Dass die Menschen in Richard Wagners "Tristan und Isolde" allgemein wenig zu lachen haben, schlimmer noch, dass ihnen alles verwehrt bleibt, was sie sich erträumen, das hat sich längst in den Inszenierungen niedergeschlagen. Unbehaustheit, wohin man blickt. Peter Sellars setzt die Liebenden in Paris in einem schwarzen Raum aus, Katharina Wagner sperrte sie in ihrer Bayreuther Inszenierung (2015 bis 2019) gar in eine Art Strafgefangenenlager und quälte sie mit Suchscheinwerfern. Immerhin, Dmitri Tcherniakov gönnt dem Paar an der Berliner Staatsoper Unter den Linden eine Überfahrt auf einer Oligarchen-Jacht und ein Beisammensein in einer hübschen Villa.
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Katharina Thoma, Professorin an der Hochschule für Musik Würzburg und dort Leiterin der Opernschule, hat "Tristan und Isolde" nun für die Oper Frankfurt inszeniert und sich dabei eindeutig für Unbehaustheit entschieden. Bühnenbildner Johannes Leiacker hat dafür einen riesigen weißen Raum geschaffen, dessen unfassbare Dimension einzig ein Fries aus Neonröhren im unteren Drittel mildert. Die zeitlos schlichten bis dezent pittoresken (Matrosen-)Kostüme hat Irina Bartels entworfen.
Menschliche Dimension haben hier nur ein Ruderboot und ein einziger weißer Stuhl
Dieser weite weiße Raum umfängt eine wuchtige schwarze Platte, die im ersten Aufzug als Podest an vier Kabeln schwebt, im zweiten als drehbare Wand auftaucht und im dritten zerborsten den Rückzugsort Kareol darstellt und dabei sehr an Caspar David Friedrichs Gemälde "Das Eismeer" erinnert. Also auch hier nicht wirklich Heimat.
Menschliche Dimension haben hier nur ein Ruderboot und ein einziger weißer Stuhl. Die Botschaft ist klar: Niemand hat hier Aussicht auf ein Verweile doch... Und niemand strebt es an. Tristan und Isolde wünschen sich nichts sehnlicher, als diesem harten, weißen Tag in die Nacht des Todes zu entfliehen.
Doch diese Todessehnsucht, von Wagner unter Berufung unter anderem auf Schopenhauer immer wieder als einzige Erlösungsmöglichkeit vom Joch der unmöglichen Liebe heraufbeschworen und in rauschhafte, im wörtlichen Sinne überwältigende Musik gefasst, ist auf der Bühne nicht recht nachvollziehbar. Aus dem Graben kommt unter der Leitung von Sebastian Weigle makelloser, süffiger, wenn auch nicht bis ins letzte leidenschaftlicher Klangrausch, der aber irgendwie an den Figuren abzuprallen scheint.
Es scheint auch, als könnten Tristan und Isolde nicht allzu viel miteinander anfangen, als verbinde sie nicht Liebe, sondern eine Lebensmüdigkeit, die jeweils ihre eigenen Gründe hat. Wie sich herausstellt, will tatsächlich nur Tristan sterben, er wirft sich Melot (Iain MacNeil) ins Messer und sticht im dritten Aufzug, kurz bevor Isolde ihn heilen könnte, sogar selbst noch einmal in die Wunde. Und so betrügt er Isolde vorsätzlich um einen gemeinsamen Tod – warum, das wird nicht klar. Isolde bleibt im riesigen weißen Raum zurück – am Leben und offen für eine wie auch immer geartete Zukunft. Als sie den "Liebestod" anstimmt, ist Tristan längt mitsamt seiner schwarzen Eisschollen-Insel von der Bühne gefahren worden.
Der einzige Moment echter Intimität findet noch während des Vorspiels statt
Sozusagen rückwirkend schlüssig ist dann allerdings, dass der einzige Moment echter Intimität noch während des Vorspiels stattfindet, als Isolde den schlafenden Tristan betrachtet und plötzlich ein unwillkürlich zärtliches Lächeln ihr Gesicht verzaubert. Zwischen diesem ersten, verheißungsvollen Moment und dem offenen Ende allerdings bleiben Vincent Wolfsteiner (Tristan) und Rachel Nicholls (Isolde) die Leidenschaft schuldig, die in Text und Musik so unausweichlich formuliert ist.
Kurz vor ihrer Entlarvung als Liebespaar, zu den Zeilen "Endlos ewig ein-bewusst: heiß erglühter Brust / höchste Liebeslust", stehen sie ganz sittsam nebeneinander im Ruderboot. Erst als der betrogene König Marke schon vor ihnen steht, umarmen sie sich wie im Trotz, als wollten sie noch einmal die Verwerflichkeit ihres Tuns betonen. Diese alles verzehrende Lust, die Entgrenzung, die Selbstaufgabe bleibt Behauptung. Es ist schwer, sich vorzustellen, warum dieser linkische, irgendwie harmlose Tristan so als Held verehrt wird (Christoph Pohl als Kurwenal wirkt da weit kerniger), und wo wiederum die quasi übersinnlichen Kräfte Isoldes abgeblieben sind.
An Charisma kann es in dieser Inszenierung niemand mit König Marke aufnehmen
Wie Charisma geht, das zeigt Andreas Bauer Kanabas als Marke. Jeder seiner Auftritte ist authentische Emotion und ungetrübter sängerischer Bass-Glanz. An Präsenz kann es in dieser Inszenierung niemand mit ihm aufnehmen. Nicht Wolfsteiner, der sich im dritten Aufzug noch einmal stark steigert, mit seinem hellen, eher leichten, aber tragfähigen Tenor, noch Nicholls mit ihrem immer wieder die Grenze zur Überforderung touchierenden Sopran. Claudia Mahnkes Brangäne hingegen ist weit mehr als die devote Dienerin, sie ist würdevoller Gegenpol und Ergänzung zu Markes Verletztheit.
Was also ist das Thema dieser Inszenierung? Ist sie ein Auflehnen gegen die Überwältigung des Hörers durch die Musik? Gegen den von Wagner so kunstvoll auferlegten Kontrollverlust? Und wenn ja, was folgt aus der gewollten Immunität gegen den besinnungslosen Rausch? Was bleibt? So wirkt der Premieren-Applaus in Frankfurt denn auch eher verhalten und vielleicht ein wenig ratlos.
Weitere Vorstellungen: 25. Januar, 1., 9.,14., 23., 29. Februar, 12., 20., 28. Juni, 2. Juli, 17 Uhr. Karten: Tel. (069) 212 49 49 4, www.oper-frankfurt.de