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Maßbach
Wie ein Autor 1909 die Herrschaft der Maschinen vorhersah
Vor 110 Jahren sagte E. M. Forster in einer Kurzgeschichte eine durch Technik vollkommen entmündigte Menschheit voraus. Ob er damit richtig lag, zeigt das Theater Maßbach.
Ein echtes Treffen wäre viel zu beschwerlich: Vashti (Susanne Pfeiffer) kommuniziert per Videobildschirm mit ihrem Sohn Kuno (Benjamin Jorns).
Foto: Sebastian Worch | Ein echtes Treffen wäre viel zu beschwerlich: Vashti (Susanne Pfeiffer) kommuniziert per Videobildschirm mit ihrem Sohn Kuno (Benjamin Jorns).
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:01 Uhr

Maßnahmen, die Sie nach dem Besuch einer Vorstellung von „Die Maschine steht still“ im Maßbacher Theater ergreifen sollten:

  • Erstens: Das Smartphone ausgeschaltet lassen.
  • Zweitens: Vor der Schlosstür tief durchatmen und die Nachtluft genießen.
  • Drittens: Festen Schrittes über die Erdoberfläche tanzen und dabei Schlaglöcher beachten.
  • Viertens: Erst danach das Handy wieder einschalten.

Und warum das alles? Weil die Zuschauer auf ungewöhnliche Weise aus der Vorstellung verabschiedet werden (die wir hier nicht verraten). Und weil wir eben Zeugen eines Geschehens wurden, das uns gründlich über den Umgang mit digitalen Apparaten grübeln lässt. Dieses Innehalten geschieht nur dank einer Kurzgeschichte, die ein Visionär vor 110 Jahren geschrieben hat: Der britische Schriftsteller E. M. Forster wurde bekannt mit (wunderbar verfilmten) Romanen wie „Zimmer mit Aussicht“ oder „Wiedersehen in Howard's End“. Seine Science-Fiction-Story „Die Maschine steht still“ hat Anne Maar neu übersetzt, für die Bühne bearbeitet, inszeniert und dabei originell mit gegenwärtigen Assoziationen versehen.

Nach Naturkatastrophen auf der Erdoberfläche haben Wissenschaftler „die Maschine“erfunden

So referieren die vier Schauspieler in ihren Rollen haarsträubende Gedanken über Wahrheiten „aus zweiter Hand“. Neudeutsch könnt man sie auch als „Fake News, die die Welt erklären“ bezeichnen. Susanne Pfeiffer, Benjamin Jorns, Silvia Steger und Ingo Pfeiffer treten auch immer wieder aus der eigentlichen Handlung heraus und wenden sich freundlich dem Publikum zu.

Wir werden in der Geschichte mit Menschen konfrontiert, die sich in einer nicht näher bestimmten Zeit völlig von einem alles beherrschenden, gottähnlichen System abhängig gemacht haben. Nach Naturkatastrophen auf der Erdoberfläche haben geniale Wissenschaftler „die Maschine“erfunden.  Diese hat sich in rasanter Eigendynamik zu einem höchst komplexen Apparat entwickelt, den niemand mehr zu beherrschen scheint. Die Menschen leben vereinzelt in Wohnwaben unterhalb der Erdoberfläche. Rundum versorgt, nahezu bewegungslos und nur über Bildkommunikation miteinander verbunden.

Unser Blick richtet sich auf das Innere einer solchen Wabe, in der ein aus der Form geratenes, dickes – ja, man kann sagen: Menschlein regelrecht an seinem Versorgungssessel klebt. Vashti (Susanne Pfeiffer) kommuniziert per Videobildschirm mit ihrem entfernt lebenden Sohn Kuno (Benjamin Jorns). Der scheint mit dem System alles andere als glücklich zu sein. Das Bühnenbild von Jörn Hagen, die Kostüme von Christina Halbfas und die permanenten Videoeinspielungen von Joris Immenhauser schaffen ein Milieu, das wie ein Crossover aus uralten Filmkulissen, Raumschiff Orion-Improvisationen und Comicszenen wirkt.

Noch leben wir nicht in unterirdischen Wohnwaben

So können wir der dystopischen Handlung und dem drohenden Weltuntergang mit leicht sarkastischem Schmunzeln entgegensehen. Noch leben wir nicht in unterirdischen Wohnwaben. Noch sind wir nicht völlig aus der Fassung. Unsere Mobilität scheint grenzenlos. Für Vashti ist eine Reise zu ihrem Sohn per Luftschiff die reine Tortur. Nur Benjamin Jorns versucht – wieder einmal in halsbrecherischer Akrobatik – dem System zu entrinnen. Die anderen bewegen sich so, als wäre jeder Schritt und jeder eigenständige Gedanke einer zuviel.

Forsters visionäre Botschaft vom katastrophalen Versagen einer Weltmaschine und Anne Maars zurückhaltend ironischer Blick auf heutige Verhältnisse ergänzen sich in diesen kurzweiligen 90 Minuten Spiel. Natürlich darf man keine psychologisch profilierten Charaktere erwarten. Es sind – Kuno vielleicht ausgenommen – Typenkarikaturen, die sich freundlicherweise gelegentlich als Schauspieler zu erkennen geben. Trotzdem: Die ungewöhnliche Verabschiedung nach der Vorstellung und das freie Durchatmen draußen erinnern uns sehr konkret an die Bedeutung des unmittelbaren sinnlichen Erlebens, das in einer rundum digitalisierten Welt mehr und mehr zu verschwinden droht.

Theater Schloss Maßbach: Vorstellungen im Intimen Theater und auf Gastspielreisen bis 10. November. Infotelefon: (09735) 235. www.theater-massbach.de

 
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