Beobachtung Nummer eins: Da stehen tatsächlich nur zwei Musiker auf der Bühne. Da gibt es kein Schlagzeug, das pulsiert und den Takt gibt. Kein Klavier, das die Harmonien malt, keine Gitarre, die die Dynamik bringt. Da sind allein Kontrabass und Trompete. Und zwei Musiker, die so swingen und grooven und im musikalischen Dialog stehen, die den Saal im Historischen Rathaus von Karlstadt so erfüllen, dass man nicht eine Minute lang ein drittes, ein anderes Instrument vermisst.
Beobachtung Nummer zwei: Es braucht viele Vokabeln, um zu beschreiben, was diese kleinstmögliche Band da macht. Till Brönner lässt Töne wackeln, zittern und flirren. Spielt mal klar und strahlend, um kurz darauf kurze, schrille Kiekser zu setzen. Mal klopf er nur aufs Mundstück, dann lässt er die Trompete glucksen und schnattern, greift zum sanften, warmen Flügelhorn, wummert und schnarrt, als käme der Ton von einer alten Vinylplatte, lässt Hall dazugeben und flirtet mit dem Echo. Und sein Kompagnon Dieter Ilg spielt so vollstimmig und vielschichtig, dass man eine ganze Rhythmuscombo hört.
„Hurz“, grinst er in den Saal
Ilg quietscht mit befeuchtetem Finger über den Holzkorpus, zupft unten, zupft ganz oben am Hals, klopft und pulst und macht aus Harmonien groovende Basslinien. Brönner steht nickend und lächelnd daneben und gesellt sich irgendwann wieder dazu mit neckenden, zuckenden, comic-haften Tönen. Und nach dem Schlussakkord grinst er ins Publikum: „Hurz!“
Beobachtung Nummer drei: Till Brönner, der als Jazzer – weil auch Entertainer und ohne Scheu vor gefälligen flauschigen Nummern und streichersatten kitschigen Filmmusikplatten – ein breiteres Publikum erreicht, begeistert auch im kleineren Rahmen. Und irgendwie muss Karlstadt es ihm angetan haben. Vor zwei Jahren kamen 1500 Besucher zum rauschenden Open Air mit Brönner und Band auf die Burg über dem Main. Jetzt spielt er – zwischen Gastspielen in Moskau, Köln, München – intim im Rathaussaal vor 360 Zuhörern und plaudert charmant und uneitel zwischen den Nummern.
Nebenbei erwähnt der 45-Jährige, vielleicht doch ein bisschen eitel, dass er vor einem Jahr mit Aretha Franklin und anderen Jazz-All-Stars auf Einladung von Barack Obama im Weißen Haus spielen durfte. Aber Brönner spielt nicht nur vor US-Präsidenten. Sondern auch mit Schülern: Beim Konzert auf der Karlsburg damals hatte der junge Schlagzeuger Marius Hofmann den Startrompeter gebeten, er möge doch mal Werbung für die Bigband der Realschule und deren Konzerte machen.
Ein Hörnchen morgens in Rio
Zum nächsten Auftritt komme er dazu, sagte Brönner zu. Und kam nun tatsächlich: zum Workshop mit der Realschul-Bigband.
Beobachtung Nummer vier: ein großer CD-Tisch. Allein 18 Alben hat Till Brönner veröffentlicht, Dieter Ilg fast ebensoviele. Von Filmmusik bis Beethoven für Jazztrio.
Beobachtung Nummer fünf: Musikalisch ist es schlicht toll, was Brönner und Ilg fabrizieren. Ihr Konzert ist auch ein kleiner Spaziergang durch 100 Jahre Jazzgeschichte. Vom Swing eines Dizzy Gillespie über Ornette Colemans „The Fifth Of Beethoven“ und eine zart-anregende Version von Eleanor Rigby bis zu einer wunderbaren Improvisation des Gesellenliedes „Es es es und es“. Und dann singt Till Brönner auch noch so lässig und luftig und hell vom Kaffee mit Hörnchen morgens am Strand in Rio.
Was kann nach dem „Cafe com Pao“ des brasilianischen Komponisten Joao Donato als Zugabe noch kommen? Etwas vom größten deutschen Jazzmusiker aller Zeiten, sagt Brönner und greift ein letztes Mal zum Instrument: „The Air on the G-String“, als Huldigung an Bach. Ein Stück für Solo-Violine. Aber mit Brönners Flügelhorn und Ilgs Bass. . .