
Mit der Renaissance konnte er nichts mehr anfangen. Victor Vasarely wollte die bedeutende kulturgeschichtliche Epoche für sich als Künstler ad acta legen“, sagt Marlene Lauter, Direktorin des Museums im Kulturspeicher in Würzburg, über den Mitbegründer der sogenannten Op-Art, der optischen Kunst. Bei Vasarelys intensiver Auseinandersetzung mit dem Raum spielte die vor über 500 Jahren in der Renaissance entwickelte Zentralperspektive mit einem einzigen Fluchtpunkt keine Rolle.
Dreidimensionale Objekte auf zweidimensionaler Leinwand
„Alle früheren Formen von Illusionismus nämlich sind heute veraltet“, sagte der gebürtige Ungar, der die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich zu Hause war 1971 – und fügte hinzu, dass der Mensch aber nicht ohne Illusionen leben könne. Seine Vorstellung ging allerdings über die traditionelle illusionistische Darstellung dreidimensionaler Objekte auf zweidimensionaler Leinwand hinaus.
„Vasarelys lebenslanges Streben galt der Utopie, den Raum in der Fläche plastisch erlebbar zu machen“, so Marlene Lauter im Katalog zur Ausstellung „Der Traum vom Raum“. Er war sich bewusst: „Tragik und Triumph des Malers ist es seit je gewesen, das Unmögliche zu verwirklichen . . . auf dieser Fläche mehr zu geben als nur dieser Fläche.“

Die farbigen, an Pfeiler erinnernden Architekturen in „Gestalt ville“ (1969) befinden sich in einem irrealen Raum, ein Vierkant scheint zu schweben und sich aus dem Bild herauszubewegen. Und die vielen Würfel in „Cheyt-ron-va“ (1970) oder die Quadrate und Kreise in „Zett Goemb“ (1966/72) wölben sich dem Betrachter entgegen. Oder doch nicht?
Die Bilder sind alle aus Vasarelys 1959 entwickelten „Unité plastiques“ aufgebaut, den plastischen Einheiten beziehungsweise geometrischen Farben-Formen. Sie sind laut Marlene Lauter eine Art bildnerischer Baukasten Vasarelys. Er selbst bezeichnet es als sein Alphabet. „Ich habe sechs Grundfarben ausgewählt: ein Chromgelb, ein Smaragdgrün, ein Lasurblau, ein Kobaltviolett, ein Rot und ein Grau.
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Daraus habe ich dann sechs Tonleitern von jeweils zwölf bis dreizehn von hell nach dunkel gehenden Nuancen entwickelt und farbige Schwarztöne hinzugefügt.“ Diese Grundmodule lassen sich unbegrenzt variieren – von jedem. Denn Vasarely träumte von einer „sozialen Kunst“, sogar von „polychromen Städten des Glücks“, in deren Architektur seine Kunst integriert sein sollte.
Die Kachelwand in der U-Bahn als Inspiration
Seine optischen Erfahrungswelten waren anfangs noch subtiler und nicht so „laut“ wie seine großen „Ikonen“ der Op-Art, vielmehr versponnen wie das kleine Bild „Latorca“ (1953). Der Künstler unterteilte sein Werk in Perioden, die teilweise parallel liefen. „Latorca“ stammt zum Beispiel aus der Periode „Denfert“, benannt nach der Metrostation Denfert-Rocherau in Paris.
Dort fielen dem Künstler die feinen Risse in den Wandfliesen auf. „Auf den Zug wartend, betrachtete ich diese Vierecke, deren jedes eine einfache, aber eigentümliche Krakelürezeichnung aufwies“, kann in Band eins der ab 1965 erschienenen Monografie von Marcel Joray nachgelesen werden. Dabei sei ihm in diesen linearen Strukturen „die Vorstellung von merkwürdigen Landschaften“ gekommen. Bei dem zwischen 1949 und 1952 entstandenen Schwarz/Weiß-Bild „Belle Isle Meaux 1“ aus der Periode „Belle Isle“ inspirierten ihn vom Wasser geformte Kieselsteine und Muscheln am Strand der bretonischen Insel.
Eine wichtige Entdeckung in der Provence
Zeitgleich machte Vasarely im südfranzösischen Ort Gordes, wo er ein Bauernhaus erworben hatte, eine entscheidende Entdeckung. Er betrachtete ein kleines Fenster von innen, wo der Ausschnitt durch das Sonnenlicht für ihn zum Kubus wurde, der sich „verformte, sich zusammenzog oder länger wurde“, so Vasarely. „Da war er also der axonometrische Würfel, er war mobil, er vibrierte.“ Von außen betrachtet, erschien ihm das Fenster als „Würfel von undurchdringlicher Tiefe“ und schwarz.
„Ich erkannte seinen Doppelaspekt, Weiß-Schwarz, Positiv-Negativ.“ Später verarbeitete Vasarely diese Eindrücke in seinen berühmten Bildern, die zu seinem Markenzeichen wurden. Ab 1955 versuchte er in weiteren Schwarz-Weiß-Bildern, die sich jedoch von „Belle Isle Meaux 1“ unterscheiden, die „Eroberung der jenseits der Fläche befindlichen Dimensionen“. In seinem im gleichen Jahr herausgegebenen „Manifest“ spricht er von der Wirkung einander entgegengesetzten Perspektiven.
Vasarely war fasziniert von Wissenschaft und Weltraum
Die Bildelemente, Lauter spricht von „Störungen auf der Leinwand“, lassen laut Vasarely ein räumliches Gefühl entstehen und wieder vergehen. Diese Werke sind nicht auf den ersten Blick zu entschlüsseln und können das Auge sehr lange beschäftigen.
Vasarely war ein Künstler, der von der Wissenschaft fasziniert war, so Marlene Lauter, und der „Spleens“ hatte. Den Weltraum, das Universum wollte er erobern und träumte von einem Urlaub auf der Venus. „Ich verspüre in meinen Werken die Unendlichkeit der Sternenwelt . . .“, sagte er einst. Wer seine Werke betrachtet, kann sich darin verlieren.
Vasarely und die Konkrete Kunst
Die Ausstellung „Der Traum vom Raum“ im Kulturspeicher Würzburg zeigt ab sofort rund 60 Arbeiten von Victor Vasarely. Zum Vergleich sind Beispiele Konkreter Kunst aus der Sammlung Ruppert zu sehen. Bis 9. Juli: Di. 13-18, Do. 11-19, Mi., Fr., Sa., So. 11-18 Uhr.

Victor Vasarely (hier in seinem Atelier, um 1960) wurde 1906 im ungarischen Pécs geboren, lebte ab 1930 in Frankreich und ist dort 1997 in der Nähe von Paris gestorben. Er studierte unter anderem am Budapester Bauhaus. Seine Karriere begann er als Werkegrafiker. „Planet Vasarely – psychedelischer Soundkosmos“: Konzert mit Lightshow mit „Ax & Sunhair“, „Zement“ und „Kosmik Klaus“ am Samstag, 22. April. Einlass 20 Uhr, Beginn 21 Uhr, Karten an der Abendkasse. FOTO: Courtesy M. Vasarely