200 Euro erhofft sich die Dame, als sie auf dem Flohmarkt eines hessischen Städtchens eine alte Geige anbietet. Dann erfährt sie: Das Instrument sei 20 000 Euro wert, wie die „Oberhessische Presse“ berichtete. In der Geige klebt ein Zettel: „Mathäus Wenceslaus Staudinger me fecit, Wirceburgi 1773“: Das Instrument wurde vor fast 250 Jahren in Würzburg gebaut.
Wer war Staudinger? Eine Art Würzburger Stradivari? Informationen über den Meister, der auch Lauten und Celli baute, sind dünn gesät. Im Internet findet sich lediglich ein Auszug aus dem Buch „Die Allgäuer Lauten- und Geigenmacher“ des schwäbischen Historikers Adolf Layer (1920 bis 1984): Staudinger, der sich manchmal mit „t“ schrieb, sei ein „sehr tüchtiger Geigenbauer“ gewesen. Er dürfte „bei einem Allgäuer Meister gelernt haben“.
Ein Wiener in Würzburg
Das Museum für Franken hat eine Staudinger-Geige im Depot. Im Katalog einer Sonderausstellung von 2003 („ . . . meine angenehmste Unterhaltung – Musikinstrumente und Musikalien aus fränkischen Sammlungen“) findet sich auch Biografisches.
Mathäus Wenceslaus Staudinger, geboren am 9. September 1714 in Wien, „erwarb 1753 das Würzburger Bürgerrecht und heiratete im gleichen Jahr die Witwe des Würzburger Geigenmachers Johann Georg Vogler“. Aus dem Jahr 1788 existiert noch ein Steuernachweis für die Jahre 1780 bis 1784. „Ob Staudinger in den Jahren 1785 bis 1788 noch am Leben war oder die Steuerzahlung seine Witwe betraf“, sei hieraus allerdings „nicht ersichtlich“, heißt es.
Geigenbau hatte in Würzburg Tradition – nicht zuletzt, weil es hier einen fürstbischöflichen Hof samt Hofkapelle gab, sagt der Würzburger Geigenbaumeister Markus Lützel. Dennoch sind historische Streichinstrumente aus Würzburg Raritäten: Viele seien in der Bombennacht des 16. März 1945 verbrannt, so Lützel. Wertangaben für Staudinger-Geigen seien schwierig. Gerade weil sie so selten sind, gab es zu wenige Verkäufe, an denen sich Preiskataloge orientieren könnten. Im Internet finden sich lediglich drei Preise für Cellos von Staudinger: Sie brachten bei Auktionen zwischen 11 000 und 17 000 Euro.
Die teuersten Geigen der Welt
Selbst wenn eine Staudinger-Geige einem Sammler 20 000 Euro wert wäre, läge sie immer noch weit unter dem Wert der Geigen von Antonio Stradivari (1644 oder 1648 bis 1737). Der Cremoneser ist im kollektiven Gedächtnis als bester Geigenbauer der Geschichte gespeichert – und als teuerster. Sieben der zehn teuersten Geigen kamen aus seiner Werkstatt. Den bisherigen Auktionsrekord erzielte die „Lady Blunt“: 11,6 Millionen Euro. Ihren Namen verdankt die Violine der ersten bekannten Besitzerin Anne Blunt (1837 bis 1917), Enkelin des Dichters Lord Byron.
Die Plätze zwei bis vier belegen Instrumente von Giuseppe Guarneri (1698 bis 1744) mit Preisen zwischen 4,3 und 7,3 Millionen Euro. Auch Guarneri arbeitete in Cremona. Die Top Ten sind somit ausschließlich von alten italienischen Geigen belegt.
„Nicht der Spieler findet die richtige Geige, die Geige findet den Spieler“, kommentiert Meierott. Ihn habe eine „neue Italienerin“ gefunden. So bezeichnet man Instrumente, die vor 100 bis 150 Jahren gebaut wurden. „Italienische Geigen haben ein Herz“, schwärmt Meierott. Zuvor hat der 51-Jährige ein älteres Instrument aus der Hand eines italienischen Meisters gespielt. Das „war am Ohr sehr präsent. Aber für Zuhörer im Saal klang sie nicht so gut.“ Meierott mag's also italienisch – aber das ältere Baujahr muss nicht zwangsweise besser sein.
Die Geheimnisse der Alten Meister
Szenenwechsel. Kitzingen, Villa Paganini. Hier lebt und arbeitet Profi-Geiger Florian Meierott. Er öffnet einen Geigenkasten. Auf Samt gebettet, ruht ein Instrument von Jacob Stainer (um 1619 bis 1683). Der Tiroler Geigenbauer „war Vorbild für Stradivari“ sagt Meierott. Er spielt die Stainer aber nur selten.
Und wie ist das mit den Geheimnissen, von denen die Alten Meister – allen voran wiederum Stradivari – gewusst haben sollen? Spekulationen gibt es reichlich: Das Holz sei nach Cremona über den Po geflößt wurden, dessen kalkhaltiges Wasser dem Klang genützt habe. Oder: Stradivari habe ausschließlich Holz verarbeitet, das kurz vor Neumond geschlagen wurde. Oder gar: Dem Lack sei Jungfrauen-Urin beigemischt worden. Was dem Geigenbau einen Hauch von Alchemie verleiht.
Florian Meierott winkt ab: „Regelmäßig glaubt irgendjemand, das angebliche Geheimnis des Stradivari-Klangs entdeckt zu haben.“ Rausgekommen sei bisher nichts. Den Mythos vom Lack-Geheimrezept hat 2009 ein französisch-deutsches Wissenschaftler-Team entlarvt: Stradivari habe „keine ungewöhnlichen oder gar geheimen Zutaten verwendet, sondern war einfach ein wahrhafter Meister seines Handwerks“, lautete das Resümee, nachdem man den Lack von fünf Stradivaris untersucht hatte.
Fazit: Man weiß nicht wirklich, was Stradivari seinen Zunftbrüdern voraus hatte. Also weiß man auch nicht wirklich, was einem „sehr tüchtigen“ Geigenbauer wie Staudinger fehlte – und warum er eben kein Stradivari aus Würzburg war.