"Ludwig Richter wäre heute ein erfolgreicher Influencer." Eine steile These, die die Journalistin Rebecca Erken da im Katalog zur neuen Ausstellung im Schweinfurter Museum Georg Schäfer aufstellt. Titel der Ausstellung: "Schöne heile Welt". In der Tat sind die Parallelen frappierend zwischen dem erfolgreichen und zeitweise wie ein Nationaldenkmal verehrten Künstler Ludwig Richter (1803-1884) und den Menschen, die heute per Instagram & Co. elektronisch geschönte, nicht weniger heile Welten verbreiten.
Oder vielmehr: Die Bedürfnisse und Sehnsüchte des Publikums einst und jetzt ähneln sich auf frappierende Weise. So wie sich auch die Zeiten ähneln: hier Globalisierung, Klimawandel, internationale Konflikte, dort napoleonische Kriege, Restauration, Aufstände, Industrialisierung, Verelendung. Zeiten also, in denen der Mensch Bilder braucht, die andere, heilere Welten in Aussicht stellen. Im 19. Jahrhundert lieferten diese Bilder Künstler wie Ludwig Richter, heute, in einer Zeit, die schon "Neo-Biedermeier" genannt wurde, sind es Zeitschriften wie "Landlust" oder "Hygge" – auch das zeigt die Ausstellung.
Ludwig Richter hatte ein klares Konzept: Durch die Darstellung nicht nur ästhetisch schöner, sondern auch moralisch vorbildlicher Szenen sollte der Betrachter angeregt werden, selbst ein guter Mensch zu werden oder zumindest gut zu handeln. Was in diesem Zusammenhang bedeutet: eine liebende Mutter sein, ein treusorgender Vater, ein braves, aufgewecktes Kund, kurz: ein frommer und bescheidener Christen- und Familienmensch. Das gilt wohl für heutige Influencer nicht unbedingt – die wollen vor allem Produkte promoten und verkaufen.
Ludwig Richter wollte das allerdings auch: seine eigenen Werke – Zeichnungen, Gemälde, Stiche und Bucheditionen. Und es gelang ihm nach Anfangsjahren voll Unsicherheit und Selbstzweifeln immer besser. Im Laufe seines langen Lebens schuf er 3600 Druckgrafiken, davon 2600 Holzstiche. In der zehnbändigen Buchreihe "Das malerische und romantische Deutschland" illustrierte er zwischen 1837 und 1841 allein vier Bände. Darunter ist auch eine der bis heute bekanntesten Darstellungen von Schloss Mainberg bei Schweinfurt. Richter arbeitete mit bis zu 70 Verlegern zusammen, er illustrierte die Werke nahezu aller Autoren seiner Zeit (Goethe hatte es ihm besonders angetan), gab Märchensammlungen und sogenannte Volksbücher heraus. Sein "Hausschatz" steht noch heute in unzähligen Familienbibliotheken.
Dafür übertrug er Geschichten, Gedichte, Fabeln, Sagen und Märchen in seine minutiös komponierten Bilderwelten voller Harmonie, dafür schuf er unzählige idyllische Szenen für Erwachsene wie für Kinder. Er schuf aber auch Bilder, die auf keine Vorlagen Bezug nehmen, sondern beispielhaft für seine eigene Weltsicht sind: das Leben als Pilgerreise, mit hellen und dunklen Passagen, immer aber mit einem Ziel im Licht oder zumindest im Schutze eines gemütlichen Häuschens. Dorthin gelangt der Mensch, indem er sich Tugenden wie Gemeinschaftssinn, Hilfsbereitschaft und Demut zueigen macht.
Ludwig Richters Darstellungen einsamer Wanderer, frommer Landleute oder zusammenhaltender Familien wurzeln tief im deutschen kollektiven Bildergedächtnis. Auch wer heute möglicherweise nichts mehr mit seinem Namen anfangen kann, wird die Motive sofort wiedererkennen. Käthe Kruse, geboren 1883, also ein Jahr vor Richters Todesjahr, nahm dessen pausbackige Kinder zum Vorbild für ihre Puppen, Walt Disney bediente sich großzügig bei Richter für Filme wie "Schneewittchen" oder "Bambi".
Die Ausstellung zeigt 150 Arbeiten, 90 davon aus dem eigenen Bestand, dazu Leihgaben aus Dresden, Berlin, Essen, Leipzig und aus dem Schweinfurter Museum Otto Schäfer, das auf Druckgrafik und illustrierte Bücher spezialisiert ist. Kuratorin Karin Rhein hat sich tief in das Thema eingearbeitet und in Richter einen durchaus sympathischen Menschen kennengelernt. Der sich geschickt das Image des bescheidenen, demütigen Künstlers gab und auch danach lebte.
Wer sich auf diesen Maler und Zeichner einlässt, der so gar nicht mehr in das heutige Künstlerbild passt, der schon zu Lebzeiten weit hinter jede kunstgeschichtliche Neuerung zurückfiel – man bedenke, dass er Zeitgenosse von Spitzweg, Lenbach, Courbet oder Manet war –, wem es also gelingt, Aspekte wie Progressivität oder gar Gesellschaftskritik beiseite zu lassen, der wird einen brillanten Regisseur und Erzähler entdecken, in dessen Bildern kaum ein Detail ohne Bedeutung ist. "Er hatte ein besonderes Gespür für die schönen Momente einer Geschichte und den Liebreiz der Figuren", sagt Karin Rhein.
Erstmals gibt es in einer Ausstellung des Museums Georg Schäfer einen Raum für Kinder – kuratiert von Kindern zwischen acht und zwölf Jahren. Diese haben sich Darstellungen ausgesucht, passende Objekte dazugestellt wie einen Plüschpinguin oder einen Gips-Engel und selbst Arbeiten von eigentümlicher Poesie geschaffen. Dass Ludwig Richters Symbolik bis heute berührt, zeigt der Text der siebenjährigen Elena: "Mir gefällt der Engel weil der das Symbol für Frieden ist und weil es im Haus gemütlich aussieht. Wenn ich das Wort Frieden höre fällt mir ein: meine Familie lieb zu haben."
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt: "Ludwig Richter – Schöne heile Welt". 20. Oktober bis 19. Januar.
Öffnungszeiten: Di. 10-20 Uhr, Mi-So 10-17 Uhr.
Der im Sandstein-Verlag erschienene Katalog mit 264 Seiten und 189 Abbildungen kostet 33,50 Euro, im Buchhandel 38 Euro.
Aus dem Begleitprogramm: So., 24. November, 14 Uhr, Konzert "Märchenbilder" – Musik der Romantik für Flöte und Klavier mit Texten von de la Motte-Fouqué, Eichendorff und Heine mit dem Duo Mattick-Huth.