Bühne stromerte, war auch nicht gerade hilfreich.
Heutzutage geht es gesitteter zu, sieht man von legendären Theater-Tumulten in neuerer Zeit ab, etwa dem Aufstand 1976 in Bayreuth zur Premiere des Jahrhundert-"Rings" in der Inszenierung von Patrice Chéreau. Heute gilt die Produktion als eine der gelungensten überhaupt, doch zur Premiere rückten die Hüter der Tradition mit Trillerpfeifen an. Gudrun Wagner, damals frisch angetraute Ehefrau von Festspielchef Wolfgang Wagner, bekam von einem erbosten Wagnerianer sogar das Abendkleid zerrissen.