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WÜRZBURG
Rockmusik für Rechte
Thomas Kuban tritt öffentlich nur in Verkleidung auf.
Foto: IT | Thomas Kuban tritt öffentlich nur in Verkleidung auf.
Das Gespräch führte Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 08.01.2016 17:51 Uhr
Thomas Kuban hat jahrelang mit versteckter Kamera und unter Lebensgefahr bei Rechtsrock-Konzerten gefilmt, er arbeitete mit den TV-Sendungen "Spiegel TV", "Stern TV" und "Panorama" zusammen. In dem Buch "Blut muss fließen - Undercover unter Nazis" berichtet der Enthüllungsjournalist über die neonazistische Jugendkultur in Europa. Sein Fazit: Die rechte Musikszene ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und stellt eine massive Bedrohung für die Demokratie dar. Ein Gespräch mit Thomas Kuban, dessen Name ein Pseudonym ist.

Frage: Hat sich etwas verändert, seit die Zwickauer Terrorzelle NSU und ihre Morde bekannt wurden? Schließlich vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht über Neonazis und das Versagen der Behörden berichten.

Thomas Kuban: Über den NSU wird angesichts der zehn Todesopfer medial zu Recht in großem Stile berichtet. Wenn man aber bedenkt, dass nach einer Recherche der "Zeit" und des "Tagesspiegel" seit 1990 rund 150 Menschen an den Folgen rechtsextremistischer Gewalt gestorben sind, der Staat parallel dazu aber nur 60 Opfer gezählt hat, frage ich mich, wieso das Thema nicht jede Woche auf der politischen Agenda steht. Das, was die Bewegung jenseits des NSU ausmacht, wird nach wie vor vernachlässigt.

Sie haben zehn Jahre lang bei Rechtsrock-Konzerten verdeckt gefilmt. Frei.Wild aus Südtirol wird in Deutschland mit goldenen Schallplatten geehrt und tritt hier in den größten Hallen auf. Wo verorten Sie diese Band?

Kuban: In meinem Buch hatte ich Frei.Wild noch in der Grauzone verortet. Mit ihrer neuen CD befinden sie sich aber ganz klar im Bereich des Rechtsrock. Sie arbeiten subtil mit Anspielungen und Andeutungen, wie es auch einige Neonazibands tun, die sich nicht strafbar machen wollen. Zum Beispiel spielen sie auf das antisemitische Stereotyp von angeblich reichen Juden an. Auch würdigen sie Opfer der Nazidiktatur herab, die für ihre unbeschreiblichen Leiden Entschädigungszahlungen vom deutschen Staat erhalten. Frei.Wild opponieren gegen die politische Korrektheit. Hinzu kommt ein betont aggressiver Nationalismus.

Wie erklärt sich der Erfolg von Frei.Wild beim Massenpublikum?

Kuban: Viele Frei.Wild-Anhänger rekrutieren sich aus dem Fanspektrum der Böhsen Onkelz. Nach deren Auflösung waren Zigtausend Fans heimatlos. Zudem haben einige Texte von Frei.Wild eine ähnliche Stoßrichtung. Sie stellen sich gerne als die Verfolgten dar, die gegen alle Widerstände den wahren Weg gehen. Von den Redaktionen, denen ich mein Recherchematerial angeboten habe, habe ich unter anderem das ablehnende Argument gehört, man wolle den Rechten keine Bühne bieten. Dazu muss ich sagen: Hätte man sich vor zehn Jahren solide mit Frei.Wild beschäftigt, würden sie heute nicht in den Großstadthallen spielen.

Frei.Wild wehrt sich gegen den Vorwurf, rechtsextrem zu sein. Sieht man bei ihren Konzerten Nazi-Skinheads?

Kuban: Am 6. Oktober 2012 war ich in Südtirol bei der CD-Präsentation von Frei.Wild. Sie hatten dafür das Zelt der Kastelruther Spatzen gemietet, auf deren Open-Air die Rockband auch schon aufgetreten ist. Auf dem Weg zum Zelt bin ich einer Gruppe Fans begegnet, die gerade das Lied "Ran an den Feind" der Neonazi-Kultband Landser sangen. Im Refrain wird ein Bombardement Israels gefordert. Und wenn der Frei.Wild-Sänger sein Publikum auffordert, die Hände nach oben zu recken, sagt er schon mal sicherheitshalber dazu, dass es nicht nur die rechten sein sollten. Auch in Deutschland wird die Band für ihre nationalistischen Statements bejubelt. Die jungen Leute lernen die Lieder auswendig und grölen sie mit. Damit verfestigen sich die nationalistischen Botschaften im Kopf.

