- Was ist das für ein Stück? "The Rape Of Lucretia" ist eine 1946 uraufgeführte Kammeroper von Benjamin Britten (1913-1976) in einer Produktion der Opernschule der Hochschule für Musik Würzburg.
- Worum geht's? Die tugendhafte Römerin Lucretia wird vom Etrusker-Prinzen Tarquinius vergewaltigt und nimmt sich ob der Schande das Leben. Der klassische Stoff hat viele Künstler beschäftigt, etwa Botticelli, Cranach oder Tizian.
- Lohnt der Besuch? Ein klares Ja! Inszenierung und musikalische Umsetzung sind packend und intensiv. Außerdem gibt es einige vielversprechende Nachwuchsstimmen zu entdecken.
Eine Frau wird vergewaltigt, sie kommt über das Erlittene nicht hinweg, auch die unerschütterliche Liebe ihres Mannes kann ihr nicht helfen, sie nimmt sich das Leben. Wobei eben nicht das Trauma, das sie erleidet, zum Thema wird, sondern die Schande, die ihr fortan anhaftet. Der antike Stoff um die tugendhafte Römerin Lucretia hat über die Jahrhunderte viele – männliche – Künstler beschäftigt und ist nicht zuletzt als Parabel für christliche Glaubenstiefe weidlich ausgeschlachtet worden.
Auch das Libretto von Ronald Duncan stellt diesen christlichen Kontext her, was für einen Vorfall, der um das Jahr 500 vor Christus angesiedelt ist, schwer nachzuvollziehen ist. Katharina Thoma, Leiterin der Opernschule, unterläuft in ihrer Inszenierung diese Lesart konsequent. Sie interessiert sich nicht für die moralische Parabel, sondern für die systemische Frauenfeindlichkeit des dargestellten Umfelds.
Aus dem antiken Chor wird ein Dozenten-Paar
Aus dem Erzähler und der Erzählerin, die die Rolle des antiken Chors übernehmen, macht sie Dozenten, die handelnden Personen sind zunächst Studierende. Es entsteht eine Rahmenhandlung – der eigentliche Plot wird von den Studierenden nachgespielt, ein Reenactment also. So erreicht Thoma eine Distanzierung zu den Denkvorgaben des Chors (also der Dozenten), was dem Erleben der Ereignisse als solchen interessanterweise keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Lucretias Leid (mit großer Präsenz: Aleksandra Nygaard Djordjevic) bekommt so erst seine individuelle Tiefe.
Als Dozent und Dozentin zum Schluss mit ihrer christlichen Moral kommen, wenden sich die Studierenden demonstrativ ab, tief beeindruckt von dem, was sie selbst gerade in ihren Rollen erlebt haben. Wo Lucretia die Möglichkeit der Autonomie nur im Freitod sah, haben sie die Chance auszubrechen aus den Normen ihres Systems.
Auf der Bühne wird mitreißend und anrührend agiert und gesungen
Wichtigen Anteil an einer vielschichtigen, zuletzt eben doch zutiefst menschlichen Deutung des Stoffs hat Benjamin Brittens spröde, immer wieder überraschend lyrisch aufleuchtende Musik, die das Ensemble glänzend umsetzt. Im Graben gibt Andreas Hotz als neuer musikalischer Leiter der Opernschule seinen Einstand, auf der Bühne (auch Kostüme: Verena Hemmerlein) des Theaters in der Bibrastraße wird mitreißend und anrührend agiert und gesungen.
Aus den durchwegs überzeugenden bis begeisternden Stimmen ragen der helle und tragfähige Tenor von Alexander Geiger als manipulativem Dozenten, der dunkle Mezzosopran von Aleksandra Nygaard Djordjevic als Lucretia und der vitale Bariton von Jakob Ewert als Junius hervor. Aber auch Dong Won Seo (Tarquinius), Kyoungmin Choi (Dozentin), Gustavo Müller (Collatinus), Nadine Suessenbach (Bianca) und Yisae Park (Lucia) liefern mehr als vielversprechende Rollendebüts ab. Langer begeisterter Beifall.
Weitere Vorstellungen: 4. und 5. Juli, 19.30 Uhr. Theater in der Bibrastraße. Karten im Falkenhaus, Tel. (0931) 37 23 98, falkenhaus@wuerzburg.de, www.wuerzburg.de/events-termine