Ein Ruderboot kämpft sich durch steile Wellen, an Bord fünf Männer, eine Frau und ein Jagdhund. Der Wind ist so stark, dass er das Wasser in weißen Fäden über die Wellenkämme und von den Rudern peitscht. Im Bug halten zwei der Männer Ausschau, einer ist ein Gendarm, in der linken Faust hält er ein Bajonett. Rechts im Hintergrund ducken sich Bäume unter dunkle Sturmwolken, links hellt sich der Himmel schon wieder auf. Das Bild heißt "Verfolgung von Wilderern auf dem Chiemsee, 1884". Es ist das wohl prominenteste Gemälde in der Ausstellung im Schweinfurter Museum Georg Schäfer: "Josef Wopfner – zwischen Naturidylle und Dramatik".
Wopfner war in der Szene gut vernetzt
Wopfner, geboren 1843 in Tirol, studierte von 1864 bis 1872 beim Historienmaler Carl Theodor von Piloty in München. Er gehört zu den Malern der Münchner Schule, war Mitbegründer der Münchner Künstlergesellschaft Allotria, in der Szene bestens vernetzt, befreundet mit Kollegen wie Leibl und Defregger und mit Prominenz wie Prinzregent Luitpold. Er war durchaus erfolgreich (manche seiner Motive malte und verkaufte er bis zu einem Dutzend Mal), und auch heute sind seine Bilder auf dem Kunstmarkt gefragt.
Und doch ist sein Name deutlich weniger bekannt als der von etwa Defregger, Dillis, Kaulbach, Lenbach, Makart oder Piloty. Was vielleicht daran liegt, dass Wopfner immer unter dem heimatselig anmutenden Label "Chiemseemaler" lief. Tatsächlich verbrachte er über viele Jahre nur die Wintermonate in München, die restliche Zeit war er am Chiemsee. Oder aber auf Reisen: Er war in Frankreich, Italien, an der Nord- und an der Oststee. Er kannte Gustave Courbet und die Arbeiten der Impressionisten.
Viel ist nicht über Wopfners Leben bekannt
Viel Biografisches ist nicht über ihn bekannt, sagt der Kunsthistoriker David Grube, der die Ausstellung zum Abschluss seines Volontariats am Museum Georg Schäfer kuratiert hat. Auch ist bislang noch nicht allzu viel über ihn geforscht worden, es gibt eine – nicht publizierte – Dissertation aus den 1970er und ein Werkverzeichnis aus den 1980er Jahren. "Glücklicherweise lebte um 1970 noch eine Großnichte, die die Wofpners adoptiert hatten, und die ihren Adoptivvater zum Zeichnen auf den See hinaus ruderte. Sie konnte noch für die Dissertation befragt werden", erzählt Grube.
Die Schweinfurter Ausstellung ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie zeigt einen Maler, der fast ein ganzes Künstlerleben am Chiemsee verbrachte und sich die Menschen dort ebenso vertraut machte wie Landschaft und Wetter. Der Besucher kann das für beinahe jedes ausgestellte Gemälde anhand der Skizzenbücher Wopfners nachvollziehen. Zwölf Gemälde befinden sich in der Sammlung des Museums, private Leihgeber haben weitere 13 beigesteuert.
115 Skizzenbücher sind im Bestand des Museums – ein Schatz
Josef Wopfner hat Jahrzehnte lang, bis kurz vor seinem Tod 1927, seine Eindrücke akribisch in Skizzenbüchern notiert. Hat Persönlichkeiten porträtiert, Wolken- und Wellenformationen festgehalten, Bildkompositionen getestet. Gelegentlich mit Notizen über später zu verwendende Farben. 115 dieser Skizzenbücher sind im Bestand der Museums, die ausgestellten Beispiele erlauben einen faszinierenden Blick über die Schulter des Künstlers, fast immer lässt sich der Weg von der Skizze bis zum fertigen Gemälde nachvollziehen.
Oft hat Wopfner im Atelier genau umgesetzt, was er unter freiem Himmel skizziert hatte, hin und wieder hat er Formate und Blickwinkel zugunsten einer besseren Bildwirkung verändert. Immer aber sind Skizzen und Zeichnungen (es sind auch einige Arbeiten auf Papier zu sehen) bereits meisterhafte Kunstwerke, die jedes für sich bestehen können.
Die Ausstellung zeigt aber auch einen Maler, dessen Horizont weit über die Ufer dieses Sees hinausreichte, auch wenn die meisten seiner Arbeiten Landschaft und Leben am und auf dem See wiedergeben – mehr oder weniger dramatische Fahrten mit den typischen Chiemsee-Einbäumen, Arbeit, Brauchtum, Feste. Es scheint nämlich, als habe er vollkommen frei über alle malerischen Mittel seiner Zeit verfügt und nicht selten gleichzeitig in seinen Gemälden angewandt.
Wopfner sicherte sich einen der letzten Chiemsee-Einbäume
Die "Verfolgung von Wilderern" ist deshalb in mehrfacher Hinsicht beispielhaft: Die Figuren sind genrehaft plastisch charakterisiert, während Wasser, Himmel und Wald bei Courbet oder gar einem der frühen Impressionisten entlehnt sein könnten. Unübersehbar sind die Einflüsse aus Frankreich in einigen Arbeiten, die Menschen auf der Fraueninsel zeigen. Die "Stickende Dame" von 1903 etwa könnte auch von Renoir gemalt sein, und es wäre sicher keiner der schwächeren Renoirs.
Das Boot, das immer wieder in Wopfner-Bildern auftaucht, ist übrigens der Chiemsee-Einbaum, eine Bauform, die die Bewohner der Fraueninsel viele Jahrhunderte verwendeten, bevor 1881 das letzte Exemplar außer Dienst gestellt wurde. Wopfner sicherte sich einen solchen Einbaum und ließ ihn in sein Atelier schaffen. Heute ist es im Museum Prien zu besichtigen, berichtet Grube. Das archaische Verkehrsmittel faszinierte ihn so sehr, dass er ihm ein Gemälde ganz ohne Menschen widmete: "Der letzte Einbaum" von 1887 ist eine auratische Hommage.
Josef Wopfners Bilder erzählen fast immer auch Geschichten. Wenn man versteht, sie zu lesen. So bezieht die "Verfolgung von Wilderern" einen Teil ihrer Spannung daher, dass die Verfolgten nicht dargestellt sind. Der Betrachter reckt also gewissermaßen den Kopf mit den beiden Männern im Bug des Einbaums. Glücksfall der Ausstellung: Links neben dem großen Gemälde hängt ein viel kleineres. Titel: "Flüchtende Wilderer auf dem Chiemsee". Diese wiederum blicken zurück, um festzustellen, ob die Verfolger näherkommen. Zwei Bilder, eine Geschichte, aber jedes dieser Bilder kann für sich stehen – als Aufforderung des Betrachters, seine Fantasie zu gebrauchen.
Und allmählich wird beim Rundgang völlig unwesentlich, ob der Betrachter irgendeine Beziehung zum Chiemsee hat. Eben weil Wopfner so akribisch und wahrhaftig echte Menschen, echte Wetterereignisse und echte Landschaften wiedergibt, bekommen seine Bilder etwas Allgemeingültiges. So werden ein See und seine Menschen zur Metapher auf die Wechselfälle des Lebens.
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt: "Josef Wopfner – zwischen Naturidylle und Dramatik". Bis 1. September. Di. 10-20 Uhr, Mi. bis So. 10-17 Uhr