Wie tief steckt die NPD in der Konzertszene drin?

Kuban: Bei NPD-Veranstaltungen spielen oft prominente Rechtsrockbands wie die Lunikoff-Verschwörung um den ehemaligen Landser-Sänger. Die müssen sich dann mit Straftaten zurückhalten, aber auch dort gibt es Hitlergrüße im Publikum. Beim NPD-Sachsenfest 2009 zum Beispiel traten aber nicht nur Rechtsrockbands auf, im hinteren Bereich des Open-Air-Geländes stand noch eine Hüpfburg für Kinder, und abends wurde ein Fackelmarsch gemacht. Bei solchen Partei-Festivals wird das ganze Spektrum bedient, von der nationalistisch denkenden bürgerlichen Familie bis hin zu den Hardcore-Nazis.

Wie hat sich der Rechtsrock in den vergangenen Jahren verändert?

Kuban: Bei der Neonazimusik sind die Texte tendenziell legaler geworden. Heute gehört es zum Standard, dass sie vor der Veröffentlichung von einem Anwalt geprüft werden, weil man natürlich damit Geld verdienen will. Qualitativ ist das Spektrum größer geworden, es gibt nach wie vor die Schrammelkapellen, die vor sich hin holpern, aber es gibt inzwischen auch musikalisch hochwertige Gruppen wie Heiliger Krieg, ein Nachfolgeprojekt von Race War. Neben Landser war Race War die einzige Band, deren Mitglieder wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind. Neben dem klassischen Rock Against Communism gibt es noch den NS-Hatecore, der mit dem Hardcore verwandt ist und beispielsweise von Autonomen Nationalisten bevorzugt gehört wird.

Mit welchen politischen und gesellschaftlichen Strategien kann man dem Treiben beikommen?

Kuban: Es kommt dabei auf alle gesellschaftlichen Kräfte an: die Bürger, die Politik, die Polizei, die Medien, den Verfassungsschutz. In der hessischen Gemeinde Kirtorf, die lange Zeit ein zentraler Szenetreffpunkt war, habe ich 2004 ein Nazikonzert in einem umgebauten Schweinestall gefilmt. Danach hat das TV-Magazin "Kontraste" darüber berichtet. Infolgedessen hat die Polizei mit großem Engagement ermittelt. Mitglieder einer Band und die Organisatoren sind dann gerichtlich verurteilt worden, das zuständige Ordnungsamt hat weitgehende Veranstaltungsverbote auch für die Zukunft verhängt. Auch eine Bürgerinitiative hat massiv mobilgemacht.

Gucken Polizei und Verfassungsschutz jetzt, nach der Enttarnung der Zwickauer Terrorzelle, genauer hin?

Kuban: Meine punktuellen Eindrücke, die ich seither gesammelt habe, bestätigen das nicht. Im Gegenteil: Im September war ich bei einem Neonazikonzert in Baden-Württemberg, dort hat sogar Heiliger Krieg gespielt. Bis dahin hatte ich es für unmöglich gehalten, dass diese Band in Deutschland einen Auftritt riskiert. Im Publikum gab es "Sieg Heil"-Rufe und Hitlergrüße, das übliche Programm. Die Polizei war weder zu sehen, noch hat sie eingegriffen. Bei einem früheren Konzert mit Polizei im Publikum habe ich es sogar erlebt, dass das Licht ausgemacht wurde, damit man nicht sieht, wer den "Polacken-Tango" singt. Bei der diesjährigen BKA-Herbsttagung habe ich angeregt, einen Pool von 20 verdeckten Ermittlern auf Bundesebene ins Leben zu rufen, weil die Szene sogar international vernetzt ist. Diese Ermittler könnten die Straftaten bei den Auftritten der verschiedenen Bands dokumentieren. Auf dieser Basis wäre eine strafrechtliche Verfolgung möglich, und es gäbe gleichzeitig Gründe, künftige Konzerte der entsprechenden Gruppen zu verbieten.

Thomas Kuban: Blut muss fließen. Undercover unter Nazis (Campus, 316 Seiten, 19,99 Euro). In der gleichnamigen Dokumentation berichtet Filmemacher Peter Ohlendorf anhand der Undercover-Arbeit von Thomas Kuban über die neonazistische Jugendkultur in Europa. Aufführungstermine unter: www.filmfaktum.de
 
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