zurück
Würzburg
Wie ein deutscher Schlager in Auschwitz ein Leben rettete
Esther Bejarano hat Auschwitz überlebt. Mit Microphone Mafia engagiert sich die Zeitzeugin gegen Rechts und erzählt in Würzburg, welche Rolle das Lied "Bel Ami" spielt.
Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano mit ihrem Sohn Joram (rechts) und Kutlu Yurtseven (links) von der Kölner Rap-Band Microphone Mafia bei ihrem Auftritt in der Würzburger Posthalle.
Foto: Johannes Kiefer | Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano mit ihrem Sohn Joram (rechts) und Kutlu Yurtseven (links) von der Kölner Rap-Band Microphone Mafia bei ihrem Auftritt in der Würzburger Posthalle.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:55 Uhr

Sie will singen, bis es keine Nazis mehr gibt.Esther Bejaranoist 94 Jahre alt. Sie singt bis heute. Und seit zehn Jahren mit den Musikern der Kölner Rap Band Microphone Mafia. Sie engagieren sich gegen Faschismus, Ausgrenzung, Schweigen und Gleichgültigkeit, für Frieden, Freiheit und "Wahrheit".

Am Samstag stehen die Auschwitz-Überlebende, der Gründer von Microphone Mafia, Kutlu Yurtseven, und Esthers Sohn Joram Bejarano auf der Bühne der Posthalle in Würzburg - eingeladen von der Katholischen Hochschulgemeinde, vom Bündnis für Zivilcourage und von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Erwartet hat Esther Bejarano um die 75 Besucher. Es sind mehr als zehn Mal so viele Menschen da, die sie und Microphone Mafia erleben wollen. Nicht nur die Veranstalter sind überwältigt von der großen Resonanz.

"Widerstand braucht ein Lächeln im Gesicht"

Es ist ein beeindruckender Auftritt, berührend, ernst, aber auch beschwingt und fröhlich. Widerstand braucht ein Lächeln im Gesicht", sagt Kutlu Yurtseven. Singen sei Esther Bejaranos späte Rache an den Nazis. "Es ist uns eine Ehre, Teil der Rache zu sein." 

Die Zeitzeugin, geboren 1924 in Saarlouis im Saarland, hat ihr Lächeln nicht verloren, obwohl die Nazis ihre Eltern und eine Schwester ermordeten. Obwohl sie selbst in zwei Konzentrationslagern unter ständiger Todesangst lebte. Sie habe immer Glück im Unglück gehabt, schreibt die Tochter eines jüdischen Kantors in ihren Erinnerungen. Frech und wild sei sie gewesen, musikalisch begabt und ein Kind, das andere zum Lachen bringen konnte.

Esther Bejarano spielte Akkordeon im Frauenorchester von Auschwitz

In der Posthalle liest die 94-Jährige zu Beginn des Auftritts aus ihren Erinnerungen jedoch düstere Kapitel vor: über ihre Zeit in den Konzentrationslagern Auschwitz und Ravensbrück, vom Todesmarsch, von ihrer Flucht und Befreiung - aber auch von ihrem unbeschreiblichen Glück. Der schöne Freund gehört dazu, "Bel Ami". Der populäre Schlager aus dem gleichnamigen Film wird zu ihrem Lebensretter.

Zu Beginn des Auftritts mit Microphone Mafia liest Esther Bejarano in der Würzburger Posthalle aus ihren Erinnerungen.
Foto: Johannes Kiefer | Zu Beginn des Auftritts mit Microphone Mafia liest Esther Bejarano in der Würzburger Posthalle aus ihren Erinnerungen.

Esther Bejarano war ab Ende April 1943 in Auschwitz. Zu dieser Zeit soll die polnische Dirigentin Zofia Czajkowska im Auftrag der SS ein Frauenorchester zusammenstellen. Das Akkordeon ist noch nicht besetzt. Die damals 19-jährige Esther lügt, sie könne das  Instrument spielen. Mit "Bel Ami" will sie es beweisen. Es gelingt ihr, die richtigen Akkorde zu treffen. Sie ist Teil des Orchesters. Die Angst vor der Gaskammer aber bleibt. Das Essen wird auch nicht besser. Aber sie kann alleine in einem Bett schlafen und muss nicht unmenschlich schwere Arbeit verrichten.

Marschmusik für die Arbeitskolonnen, Klassik für die SS-Schergen

Das Orchester muss morgens und abends für die Arbeitskolonnen Marschmusik spielen, Klassik und anderes für die SS-Schergen - zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie musizieren bei Appellen, bei denen Selektionen vorgenommen werden, und für die Menschen, die neu im Lager ankommen. "Als die Menschen in den Zügen an uns vorbeifuhren und die Musik hörten, dachten sie sicher, wo Musik spielt, kann es ja so schlimm nicht sein", liest Bejarano vor. In der Posthalle könnte man eine Stecknadel fallen hören, so still ist es.

Doch dann wird es laut in Würzburg - auf hebräisch, jiddisch, türkisch, italienisch und deutsch - auf kölsch. Esther Bejarano und ihre Begleiter singen das Lied des Friedens "mit einem großen Schrei", von Sehnsucht nach Menschlichkeit, Bertolt Brechts Ballade der verhassten Liebe. Sie lassen keine Zweifel zu bei: "Wir leben trotzdem. Wir sind da!" Sie fordern auf: "Sage nie, du gehst den letzten Weg". Und sie tanzen bei "Wann jeiht d'r Himmel widder op" und bei "Bel Ami", der Glück bei den Frau'n hat - und vor allem bei Esther Bejarano.

Anzeige für den Anbieter Facebook Video über den Consent-Anbieter verweigert

Literatur-Tipp:  Esther Bajarano: Erinnerungen. Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts. Laika Verlag, 17 Euro.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Christine Jeske
Akkordeon
Bertolt Brecht
Erinnerungen
Glück
Klassische Musik
Konzentrationslager
Literaturtipps
Mafia
Nationalsozialisten
Rache
Schlager
Widerstand
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen