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Würzburg
Unbedingte Empfehlung: "Kleine Eheverbrechen" im Würzburger Theater am Neunerplatz
Britta Hübel und Martin Maria Eschenbach machen das Erfolgsstück von Eric-Emanuel Schmitt zu einem rasanten Dauerduell, das nicht nur den Figuren auf der Bühne nahegeht.
In 'Kleine Eheverbrechen' mit Britta Hübel und Martin Maria Eschenbach fließt der Schnaps in Strömen. Nur nicht immer in die Kehle.
Foto: Patty Varasano | In "Kleine Eheverbrechen" mit Britta Hübel und Martin Maria Eschenbach fließt der Schnaps in Strömen. Nur nicht immer in die Kehle.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:36 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Kleine Eheverbrechen" ist eine schwarze Zwei-Personen-Komödie des bekannten französischen Autors Eric-Emmanuel Schmitt (Jahrgang 1960, "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran") aus dem Jahr 2003.
  • Worum geht es? Lisa und Gilles sind seit 20 Jahren verheiratet. Ihre Ehe hat längst den Schwung der Anfangszeit eingebüßt. Als Gilles einen Unfall mit Gedächtnisverlust erleidet, scheint sich die Chance auf einen Neubeginn zu ergeben.
  • Lohnt der Besuch? Unbedingt! Britta Hübel und Martin Maria Eschenbach, auch im echten Leben ein Paar, liefern sich im Würzburger Theater am Neunerplatz ein brillantes, 75 Minuten langes Dauerduell, das rasant zwischen Versteckspiel, Generalabrechnung und Mordversuch pendelt.

Es scheint unausweichlich: Je länger ein Paar verheiratet ist, desto mehr "kleine Eheverbrechen" passieren. Möglicherweise auch ein paar große. Und irgendwann stellt sich die Frage: Summieren sich diese Verbrechen im Laufe der Zeit zu einem explosiven Knäuel an Wut, das nicht mehr zu entwirren ist, oder zersetzen sie die Ehe über die Jahre kontinuierlich, so dass die Liebe schließlich einfach aufgebraucht ist? Oder beides?

Eric-Emmanuel Schmitt hat für diese Fragen eine faszinierende Versuchsanordnung geschaffen: Gilles hat bei einem Unfall sein Gedächtnis verloren und kommt nach dem Krankenhausaufenthalt nach Hause. Er erkennt weder die Wohnung noch seine Frau Lisa, die er immer wieder siezt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich quasi durchzufragen, um sein vermeintlich verlorenes Ich zu rekonstruieren: Was für ein Mensch war ich? War ich treu? Warst du treu?

Lisa und Gilles umtanzen einander wie rhetorische Fechter, Wrestler und Sumoringer in einem

Da das Stück kein Drama über Gedächtnisverlust ist, ist diese Ausgangssituation schnell überholt, soviel sei verraten. Viel mehr aber nicht, denn "Kleine Eheverbrechen" entwickelt sich dermaßen rasant und virtuos zu einem Schlagabtausch mit nahezu minütlich überraschenden Wendungen, dass jeder weitere Hinweis auf die Handlung das Vergnügen dieser 75-minütigen Achterbahnfahrt empfindlich schmälern würde.

Lisa (Britta Hübel) und Gilles (Martin Maria Eschenbach)  gehen einander an die Wäsche, auf die Nerven, an die Nieren und an die Gurgel.
Foto: Patty Varasano | Lisa (Britta Hübel) und Gilles (Martin Maria Eschenbach)  gehen einander an die Wäsche, auf die Nerven, an die Nieren und an die Gurgel.

Wobei Vergnügen hier vielleicht das falsche Wort ist. Hier werden Phänomene freigelegt, die weh tun – den Figuren auf der Bühne und möglicherweise auch dem einen oder anderen Paar im Publikum. Britta Hübel und Martin Maria Eschenbach als Lisa und Gilles umtanzen einander im Theater am Neunerplatz wie rhetorische Fechter, Wrestler und Sumoringer in einem. Sie scharfzüngig schnell, er beharrlich rationalisierend. Sie gehen einander in der Regie von Eschenbach und Sven Höhnke an die Wäsche, auf die Nerven, an die Nieren und an die Gurgel. Finten, falsche Fährten und Frontalangriffe führen schließlich paradoxerweise zu einer Art Wahrheit. Womit sich der Kreis schließt: Können sie mit dieser Wahrheit leben, das heißt: zusammenbleiben?

Hinter den Masken treten Verletzungen aus Jahrzehnten zutage

Hübel und Eschenbach, auch im echten Leben ein Paar, bieten mit berückendem Sinn für Timing und Rhythmus alles auf, was Theater so faszinierend macht. Da wird gefleht, geheult, gerungen und auch mal effektvoll gekotzt. Und dann steht plötzlich die Zeit still und hinter allen Masken, Posen und Fassaden werden über Jahrzehnte uneingestandene Ängste und Verletzungen offenbar.

Das alles aber, wie fast immer bei Eric-Emmanuel Schmitt, mit einer komischen, zutiefst menschlichen Unterströmung, die immer die Würde der Figuren wahrt. Doch: Vergnügen ist genau das richtige Wort für diese Inszenierung. Langer, jubelnder Premierenapplaus.

Theater am Neunerplatz, Würzburg: "Kleine Eheverbrechen" von Eric-Emmanuel Schmitt. Bis 24. März. Karten: www.neunerplatz.de oder Tel. (0931) 415443.

 
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