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Würzburg
Wie man eine echte Apothekerin erfindet
Autorin Ulrike Sosnitza ließ sich für ihren neuen Roman von der Apothekerin Ann-Katrin Pause coachen. Beide waren vom Einblick in fremde Welten gleichermaßen fasziniert.
Die Apothekerin Ann-Katrin Pause und die Romanautorin Ulrike Sosnitza. Pause hat Sosnitza für ihr neues Buch 'Orangenblütenjahr' beraten.
Foto: Joachim Fildhaut | Die Apothekerin Ann-Katrin Pause und die Romanautorin Ulrike Sosnitza. Pause hat Sosnitza für ihr neues Buch "Orangenblütenjahr" beraten.
Joachim Fildhaut
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:27 Uhr

Vor einem Jahr traf in der Würzburger Röntgen-Apotheke eine seltene Bestellung ein. Die Romanautorin Ulrike Sosnitza fragte an, ob jemand sie beraten könne. Die Hauptfigur ihres nächsten Buchs sollte Apothekerin werden. Ann-Katrin Pause arbeitet in der Pharmazie gegenüber dem Juliusspital und fühlte sich direkt angesprochen. In neugieriger Vorfreude antwortete sie auf Sosnitzas Mail. Heute, ein Jahr später, wiegt Pause das Buch „Orangenblütenjahr“ in der Hand und strahlt: „Die Heldin ist wirklich gelungen. Sie macht alles so genau, weil sie so verantwortungsbewusst ist.“

Ein Giftmordbuch hat Ulrike Sosnitza aus Reichenberg  (Landkreis Würzburg) also nicht geschrieben. Auf den 380 Seiten geht es darum, eine seelische Verletzung und Trauer zu bewältigen, trotz Rachegelüsten. Denn: Nellys Mann führte jahrelang ein Doppelleben, das erst mit seinem Tod aufflog – Herzanfall beim Seitensprung. Nelly wundert sich über sich selbst, sie schaue „doch immer ganz genau hin, aber bei Martin hab ich nicht gesehen, was er da treibt“.

Ein Beruf, der genaues Hingucken erfordert, sollte es sein

Dieser Motivkern stand als erstes fest. Und dass die Witwe aus der Kleinstadt ihres Mannes in eine Großstadt zieht und versucht, ein neues Leben zu beginnen. In dieser Phase des Entwurfs fragte sich die Autorin immer dringender, welchen Beruf ihre Heldin eigentlich habe. Der sollte eben dieses genaue Hingucken erfordern. „Erst hab ich an Fotografin gedacht“, erzählt Ulrike Sosnitza bei einem nachträglichen Werkstattgespräch mit ihrer Apotheken-Trainerin Ann-Katrin Pause in einem Würzburger Café.

Ein paar wichtige weitere Eigenschaften gab der Plot dem gesuchten Beruf vor: Er musste sich auf dem Land und in der Stadt ausüben lassen, man muss im Alter von Mitte 50 noch problemlos die Stelle wechseln können und gut verdienen. „Da bleibt nicht viel außer Apotheker“, sagt Sosnitza.

Coach und Schreiberin waren vom Einblick in fremde Welten gleichermaßen fasziniert. Pause: „Ich fand das so spannend, wie ein Roman entsteht, wie genau man sich die Fakten angucken muss.“ Dabei waren die Fachgespräche nicht ihr erster Kontakt mit der Welt der Fiktion. Um ein Haar hätte die Vielleserin Germanistik und Romanistik studiert, hat sich dann aber für Pharmazie entschieden. Sie war in einer Apotheke aufgewachsen. Nach ihrem Studium lernte sie sehr verschiedene Apotheken kennen. Eine Zeitlang machte sie in Oberbayern Vertretungen. Denn – auch eine wichtige Lektion für die Romanautorin: „In jedem Betrieb muss immer mindestens ein approbierter Apotheker als Verantwortlicher Dienst tun.“

In einer Apotheke arbeiten weit mehr Menschen als der Kunden zu sehen bekommt

Solche Informationen waren für das „Orangenblütenjahr“ tragender als Salbenmischen oder Großhandels- und Rabattsysteme. Damit befassen sich meist die Spezialisten im Team. Nelly aber vertritt ihre Freundin und Chefin. Das war für Sosnitza neu: „Solche Betriebe sind viel größer, als es auf den ersten Blick aussieht.“ Die Röntgen-Apotheke an der Würzburger Juliusspromenade sieht, ebenso wie man es in der Romanapotheke zu sehen glaubt, nach einem Zwei- bis Drei-Personen-Betrieb aus. In Wirklichkeit amtiert hier jeweils – im Hintergrund, aber natürlich auch im Schichtbetrieb – ein knappes Dutzend Mitarbeiter.

Zwei Stunden lang dauerte das erste Informationsgespräch. Dann kam eine Betriebsführung, anschließend stand man noch in Telefon- und WhatsApp-Kontakt. Zum Beispiel als Ulrike Sosnitza beim Schreiben auffiel: Jetzt muss mal wieder richtige Action passieren. Beraterin angerufen – die hatte sofort die Lösung: Der Roboterarm klemmt! Das geschieht tatsächlich dann und wann, ist nicht immer einfach zu beheben und zwingt zum Improvisieren. Spannend wurde dieses Unterthema, weil Heldin Nelly unter Höhenangst leidet, bereits auf Trittleitern vor Arzneiregalen panisch wird. Und sich in einen Ballonfahrer verliebt. Aber zu diesem Themenkomplex hatte Ulrike Sosnitza einen anderen Berater.

Die empathische Haltung der Apothekerin prägte auch die Romanfigur

„Ich bin rund um die Uhr zutiefst Apothekerin. Und auch Nelly ist für mich Apothekerin durch und durch“, attestiert Ann-Katrin Pause, dass ihre Zusammenarbeit mit der Autorin fruchtete. Zum Beispiel dass sie ihr vermitteln konnte: „In dem Beruf ist Empathie notwendig. Wenn man eine Empfehlung gibt, bekommt man sehr schnell eine Rückmeldung. Und man kann Menschen jahrelang begleiten.“ Diese Haltung präge auch die Romanfigur.

Sosnitza schlägt eine Ringbuchkladde auf, Seite um Seite saubere Mitschrift der Informationsgespräche. Von einigen Blättern ragen verschiedenfarbige Post-Its ab. Das Arbeitsjournal war nicht das einzige Hilfsmittel: „Wie sieht so ein Computerbildschirm aus? Und wie der Roboter, der die Arzneien nach Größe sortiert und dadurch die Lagerkapazität einer Apotheke so stark vergrößert? Ich habe bei der Recherche auch viele Fotos gemacht.“ Ihre Arbeit sei gewesen, „dass aus Wörtern Leben entsteht“. Dabei hilft es, wenn die Wirklichkeit zum Gebrauch von Wörtern anregt: „Selbst wenn nicht alle Details in das Buch geflossen sind.“

„Orangenblütenjahr“, Klappenbroschur, Heyne, 9,99 Euro. Ulrike Sosnitza liest am 15. März um 19 Uhr im Kunsthaus Michel in Würzburg, am 2. April um 19 Uhr in der WABE in Waldbrunn, am 12. April um 20 Uhr im Vogelhaus in Sommerhausen und am 10. Mai um 19.30 Uhr in der Gemeindebücherei Waldbüttelbrunn.

 
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