Henri de Toulouse-Lautrec (1864 bis 1901) hat sie alle gekannt, die Stars des Pariser Nachlebens. Er ist den Tänzerinnen, den Sängerinnen, den Cabaret-Größen sehr, sehr nahe gekommen. Er hat sie gesehen, wie sie sind. Er hat sie gesehen, wie sich sich selbst sehen wollten. Er hat den Glanz gesehen, den Lebenshunger, aber auch die Einsamkeit, die Schattenseiten der frivolen Metropole Paris.
Wahrscheinlich macht das die Faszination des großartigen Zeichners und Malers aus. Was die Arbeiten aus ihrer Zeit herausragen lässt, zeigt bis 29. September die Ausstellung "Auf den Bühnen von Paris" im Schweinfurter Museum Georg Schäfer. Im Mittelpunkt: 37 Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec aus der Sammlung des Musée d'Ixelles in Brüssel.
Fotografien und Tondokumente der Pariser Stars
Was die Ausstellung besonders macht: Es gibt Fotos, Tonaufnahmen, Filmschnipsel von den Leuten, die Toulouse-Lautrec zeichnete. Unten im Museum hinter einer Litfaßsäule mit der Einstimmung auf das Pariser Leben, läuft ein gut 20-minütiger Film. Spannend zu sehen, wie zum Beispiel Jane Avril, auf vielen Plakaten von Toulouse-Lautrec verewigt, in einer Fotografie aussieht. Viel weniger mondän, viel weniger divenhaft, viel weniger ausdrucksstark , viel weniger exzentrisch. Selbst die vier Tänzerinnen von "La troupe de Mlle Eglantine" wirken im Film weniger lebendig, weniger wirbelnd, weniger "Oh là là" als auf dem Plakat.
Toulouse-Lautrec hat die Gabe, Bewegung festzuhalten, einen Moment einzufangen. Wie eine Kamera. "Heute wäre er Filmregisseur geworden", ist sich Museumsleiter Wolf Eiermann sicher. Seine Darstellung von "La Goulue", der Gierigen, einem der Tanzstars, mit ihrem Bühnenpartner und Bewacher (Spitzname: der Knochenlose) steht am Anfang der Ausstellung. Wer "La Goulue" sieht, hat das Gefühl, mit auf der Bühne zu stehen, ganz nah dran zu sein.
Das Plakat, Werbung für das Moulin Rouge, "war der Durchbruch", so Wolf Eiermann. Tolouse-Lautrec war ein Küstler durch und durch, sagt er. "Die anderen waren eher Grafikdesigner."
Dieses Video gibt einen Einblick in das Leben von Henri de Toulouse-Lautrec
Die anderen, das sind Männer wie Jules Chéret, Alfons Mucha, Théophile-Alexandre Steinlen, Adolphe Leon Wilette. Ihre Modelle waren austauschbar, eher Muster als Porträt. Das sieht man schön beim Rundgang im direkten Vergleich. "Toulouse-Lautrec ist der einzige, der den Künstlern Individualität und Charakter verleiht", erklärt Eiermann die Faszination der Plakate bis zum heutigen Tag.
Die Figuren sind aber auch bewusst überzeichnet, karikiert. So spitz wie auf den Plakaten ist das Kinn von Jane Avril auf den zeitgenössischen Fotografien nicht. Aber das Kinn und ihre exzentrischen Hüte machen sie einfach unverkennbar. Markenzeichen machen sie zur Marke. Und so zur Gestalterin ihrer Karriere. Denn die Aufträge für die Plakate kamen von den Künstlerinnen und Künstlern und den Nachtclubs und Cabarets selbst.
Nur mit einem Star hat er sich's verscherzt. Mit Yvette Guilbert. Ihr Markenzeichen sind die langen schwarzen Handschuhe. Die trägt sie auch auf dem Plakat „Divan Japonais“. Allerdings: Ihr Kopf ist nicht zu sehen, dafür im Vordergrund Jane Avril und ein eleganter Begleiter. Das hat nicht wohl so begeistert. Ihre Werbeplakate malt ein anderer.
Plakate wurden regelrecht von den Wänden gerissen
Die Plakate, die auf Litfaß-Säulen und Plakatwände geklebt waren, waren heiß begehrt. Kunst von der Straße, sozusagen. Die Pariser waren verrückt danach, rissen sie von den Wänden, daher die kleinen "Wunden" an manchen der Plakate. Es soll aber auch gar nicht so selten vorgekommen sein, dass gleich der Plakatkleber bestochen wurde und die Werbung erst gar nicht aufgehängt wurde. "L'Affichomanie", Plakatwahn, hieß das damals.
Vergnügungslust ist die andere Triebfeder. "Es war eine irre, irre Zwischenwelt", in der sich Toulouse-Lautrec bewegt hat, sagt Eiermann. Künstler, Bohème, Adel, Prostituierte, Touristen, abenteuerlustige Bürger: Sie trafen sich in den Theatern, Clubs und Cabarets. Die Tänze waren skandalös, viele Auftritte unerhört, schockierend gar. Auf einem Plakat ist ein berüchtigter Zensor zu sehen, der mit einer Erfindung der Zeit überhaupt nicht einverstanden war: dem Striptease.
Wopfner-Ausstellung als Gegenpol
Die Ausstellung lädt aber nicht nur dazu ein, die verschiedenen Blickwinkel auf das Pariser Nachtleben zu vergleichen. Der Gegenpol zur Metropole, zum frivolen Leben ist nur ein paar Schritte entfernt: Das Museum zeigt gleichzeitig Landschaftsbilder von Josef Wopfner (1843-1927). Das gibt den Pariser Stars einen ganz besonderen Gegenpol. Und dem Chiemsee, Wopfners Lieblingsmodell, noch mehr Meditationspotenzial.
Museum Georg Schäfer: Henri de Toulouse-Lautrec: Auf den Bühnen von Paris (1891-1899), bis 29. September. Das Museum zeigt, verteilt auf sieben Räume, zusätzlich zu den mehr als 70 großen Werken, biografisches und historisches Material aus dem Museé d'Ixelles Brüssel. Infos über das Begleitprogramm unter www.museumgeorgschaefer.de - der Katalog kostet 24,90 Euro.Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Dienstag 10 bis 20 Uhr.