Man höre und staune! Im Martin- von-Wagner-Museum in der Würzburger Residenz kann man in einer besonderen Ausstellung ausnahmsweise viele gezeigte Objekte auch anfassen und ausprobieren: Altertumswissenschaftler zeigen anhand von antiken Originalen und nachgebauten Instrumenten, womit unsere Vorfahren musizierten. Der Schweriner Volkskundler und Instrumentenbauer Ralf Gehler hat für die Ausstellung "Mus-ic-on!" antike Saiteninstrumente nachgebaut. Teils nur nach Abbildungen. An diesem Wochenende ist Gehler in Würzburg und lässt zusammen mit der Musikarchäologin Susanne Rühling bei zwei Gesprächskonzerten originalgetreu rekonstruierte Musikinstrumente von der Steinzeit bis in die Neuzeit erklingen.
Ralf Gehler: Also, ich habe Europäische Ethnologie und Neuere und Neueste Geschichte studiert und meine Dissertation zur Volksmusikgeschichte der frühen Neuzeit geschrieben. Das ist das eigentliche Thema, das mich umtreibt bei allem, was ich tue: historische Musizierpraktiken, historische Instrumente. Mich interessiert die Geschichte der Musik, die nicht immer im Fokus der Musikwissenschaft stand. Also die Alltags- und Gebrauchsmusik jener Leute, die außerhalb des „Kulturkanons“ ihrer Zeit standen.
Gehler: Als Jugendlicher habe ich angefangen, Folk-Musik in einer Kapelle zu machen. Mein Großvater und Vater haben im Mandolinenorchester gespielt, mein Vater hat auch Diatonische Harmonika gespielt – in der Familie wurde immer viel Musik gemacht. Und 1985 habe ich angefangen, Dudelsack zu spielen. Das ist ein Instrument, das mich bis heute begleitet hat. Für mich bildet das eine Einheit: wissenschaftliches Forschen, Instrumentenbauen als Praxis der Experimentalarchäologie und dann auch das Spielen der Instrumente. Das eine gibt Informationen für das andere.
Gehler: Ja. Man baut das Instrument und entdeckt dessen Klang. Und erforscht dann die musikalischen Möglichkeiten. Was kann das Instrument? Was kann es nicht? Das ist ja häufig das einzige, was wir über die Musik der Vergangenheit erfahren können. Was wirklich darauf gespielt worden ist, wissen wir nicht. Aber was möglich ist, können wir hören. Der Fantasie ist dann freier Lauf gegeben.
Gehler: Ja, das ist auch interessant. Aber man muss überlegen, wir alle sind ja in mehreren Kulturen zuhause. An einem Tag gehen wir ins Rockkonzert, am anderen vielleicht in die Philharmonie. So muss man sich das in früheren Zeiten vorstellen. Auch gebildete Leute sind oft mit der Volkskultur großgeworden. Am einen Tag hörten sie mehrstimmig gesetzte Musik im Kreise der Elite, am nächsten Tag konnten sie auf dem Dorf am Marktplatz einem Dudelsackspieler lauschen. Aufzeichnungen der Musik aus der Vergangenheit geben uns einen Ausschnitt aus einem Teil des kulturellen Lebens der Zeit. Wenn wir ein Instrument aus einer Epoche finden, wissen wir nicht, ob genau diese Musik, die wir aus der Zeit kennen, auch darauf gespielt wurde.
Gehler: Ich bin in einer internationalen Studiengruppe für Musikarchäologie. Was mir auffiel: Die Leute, die antike Instrumente rekonstruierten, taten das oft sehr „formal“. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, in welcher kulturellen und handwerklichen Umgebung diese Instrumente damals entstanden sein könnten. Man baut eine Kithara nach dem Aussehen auf einem Bild nach, aber benutzt moderne Handwerkstechniken. Dabei wäre zu fragen, ob nicht die antiken Kulturen viel eher Ähnlichkeit haben mit den gegenwärtigen Volksmusikkulturen Afrikas. Dort werden Leiern zum Beispiel heute noch verwendet. Mit dem ethnologischen Blick entdeckt man in der antiken Musikwelt ganz neue Dinge.
Gehler: Zum Beispiel Materialien, die verwendet worden sein könnten. Einen Korpus kann man nicht nur aus Holz machen, sondern wie in Afrika auch mit Fell beziehen.
