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WÜRZBURG
Tintoretto in Stift Haug: Moment tiefster Gottesverlassenheit
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:03 Uhr

Es gibt die Theorie, dass Tintoretto so gerne Außenseiter malte, weil er selbst kleinwüchsig war. Wie auch immer: Jacopo Robusti – genannt Tintoretto nach seinem Vater, einem Färber (Tintore) – muss ein Mann von unbeugsamem Willen und ungeheuerer Energie gewesen sein. Darauf weisen die Händel hin, die er mit vielen Kollegen, Konkurrenten und sonstigen Größen seiner Heimatstadt Venedig hatte, unter ihnen Tizian und Veronese, die vielen Skandale, die er auslöste. Vor allem die Menge der Werke, die er hinterlassen hat, und die riesigen Formate, die er bevorzugte.

Tintoretto, der am 29. September vor 500 Jahren geboren wurde und 78 Jahre alt wurde, gehört zu den wichtigsten Vertretern der späten italienischen Renaissance und damit des Manierismus, eines Stils also, der immer stärker Posen und Figuren dramatisch überzeichnete. In Venedig sind seine Werke allgegenwärtig – im Dogenpalast, in vielen Kirchen und in einigen Scuole, den repräsentativen Häusern der Zünfte und Gilden.

In den großen Museen

Natürlich besitzen auch bedeutende Museen nördlich der Alpen oder in Übersee Tintorettos, das Metropolitan in New York, die National Gallery in Washington, die Gemäldegalerie Berlin, der Louvre oder das Rijksmuseum Amsterdam. In Kirchen aber sind die hochexpressiven Gemälde weit seltener anzutreffen.

Eine Himmelfahrt Mariens hängt in der Oberen Pfarre in Bamberg, eine ebenso großformatige Auferweckung des Lazarus in der Katharinenkirche in Lübeck. Und in Stift Haug in Würzburg hängt eine monumentale Kreuzigungsszene – fünf mal neun Meter groß. Tintoretto und seine Werkstatt haben sie im Jahr 1585 gemalt, sie gehört damit zum Spätwerk des Meisters.

Das stark nachgedunkelte Gemälde im Chor der hellen, lichtdurchfluteten Barockkirche, deren reicher Schmuck freilich im Krieg verloren ging, offenbart erst auf den zweiten und dritten Blick seine Komplexität. Es hängt hier seit 1964 als Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlung auf einer eigens angefertigten Stahlkonstruktion. „Das Gemälde gehört zu den großen Kunstschätzen in Würzburg, und man kann ruhig mal auf die Großzügigkeit der Staatsgemäldesammlung hinweisen“, sagt Diözesankonservator Wolfgang Schneider, „der Tintoretto ist ja nicht die einzige Leihgabe.“

Chaos a la Tintoretto

Der promovierte Kunsthistoriker hat in den Archiven einen kolorierten Kupferstich des Gemäldes aufgestöbert, entstanden 1623, ein Jahr vor dem Tod des Stifters Sebastian Füll von Windach. Auf dem Kupferstich sind viele Details weit besser zu erkennen als auf dem Gemälde selbst, dessen Oberfläche dank des seitlich einfallenden Lichts meist glänzt und deshalb übrigens ausgesprochen schwer zu fotografieren ist. Dargestellt ist reines Chaos – und dieses Chaos ist, wie so oft bei Tintoretto, Folge eines ganz bestimmten Moments, der eine bestehende Ordnung durcheinanderbringt. „Hier ist es der Moment des Todes Jesu“, sagt Scheider.

Das Bild zeigt diesen „Moment tiefster Gottesverlassenheit“ (Schneider), wie ihn die Evangelisten beschreiben: Die Erde tut sich in einem Erdbeben auf, Tote entsteigen ihren Gräbern, Felsen zerbersten, Menschen in Panik fliehen in alle Richtungen, Pferde scheuen, eine Sonnenfinsternis taucht alles in unheilvolles Licht.

Nach und nach werden weitere erzählerische Elemente sichtbar: Wie sich Jesus dem reuigen Verbrecher zu seiner Rechten zuwendet. Dass Maria Magdalena, deren blondes, unverhülltes Haar hell aufleuchtet, am Fuße des Kreuzes den geometrischen Mittelpunkt des Bildes bildet. Und dass der Soldat Longinus, der Jesus die Lanze in die Seite stechen wird, um dessen Tod festzustellen, sich erst noch aufrappeln muss – sein Pferd ist gerade unter ihm zu Boden gegangen.

Der Weg nach Würzburg

Sebastian Füll von Windach hatte das Bild freilich nicht für Würzburg in Auftrag gegeben, sondern für die Münchner Augustinerkirche, heute Sitz des Deutschen Jagd- und Fischereimuseums. Er war ein reicher Seidenhändler und hatte im 16. Jahrhundert, also in der Blütezeit vor dem Dreißigjährigen Krieg, viel in Venedig zu tun. „Ein solches Gemälde zu bezahlen und über die Alpen schaffen zu lassen, war für ihn kein Problem“, sagt Schneider. Im Zuge der Säkularisation gelangte das Gemälde in den Besitz des Kurfürsten und damit des bayerischen Staats, dem es eben bis heute gehört.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hing es zeitweise in der Münchner Theatiner- und der Karmelitenkirche, bis es dann nach Würzburg kam. Hier nehmen es Touristen häufiger staunend zur Kenntnis als die Einheimischen, hat Dompfarrer Jürgen Vorndran beobachtet: „Die rechnen natürlich nicht mit einem Tintoretto ausgerechnet hier.“ Dass sie Stift Haug überhaupt ansteuern, liegt nicht selten daran, dass viele den von 1670 bis 1691 nach Plänen von Antonio Petrini errichteten Bau für den Würzburger Dom halten. „Ich nenne Stift Haug deshalb den italienischen Dom“, sagt Vorndran.

Tintoretto bekommt seinen Rahmen - Die dreieinhalb Tonnen schwere Stahlkonstruktion wird in Stift Haug montiert - Die von der Firma Stahlbau Josef Rupprecht gefertigte Stahlrahmenkonstruktion, die mit der vergoldeten Umrahmung Tintorettos „Kreuzigung” tragen wird, bei der Montage.  - Aufnahme vom sept. 1965 VB
Foto: Hans Heer | Tintoretto bekommt seinen Rahmen - Die dreieinhalb Tonnen schwere Stahlkonstruktion wird in Stift Haug montiert - Die von der Firma Stahlbau Josef Rupprecht gefertigte Stahlrahmenkonstruktion, die mit der vergoldeten ...
500 jahre TintorettoDer venezianische Maler wurde am 29.9. 500 Jahre alt. Eines seiner wenigen Werke nördlich der Alpen hängt in Stift Haug. Treffen dort mit dem Konservator der Diözese, Wolfgang Schneider und Dompfarrer Jürgen Vorndran
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