Wenn man im Maßbacher Theater in eine faszinierende Welt eintauchen möchte, die reichlich wenig mit innerer Logik zu tun hat, dann ist man bei Rolf Heiermanns freier Bearbeitung des "Cyrano de Bergerac"-Stoffes von Edmond Rostand gut aufgehoben - also bei "Cyrano in Chicago" in der Regie des Autors.
Den unglücklichen Helden kennt man zumindest als Gérard Depardieu in der Rolle des in seine Cousine verliebten langnasigen Dichters, Denkers und Haudegens. Wegen seines körperlichen Makels traut er sich bis zum Tod nicht, sich seiner Geliebten zu offenbaren und leiht seine Sprache dem Nebenbuhler Christian, für den er romantische Liebesbriefe schreibt.
Heiermann verlegt diese Handlung in die Zeit um den 30. Oktober 1938 nach Chicago. Es spielt also um den Tag herum, an dem Orson Welles Hörspiel "Krieg der Welten" die halbe Radionation in Aufruhr versetzte, weil sie glaubte, der Weltuntergang stünde unmittelbar bevor.
Blues- und Swing-Rhythmen untermalen das Treiben in der Jazz-Bar
Aber auch ohne Endzeitstimmung ist in "Ray's Corner", einer Jazz-Bar, der Teufel los. Jedenfalls bleiben sämtliche Frühstücksplatten unangetastet, weil die Leute ständig reden, rennen und reagieren müssen. Die Gäste, ja selbst der blinde Barbetreiber Ray (Ingo Pfeiffer) und seine Dolores (Anna Katharina Fleck), befinden sich im permanenten Erregungszustand. Kein Wunder, wenn auch noch ein ominöser Mafia-Anwalt (Marc Marchand) und der Sohn des korrupten Bürgermeisters (Alexander Bräutigam) den Frieden bedrohen.
Dazu untermalen Blues- und Swing-Rhythmen das Treiben in der Jazz-Bar (Bühnenbild: Anita Rask Nielsen). Entweder sitzt ein Pianist am Klavier oder die schöne Sängerin Roxy (Anna Schindlbeck) haucht sehnsüchtig "The man I love" in die Nacht. Heiermann schafft mit dieser Mischung aus Musik, Mafia und drohendem Weltuntergang (unterstützt von zeitgemäßer Kostümierung durch das Team Grebe, Reinhard und Zepper) eine Atmosphäre, in der Cyranos unglückliche Liebe gedeihen kann.
Nicht alles ist mit Logik zu erklären
Dass der tragische Held nun der investigative, mit einem großen Fleck an der Nase versehene Journalist Cyrus (Ludwig Hohl) ist, der gnadenlos Korruption bekämpft, selbstsicher über Bar-Tische springt, Gegnern blaue Augen verpasst, über enorme poetische Ressourcen verfügt und sich gleichzeitig als Hasenfuß in Sachen Liebe zu Roxy erweist – darüber sollte man lieber nicht nachdenken. Auch, dass der begabte Nebenerwerbspianist Chris (Yannick Rey), den Roxy liebt, eine sexsüchtige Dumpfbacke sein soll, erschließt sich nicht unbedingt mit Logik. Wie entlockt er seinem Klavier so betörende Töne, wenn ihm jegliche emotionale Sensibilität fehlt?
Aber derlei Bedenken haben in einer Komödie, die von Klischees, Übertreibungen und schmalzdick aufgetragener Liebesromantik lebt, nichts zu suchen. Die Frage ist vielmehr: Muss Cyrus, der für den wortkargen Chris zum Ghostwriter wird, muss er – wie im Original – sterben, bevor die Geliebte die Wahrheit erfährt?
Dem Ensemble merkt man die Freude an, die Rollenkarikaturen ernst zu nehmen. Vor allem Anna Katharina Fleck als Dolores reißt das Publikum in ihrer doppelten Haushaltsführung mit: den Laden schmeißen und gleichzeitig ihren Ray lieben. Auch Anna Schindlbeck, halb betört und halb verstört dem Liebesgesäusel von Cyrus/Chris lauschend, zeigt wunderbar, welche Risiken und Nebenwirkungen romantische Liebesschwüre haben. Und schließlich wünscht man Ludwig Hohl, dass er den Spagat zwischen aufrechtem Journalismus, harter Faust und dahinschmelzender Liebe heil übersteht. Das Publikum braucht seine Sommerhelden.
"Cyrano in Chicago" ist bis 24. Juli auf der Freilichtbühne in Maßbach zu sehen. Kartentelefon: (09735) 235. Infos unter: www.theater-massbach.de