- Anfassen erlaubt! So ist die Ausstellung "Mus-ic-on! Klang der Antike" in der Residenz
Gehler: Genau. Ich kannte die Kastenleiern aus Äthiopien und dachte: Warum sollte der „Kasten“ der Kithara nicht auch mit Fell bespannt sein. Wenn man sucht, findet man antike Darstellungen von Kitharas, auf denen man einen Faltenwurf entdeckt. Oder eine Naht. Und dann habe ich die Konzert-Kithara mal frech einfach so rekonstruiert. Das Problem ist, dass die Kithara einen sehr hohen Status hat, auch in unserer Betrachtung.
Gehler: Das antike Griechenland gilt ja als Basis unserer europäischen Kultur mit dem klassischen Götterkanon, den Epen, der Demokratie . . . So gingen viele Wissenschaftler davon aus, dass eine so hehre Kultur auch eine hehre Musik gehabt haben muss. Davon wollte ich ein bisschen weg und zeigen, dass so eine Leier auch einfach und klar und funktional gewesen sein kann. Und nicht nur großartig und mit Elfenbein verziert.
Gehler: Wenn man Leiern mit flachem Boden in der gesamten Epoche vom siebten bis ins zweite vorchristliche Jahrhundert betrachtet, entdeckt man eine ganz große Vielzahl. Es gibt verschiedene Gruppen von Instrumente, mit unterschiedlichen musikalischen und technischen Ideen dahinter. Also die Art mit Fell für den Korpus und Hörnern als Jocharme ist eine sehr funktionale Deutung.
Gehler: Das weiß keiner. Man bekommt schon ein voluminöses Spiel. Aber wenn man sich zum Vergleich die Begena-Spieler heute in Äthiopien anschaut – eine große Leier mit Schnarr-Stegen – klingt das für uns heute doch sehr fremd.
Gehler: Es gibt ja drei Möglichkeiten, ein Instrument nachzubauen. Bei der ersten geht es um den Prozess der Herstellung selbst. Also die Materialien und Werkzeuge zu verwenden, die damals zur Verfügung standen. Das macht man sehr gerne bei Steinzeit-Instrumenten. Wie stelle ich eine Knochenflöte mit Flintstein her? Da findet man heraus, dass der Knochen frisch und weich sein muss. Die zweite Art ist, das Instrument mit heutigen Mitteln zu bauen, aber mit der „Idee“ des damaligen Instrumentes. Da brauche ich also keine Säge wie bei den alten Römern für ein Stück Holz, sondern ich nehme die Bandsäge. Schwuppdiwupp bin ich fertig und habe das gleiche Resultat.
Gehler: Das ist das, was ich mit der großen hethitischen Kithara gemacht habe. Diese Leier hat so nicht existiert. Sie sieht nur so aus. Wir haben nichts als eine einzige Vasenabbildung aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus. Die Gestalt und die Größe sind nachempfunden. Weder das Material ist nachvollziehbar noch die Anzahl der Saiten.
Gehler: Man erkennt die Gewaltigkeit, wie das Instrument im Raum wirkt und hört diesen Sound, der durch den Schnarrsteg entsteht. Haben Sie in der Ausstellung mal daran gezupft? Das klingt gewaltig, total toll. Ein ganz besonderer Ton, ähnlich wie bei der äthiopischen Leier.
Gehler: (Lacht) Ja! Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut klingt. Ich habe neun Saiten aufgezogen, man könnte also über eine None hinweg eine Melodie spielen und so einiges darauf machen. So wie bei den tiefen Saiten einer Harfe.
Gehler: Ja, verrückt. Zwei Meter sechzig! Da habe ich auch sehr lange gesucht, bis ich im Erzgebirge einen Produzenten gefunden habe.
Gehler: Das ist eine Frage . . . Also wahrscheinlich werden wir irgendwann mal einen archäologischen Fund machen und uns alle köstlich amüsieren, dass alles ganz anders war. Also im besten Fall amüsieren. Es sind immer nur Angebote, die man im Erkenntnisprozess bei der Experimentalarchäologie machen kann. Es ist immer einfach, zu so einer Leier als Wissenschaftler ein „Aber“ einzuwenden. Aber es nicht auszuprobieren, ist auch keine Lösung.